„Mater semper certa“ – die Mutter ist immer sicher, sagt ein lateinisches Rechtssprichwort. Die alten Römer konnten ja noch nicht wissen, dass man im 21. Jahrhundert zwischen genetischer, biologischer und manchmal auch noch sozialer Mutter unterscheiden würde. Wie dies geschehen kann und was das eigentlich bedeutet, zeigt ein Artikel der NZZ vom 28. April 2023 über Freundschaft, Kinderwunsch – und eine Eizellenspende.

Von Ursula Baumgartner

Es ist der Stoff, aus dem die Hollywoodfilme sind. Zwei Freundinnen, die eine will Familie, die andere ist abenteuerlustig. Die eine kann nicht schwanger werden und verzweifelt fast an ihrem Kinderwunsch. Die andere bereitet zwar gerade einen einjährigen Roadtrip vor, doch für ihre Freundin quetscht sie davor noch eine Eizellenspende in ihren vollen Terminkalender. Und während nun die andere quer durch die USA reist, bringt die eine ihren Sohn zur Welt. Oder ist es doch eher deren Sohn?

Schöne neue Familienwelt

Unter der Überschrift „Auf uns. Auf das Leben!“ feiert die NZZ die Techniken, nein, gar die „Wunder“ der modernen Reproduktionsmedizin. Die Leser leiden mit „Emily“ unter ihrem Kinderwunsch und lernen mit „Nicole“ den schwierigen Prozess einer Eizellenspende kennen. Am Ende steht eine Familie, deren kleiner Sohn genetisch mit dem Vater verwandt ist und dessen genetische Mutter gelegentlich zu Besuch kommt, emotional jedoch völlig distanziert bleibt.

In der Schweiz wurde die Eizellenspende im September 2022 für verheiratete Paare erlaubt, bei denen die Frau unfruchtbar ist. Damit stelle man diese Ehepaare denjenigen gleich, bei denen die Unfruchtbarkeit beim Mann liegt, so die Argumentation. Doch sowohl hier als auch im Artikel der NZZ werden die Risiken einer solchen „Spende“ völlig ignoriert. Da bei einer Eizellenspende durch hohe Dosen von Hormonen wesentlich mehr Eizellen als sonst zur Reifung gebracht werden sollen, kann es zu einer Überreaktion des Körpers kommen. Dieses Hyperovulationssyndrom kann allgemeines Unwohlsein auslösen, aber auch Wasseransammlungen im Bauchraum oder sogar Schlaganfälle.

Die Schattenseiten der Eizellenspende

Auch der Empfang der gespendeten und dann befruchteten Eizelle birgt nicht geringe Risiken. Susanne Kummer, Philosophin, Ethikerin und Direktorin von IMABE (Institut für Medizinische Anthropologie und Bioethik) in Wien, weiss in ihrem Beitrag in der Fachbroschüre „Kind auf Bestellung“ von Zukunft CH von einer Studie aus den USA zu berichten, die knapp 12‘000 Schwangerschaften nach Eizellenspende untersuchte. Bei 30 Prozent kam es zu schweren gesundheitlichen Problemen wie Noteinlieferungen auf die Intensivstation, Bluttransfusionen und ungeplanten Gebärmutterentfernungen. Viele der Kinder würden viel zu früh geboren oder müssten mittels Not-Kaiserschnitt geholt werden.

Mütter, die durch Eizellenspende zu ihrem ersehnten Kind kamen, stellen zudem häufig ernüchtert fest, dass das erwartete Glück nicht so ungetrübt ist wie erhofft, so Kummer. Eine Bindung zu einem genetisch fremden Kind aufzubauen, fällt den Müttern oft schwer. Vielfach treten Zweifel, Angst und Verunsicherung auf. Anders scheint es in der NZZ-Hollywood-Geschichte: „Emilys mütterliche Gefühle waren von dem Moment an da, in dem er in ihr zu wachsen begann. Er ist das Kind, das sie sich wünschten.“

Kinder oder Produkte der Reproduktionsmedizin?

Doch was wünscht sich eigentlich das Kind? Wird sich der kleine „Matt“ dauerhaft zufrieden geben mit der Geschichte, die Emily ihm über Nicole erzählt, nämlich: „Sie hat uns geholfen, dich zu finden.“? Wie wird er reagieren, wenn er erfährt, dass diese Freundin seiner Mutter seine eigentliche genetische Mutter ist? Mehrfach wird im Artikel darauf hingewiesen, wie viel Matt von Nicole geerbt hat, sowohl optisch als auch charakterlich. Trotzdem bleibt sie gefühlskalt und distanziert.

Dies kann natürlich auch mit Verdrängung zusammenhängen. Doch was bedeutet das langfristig für die Psyche des Kindes? Betrachtet Nicole diesen kleinen Jungen, der doch genetisch ihr Sohn ist, wirklich nur als jemanden, „der sich aus ihren Bausteinen materialisiert“ hat? Abstammung und Verwandtschaft kann man nicht auf einen so nüchternen Satz reduzieren. Susanne Kummer bringt es auf eine einfache Formel: „Gene sind nicht alles, aber Gene sind auch nicht einfach nichts.“

Und was ist mit den völlig vergessenen „Kollateralschäden“ der Reproduktionsmedizin? Ende April veröffentlichte das Bundesamt für Statistik die neueste Übersicht über medizinisch unterstützte Fortpflanzung. Daraus geht hervor, dass allein im Jahr 2021 in der Schweiz über 15‘600 Embryonen in diesem Zusammenhang vernichtet wurden. Im Vergleich: Die Zahl der Embryonen, die im gleichen Zeitraum einer Frau eingepflanzt wurden, liegt bei etwa 10‘500. Diese Verhältnisse haben sich in den letzten Jahren vollständig umgekehrt. Zehn Jahre vorher, im Jahr 2011, wurden gerundet 17‘000 Embryonen eingepflanzt und 2000 vernichtet.

Auch in der Geschichte von Emily, Nicole und Matt werden drei von vier Embryonen bei der Präimplantationsdiagnostik für „abnorm“ befunden. Eigentlich sind sie Matts Geschwister. Doch sie haben den „Qualitätstest“ nicht bestanden. Wenn man so einen Aufwand betreibt, um ein Kind zu bekommen, möchte man sichergehen, dass es gesund ist. Das ist nachvollziehbar. Nichtsdestoweniger hat eine solche Selektion katastrophale Folgen für das Menschenbild einer Gesellschaft und für den Blick auf Behinderte und Ungeborene

Dass die drei „abnormen“ Embryonen vernichtet werden, ist der NZZ übrigens keine Erwähnung wert. Der Fokus liegt allein auf Emilys Sorge, dass nun lediglich ein einziger Embryo übrig bleibt, der eingesetzt werden kann. Vor diesem Hintergrund liest es sich recht zynisch, dass Emily, Nicole und ihre Partner „auf das Leben“ anstossen.

Die Grenzen der Reproduktionsmedizin

Der starke Wunsch nach einem Kind ist etwas Natürliches und Gutes. Doch die emotional aufgeladene Geschichte rund um Emily und Nicole betrachtet das Thema Eizellenspende zu einseitig. Neben all den hier angesprochenen Problemen muss noch ein weiterer Aspekt betrachtet werden: Das Leben ist nicht immer planbar. So leicht sich dieser Satz schreibt, so schwer ist er oft zu leben. Denn kaum etwas kann einen Menschen so sehr verunsichern wie der Gedanke, nicht über sein Leben bestimmen zu können. Doch gerade die Bereiche Schwangerschaft und Geburt sind und waren schon immer mit Unwägbarkeiten verbunden. Die Reproduktionsmedizin kann jedoch nicht die Lösung des Problems sein. Denn diese kann – entgegen der Formulierung der NZZ – eben gerade keine „Wunder“ wirken. Sie schafft im Gegenteil neue Konfliktfelder, wo keine sein sollten, wenn z.B. Emily eine Frau, die sie kaum kennt, bittet, ihr ihre Eizellen zu spenden, nur weil diese aus dem gleichen Kulturkreis stammt. Oder wenn Nicole unter Leistungsdruck gerät, weil sie nur vier Eizellen „produziert“ hat, wo doch der „Mittelwert“ viel höher liegt. Oder wenn genauestens erfragt wird, welche Krankheiten in Nicoles Familie auftraten, inklusive so sensibler Themen wie Depressionen und anderer psychischer Erkrankungen bis hin zu Suizid. Wurden Nicoles Familienmitglieder gefragt, ob sie wollen, dass Aussenstehende davon erfahren?

Nein, das Wunder des Lebens lässt sich nicht technisch reproduzieren, zumindest nicht ohne wirklich dunkle Schattenseiten. Die Fortpflanzungsmedizin lässt uns lediglich glauben, alles im Griff zu haben. Wie falsch die Medizin allerdings liegen kann, zeigt sich spätestens am Ende des Artikels. Denn passend zur Hollywood-Storyline wird Emily letztlich noch einmal auf natürliche Weise schwanger, nachdem ihr mehrere Ärzte Unfruchtbarkeit bescheinigten. Für Emily ist klar: „Ohne Nicoles Spende wäre das nie passiert.“ Doch vielleicht stand der Erfüllung ihres Traums die ganze Zeit vor allem der Druck im Weg, unter den sie sich selbst setzte. Denn dass sich Stress negativ auf die Fruchtbarkeit auswirkt, bestätigt der Artikel selbst.

Und so muss noch einmal gesagt werden: Die Technik wirkt keine Wunder, sie imitiert sie bestenfalls. Die Natur kennt keine Trennung zwischen genetischer und biologischer Mutter. Eine solche Grenze zu ziehen, bedeutet nur eine Entfremdung des Menschen von seiner Natur in einem sehr sensiblen Bereich. Und das kann nicht ohne Folgen bleiben – für den Einzelnen und für die Gesellschaft.

 

Die Broschüre „Kind auf Bestellung?“ von Zukunft CH widmet sich der Fortpflanzungsmedizin im Hinblick auf Machbarkeit und Kindeswohl. Sie kann über das Bestellformular oder per Telefon unter +41 (0)52 268 65 00 bezogen werden.