Hierarchische Anordnungen sind in jeder Institution, in der gelernt werden soll, das den Menschen natürliche, zugeordnete Prinzip. Es entmutigt nicht, es macht von Stufe zu Stufe Teilerfolge möglich.

Von Christa Meves

Dass Älteste und Einzelkinder zu Altklugheit neigen, bedarf der statistischen Absicherung nicht. Nur allzu oft hat sich das an der konkreten Beobachtung bewahrheitet. Und mit ein wenig gesunder Nachdenklichkeit ist auch herauszufinden, warum diese Eigenschaft bei den Zweiten in der Geschwisterreihe kaum noch, bei den Mittleren einer Orgelpfeifenfamilie überhaupt nicht mehr in Erscheinung tritt. Das hat bestimmte Ursachen: Die Ältesten haben vorrangig Erwachsene als Vormacher, die Jüngeren hingegen nehmen sich, kaum dass sie krabbeln können, dasjenige Geschwister zum Vorbild, das ihnen – anders als die Erwachsenen oder sehr viel ältere Geschwister – nur um ein paar Jährchen voraus ist. Das geht meist mit ausserordentlicher Rasanz vor sich. Das „Ich auch“ des kleinen Nachläufers ist oft von einer Durchschlagskraft, die die Eltern zweier Kinder geradezu verblüfft.

Diese kleinen, aber den Charakter stark prägenden Vorgänge sind Teil eines allgemeinen psychischen Gesetzes. Unser Nachahmungstrieb zieht die kleinen Schritte den grossen Schritten von Lern- und Entwicklungsprozessen vor, und das nach Möglichkeit den kontinuierlichen Stufungen einer Treppe ähnlich. Die Steilwand ist für den Lebensanfänger unorganisch und führt unter Umständen zum Versagen und Verzagen, weil das allzu hohe Vorbild zu fern, zu unerreichbar ist. Allein die unterschiedliche Körperlänge der familiären Vormacher ist deshalb bereits hinsichtlich der hierarchischen Grundanordnung in der Struktur unserer seelisch-geistigen Wachstumsprozesse sinnreich.

Hierarchische Anordnungen sind in jeder Institution, in der gelernt werden soll, – ganz egal, ob in Familie, Schule oder Kirche – das den Menschen natürliche, zugeordnete Prinzip. Es entmutigt nicht, es macht von Stufe zu Stufe Teilerfolge möglich. Es fördert, stützt und orientiert, statt am Überanspruch zu überfordern und zu Scheinreife = Altklugheit zu führen. Die Verleugnung der natürlichen Hierarchie zwischen Lehrern und Schülern – durch Lehreranbiederung – hat deshalb im Schulalltag des antiautoritären Zeitalters immer zum pädagogischen Misserfolg geführt. Die ihres eigentlich höherstehenden Vorbilds beraubten Schüler begannen, ihre Lehrer zu verachten und mit Unruhe und Opposition zu antworten.

Es täte dem superklugen Selbstbestimmer unserer Moderne gut, sich an diese Grundgegebenheiten unseres Lebens zu erinnern, um nicht an der Urversuchung zur Überheblichkeit zu scheitern. Die Eltern aber bekommen durch Grundwahrheiten dieser Art direkt von unserem Schöpfer eine fundamentale Berechtigung zur Familie mit mehreren Kindern.

Quelle: Meves aktuell, August 2020