Am 18. Oktober findet der Europäische Tag gegen Menschenhandel statt. Während man in diesem Zusammenhang schnell an Zwangsarbeit und Prostitution denkt, gerät eine Gruppe Menschen in Vergessenheit, die schon zu Beginn ihres Lebens gehandelt werden: Kinder, die von Leihmüttern ausgetragen wurden.

Von Ursula Baumgartner

Millionen von Menschen werden jährlich Opfer von Menschenhandel. Erst Ende September 2022 fand in Bern eine Kundgebung statt, bei der mehrere Organisationen gegen diesen Missstand protestiert haben (Zukunft CH berichtete hier). Unter Menschenhandel versteht man den Transport oder die Verschleppung von Menschen gegen deren Willen oder unter Täuschung und mit dem Ziel, sie auszubeuten. Nun muss man zugeben, dass die meisten Paare, die ein Kind von einer Leihmutter austragen lassen, bestimmt nicht dieses Ziel verfolgen. Im Gegenteil, wenn ein Paar – oft entgegen der Gesetzgebung in dessen Heimatland – diesen Weg wählt, ist der Wunsch, einem Kind ein schönes Zuhause zu bieten, gross. Und doch lässt sich nicht leugnen, dass Leihmutterschaft Züge von Menschenhandel trägt.

„Leihmutterschaft muss legalisiert werden!“

„Leihmutterschaft ist die letzte Hoffnung, die unfruchtbaren Paaren noch bleibt.“ Diese Überzeugung findet sich bei vielen gutwilligen Menschen. Von der Ferne betrachtet, mag das stimmen. Bei genauerem Hinsehen bietet sich jedoch ein unschöneres, um nicht zu sagen unmenschliches Bild. In den seltensten Fällen trägt die Schwester oder die beste Freundin eines Paares ein Kind aus. Meist läuft eine Leihmutterschaft über eine Agentur, die oft – da Leihmutterschaft in vielen europäischen Ländern verboten ist – in einem anderen Land arbeitet als das Paar lebt. Über diese Agentur kann ein Paar nun eine Leihmutter auswählen, häufig in Kombination mit einem ganzen „Menü“ an Sonderwünschen: Befruchtung mit der eigenen Eizelle der Frau, mit der Samenzelle des Mannes, mit der Eizelle der Leihmutter oder einer dritten Frau, … Das so entstehende „Familienpuzzle“ kann sich somit aus vielen Teilen zusammensetzen.

Auch die Nationalität der Leihmutter kann mitunter ausgesucht werden, was in Zeiten verstärkter Rassismus-Debatten für mehr als nur eine hochgezogene Augenbraue sorgen sollte. Ist die Leihmutter nun schwanger, dürfen die Agenturen oder andere Unterhändler ihr vorschreiben, wie sie sich zu ernähren hat, welche Medikamente sie nehmen soll etc. Eine Leihmutter ist keine Mutter im familiär-emotionalen Sinn. Eine Leihmutter ist Teil eines Fabrikprozesses, an dessen Ende ein Produkt steht, das zuvor bestellt worden ist: das Kind.

Die dunkle Seite der Leihmutterschaft

Bis es soweit ist, kann es unzählige Versuche brauchen. Eine Schwangerschaft, die durch künstliche Befruchtung herbeigeführt wird, hat eine höhere Abgangsrate als eine natürlich begonnene – erst recht, wenn der eingesetzte Embryo nicht der eigene ist, denn dann erkennt das Immunsystem ihn als fremd und stösst ihn mit grösserer Wahrscheinlichkeit ab. Doch schon zuvor werden deutlich mehr Embryonen gezeugt, als letztlich eingesetzt werden. Häufig werden sie einer Prä-Implantations-Diagnostik unterzogen, denn wenn man als Paar die Möglichkeit der Untersuchung hat – wer würde dann nicht lieber ein gesundes Kind wählen? „Ausgemusterte“ Embryonen werden entsorgt, d.h. getötet. Leihmutterschaft und Eugenik gehen also zumindest einen Teil der Strecke Hand in Hand.

Wie geht es eigentlich der Leihmutter, in deren Körper nun ein Kind heranwächst, das doch nicht das ihre bleiben darf? Freut sie sich über die ersten kleinen Tritte in ihrem Bauch wie eine „echte“ Mutter? Oder muss sie sie eher als Merkmale betrachten, an denen sie die schrittweise Fertigstellung des „Produkts“ erkennen kann? Welche Auswirkungen hat es auf die Psyche einer Frau, wenn sie sich als menschlichen Brutkasten behandelt sieht, dessen Körperfunktionen zwar gerne gegen gutes Geld gemietet werden, dessen Mütterlichkeit aber unerwünscht ist? Die Ausbeutung einer Leihmutter ist vielleicht im Einzelfall nicht gewollt, billigend in Kauf genommen wird sie aber jedes einzelne Mal.

Die kleine menschliche „Handelsware“

Und welche Auswirkungen hat es auf die Psyche eines Kindes, wenn die Frau, die es austrägt, keine vorgeburtliche emotionale Bindung mit ihm aufbauen darf? Wenn die Bestelleltern es letzten Endes nicht wollen, weil es eine Behinderung hat, wie es schon des Öfteren vorgekommen ist? Oder wenn es im wahrsten Sinne des Wortes mutterseelenallein in einem Bunker in der Ukraine warten muss, weil die Bestelleltern wegen des Krieges nicht einreisen können? Wir alle erinnern uns mit Schrecken an die Bilder Anfang des Jahres. (Zukunft CH berichtete im Artikel: Zwei Eier im Glas: Die Menükarte der Leihmutterschaftsagenturen). Kann also Leihmutterschaft wirklich guten Gewissens legalisiert werden, wie oft gefordert wird?

Das „Recht auf ein Kind“ ist in vielen Köpfen unverhandelbar festgesetzt. Doch genauso, wie es kein Recht auf Gesundheit, auf Reichtum oder auf eine glückliche Ehe gibt, gibt es auch kein Recht auf ein Kind. Ungewollte Kinderlosigkeit ist ohne Frage für viele Paare ein schwerer Schlag. Aber die Bestellung eines Kindes, das von einer fremden Frau ausgetragen wird, ist nichts anderes als emotional übertünchter Kinderhandel.