Obwohl in der Schweiz immer mehr Mütter erwerbstätig sind, bleibt die Bevölkerung gegenüber berufstätigen Frauen mit kleinen Kindern nach wie vor eher skeptisch eingestellt: Gemäss einer im Jahr 2013 gemachten und im März 2015 präsentierten Erhebung des Bundesamts für Statistik (BFS) stimmen mehr als 40 Prozent der 20 bis 49-jährigen Männer der Aussage zu, dass ein Kind im Vorschulalter darunter leidet, wenn seine Mutter berufstätig ist. Bei der letzten Erhebung im Jahr von 1995 stimmten dieser Aussage noch gut 60 Prozent zu. Abgelehnt wurde die Aussage von knapp 30 Prozent im Jahr 2013 gegenüber knapp 20 Prozent im Jahr 1995.
Frauen sehen die Berufstätigkeit von Müttern kleiner Kinder weniger problematisch. Der Anteil der Frauen, die der Auffassung sind, Kinder im Vorschulalter würden leiden, wenn ihre Mutter berufstätig ist, sank von knapp 50 Prozent (1995) auf gut 30 Prozent (2013). Der Anteil der Frauen, die nicht zustimmen, stieg im gleichen Zeitraum von knapp 30 auf über 40 Prozent an.

Undifferenzierte Frage

Soweit die Fakten. Entscheidend aber ist, welche Schlüsse aus diesen Erhebungen gezogen werden. Vor dem Hintergrund der Hirn- und Bindungsforschung muss angemerkt werden, dass die Frage selbst sehr undifferenziert gestellt ist. Wie das BFS auf Anfrage bestätigte, liegen aber keine Ergebnisse zu detaillierter gestellten Fragen vor.

Erstens spielt es eine grosse Rolle, ob von einer Vollzeit- oder einer kleineren Teilzeitberufstätigkeit der Mutter die Rede ist und ob diese Teilzeitarbeit an einem oder verteilt auf mehrere Tage geleistet wird. Die Entbehrungen und die damit verbundenen möglichen Leiden bzw. Schäden für das Kind sind entsprechend sehr unterschiedlich. Zweitens spielt auch das Alter des Kindes eine grosse Rolle. Die sensibelste Phase dauerte bis 3 Jahre. In dieser Zeit ist die Bindung an die Mutter – wie die Forschung sagt – von höchster Priorität. Ist das Kind in diesen Jahren regelmässig den ganzen Tag über von der Mutter getrennt, sind Schäden wie Störungen in der Sprachentwicklung oder Dauerstress-Spätfolgen wie geringe Belastbarkeit, Depression oder Suchtgefahr sehr wahrscheinlich. Ein dritter entscheidender Aspekt, der Berücksichtigung finden müsste, ist der, ob die Kinder, wenn sie nicht bei der Mutter sind, bei Grosseltern, bei der vertrauten Tagesmutter oder gar in der Kinderkrippe untergebracht werden.

Diverse Fachbroschüren, welche bei der Stiftung Zukunft CH kostenlos zu bezogen werden können, orientieren über die Bedürfnisse von Kindern in den verschiedenen Entwicklungsphasen ebenso wie über die tragischen Folgen, wenn Kindern unter drei Jahren eine möglichst ununterbrochene Fürsorge der Eltern und besonders der Mutter versagt bleibt.

Kindliche Bedürfnisse ändern nicht

Ferner muss man sich auch davor hüten, die verminderte Wahrnehmung von Problemen mit deren Lösung zu verwechseln. Eine verminderte Skepsis in der Bevölkerung gegenüber der Berufstätigkeit von Müttern kleiner Kinder heisst nicht, dass Kinder tatsächlich weniger unter der Abwesenheit ihrer Mütter leiden. Denn die Ab- oder Zunahme einer Skepsis kann ebenso auf eine Verbesserung des Wissensstandes der Bevölkerung wie umgekehrt auf fehlende oder falsche Informationen zurückgeführt werden. Ebenso oberflächlich wäre es, die deutlich grössere Skepsis von Männern gegenüber der Berufstätigkeit von Müttern kleiner Kinder auf eine patriarchale, antifeministische Einstellung der Männer zurückzuführen. Die Frage nach dem Handlungsbedarf, der sich aus den vorliegenden Befunden ergibt, wird nur im Rückgriff auf Forschungsarbeiten möglich sein, welche zeigen, was Kinder für ihre Entwicklung wirklich brauchen. Das aber bleibt trotz des gesellschaftlichen Wandel immer gleich.

Lesetipp zum Thema “Frühkindlicher Stress in der Fremdbetreuung – Und seine langfristigen Folgen”:

http://www.fuerkinder.org/kinder-brauchen-bindung/experten-meinen/404-fruehkindlicher-stress-in-der-fremdbetreuung-und-seine-langfristigen-folgen