„Ich glaube nicht, dass man in Zeiten des Internets mit Zensur viel gewinnen wird“, sagt der Jurist und Journalist Milosz Matuschek, der bis vor kurzem noch bei der NZZ tätig war, im Interview mit Zukunft CH. Cancel Culture und die Verengung des Debattenraums sorgen dafür, dass ein Bumerang-Effekt dieser Entwicklung entstehen wird, ist der Journalist überzeugt: „Einfach deswegen, weil sich Meinungen heutzutage immer schwerer zensieren lassen und sich immer neue Wege suchen.“

Von Benjamin Zürcher

Matuschek prognostiziert, dass es neue Kanäle und Plattformen mit neuen Communitys geben wird aufgrund der Zensur, die in letzter Zeit im Internet vermehrt stattfindet. Die Zensur, die Matuschek im Interview mit Zukunft CH betont, ist real. So löschen Plattformen wie Twitter oder Facebook immer wieder Inhalte, die laut ihrer Einschätzung diskriminierend oder unwahr sind. Selbst ganze Accounts werden von Social-Media-Seiten blockiert. Für die einen ist es die Befreiung von Hate Speech, für die anderen eine gefährliche Zensur. Der Leiter des Bild-Parlamentsbüros der deutschen BILD-Zeitung, Ralf Schuler schrieb im Juli letzten Jahres folgendes dazu: „Immer wieder finden sich unter den Löschungen bzw. Sperrungen Postings, etwa aus christlichen Kreisen, die gegenläufig zum Mainstream-Diskurs laufen. Ablehnung der Homo-Ehe, Kritik an der aktuellen Migrationspolitik oder islamkritische Wortmeldungen sind zwar grundsätzlich zulässig, werden aber offenbar vielfach eliminiert, weil man sie für dem gesellschaftlichen Klima nicht zuträglich hält. Nur ist genau das nicht Aufgabe von Hass-und-Hetze-Bekämpfung.1

Was eine legitime Meinung ist, und was gelöscht werden muss, entscheiden die grossen Internetplattformen selbst. Für Google ist die Grenze schnell erreicht. So entfernte Google 2020 das christliche Magazin „Christianity“ aus dem Google Play Store, nachdem die Zeitschrift sich der COVID-19-Pandemie gewidmet hat. Google begründete den Entscheid damit, dass das Unternehmen nur Publikationen zur Pandemie zulasse, die von einer Regierungsbehörde oder einer anderen staatlichen Stelle kommen2. Welche persönlichen Konsequenzen eine Äusserung auf den sozialen Netzwerken haben kann, zeigt der Fall einer Britin, die wegen der Aussage «Männer können keine Frauen werden», die sie via Twitter äusserte, ihre Arbeitsstelle verlor3. An dieser Stelle sei angemerkt, dass es falsch wäre, mit dem Finger nur auf Twitter, Facebook oder YouTube zu zeigen. Grosse Wirtschaftsunternehmen wie z.B. Coca Cola, Unilever oder Starbucks üben regelmässig Druck auf Online-Plattformen aus. So drohte Starbucks Facebook damit, keine Werbeanzeigen mehr auf der Internetplattform zu schalten, wenn das Unternehmen nicht entschiedener gegen Hate Speech vorgehe4.

Der Mut zur eigenen Meinung kann aber auch ausserhalb des Internets gefährlich werden. Dies zeigt am eindeutigsten der Fall der ehemaligen finnischen Innenministerin Päivi Räsänen, die u.a. für Ausführungen über das Thema Homosexualität in der Bibel, die sie vor über 15 Jahren in einer Broschüre niedergeschrieben hat, nun bis zu sechs Jahren Gefängnis drohen5. Auch Räsänen äusserte sich auf Social Media, so vertritt sie eine kritische Meinung zum Thema Transsexualität bzw. Transidentität. Allerdings würde es wohl nicht einmal eine Rolle spielen, wenn Räsänens Aussagen beweisbar wären, wie ein Fall einer österreichischen Dozentin zeigt, die verurteilt wurde, weil den islamischen Propheten Mohammed mit einer Neigung zu jungen Mädchen in Verbindung brachte. Dabei war Mohammeds Lieblingsehefrau Aischa bint Abi Bakr sechs Jahre alt, als Mohammed sie heirate und neun Jahre, alt als sie mit ihm das erste Mal geschlafen hat7.

Genauso wie die Wahrheit schützt auch Kuriosität vor Strafe nicht. 2010 wurde ebenfalls ein Österreicher zu einer Geldstrafe verurteilt, nachdem er sich dem Verunglimpfen religiöser Symbole strafbar gemacht hatte. Sein Vergehen: Er jodelte. Muslime zeigten den Mann daraufhin an, weil er mit seinem Jodeln angeblich einen Muezzin-Ruf parodierte8.

Die Tatsache, dass mit der Meinungsfreiheit auch die Versammlungsfreiheit in Gefahr ist, zeigt nicht nur der Fall der Lebensrechtsdemonstration „Marsch fürs Läbe“, die 2020 von der Stadt Zürich verboten wurde, obwohl das Verwaltungsgericht im Vorjahr den Bekenntnismarsch nach einem Verbot des Stadtrates erlaubte, da das Verbot der Stadt Zürich die Meinungsäusserungsfreiheit verletzte9. Auch im Ausland zeigt sich, dass Lebensrechtler immer wieder mit Versammlungsverboten in der Nähe von Abtreibungskliniken zu kämpfen haben. So möchte z.B. die Fraktion der sozialistischen Partei „Die Linke“ im Hessischen Landtag (Deutschland) ein Gesetz beschliessen lassen, dass Lebensschützern die Annäherung an eine Beratungsstelle für Schwangere, Klinik oder Arztpraxis bis auf 150 Metern verbieten soll9. Doch nicht immer sind Pro-Life-Aktivisten die Geschädigten: So werden in Grossbritannien öfter Strassenprediger festgenommen, verhört und kurzzeitig inhaftiert – vielfach, ohne danach verurteilt zu werden11.

Doch woher kommen diese Tendenzen, die die Meinungsfreiheit bedrohen? Der Grund für die zunehmenden gesetzlichen Einschränkungen der Meinungsfreiheit separiert sich in zwei Sparten. Der erste Grund ist das Lobbying, der zweite die internationalen Verstrickungen. Das Lobbying für freiheitsbeschränkende Gesetze kommt von finanziell gutgestellten Nichtregierungsorganisationen (NGO), linken Parteien, Gruppen von gesellschaftlichen Minderheiten12 wie die schweizerische Lobbyorganisation Pink Cross oder deren britische Gesinnungsgenossen Stonewall und von internationalen Kommissionen wie die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) des Europarates, die auch der Schweiz regelmässig „dringende Empfehlungen macht“, wie ein Papier der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus zeigt13. Diese dringenden Empfehlungen einer Kommission, in deren Leitungsbüro übrigens kein einziger Schweizer Einsitz hat14, drängen die Eidgenossenschaft u.a. dazu, „ein umfassendes Antidiskriminierungsgesetz zu verabschieden, das alle Diskriminierungsmerkmale und alle Bereiche abdeckt“ und „die Beratungszentren für Rassismusopfer durch höhere Mittel (…) und Personal zu stärken“, was auch ein ordentlicher Geldbetrag auf Kosten der Schweizer Steuerzahler auf Empfehlung einer Kommission mit Sitz im Ausland bedeuten würde.

Damit wären wir bei den internationalen Verstrickungen. Denn nicht nur die ECRI, sondern auch andere internationale Kommissionen und Zusammenschlüsse versuchen, auf die Politik der europäischen Nationalstaaten Einfluss zu nehmen. Wie z.B. die „Agentur der Europäischen Union für Grundrechte“ (FRA), die sich die „wirksame Bekämpfung der Äusserung negativer Meinungen über LGBT“ auf die Fahne geschrieben hat, wie aus einem Dokument von 2010 hervorgeht15. Der Ursprung der sogenannten „Hassrede“-Gesetze liegt in Regierungen von Ländern der späten 1940er-Jahren, die es heutzutage allesamt nicht mehr gibt – allen voran die UdSSR. Es sind internationale Übereinkommen des 20. Jahrhunderts, die von totalitär und kommunistisch regierten Nationen initiiert wurden, die heutzutage immer noch existieren und massiven Einfluss auf die Gesetzgebung vieler Staaten weltweit erheben16. Die Tatsache, dass die Nachfolgestaaten dieser kommunistischen Länder heute diejenigen sind, die am meisten mit dem Druck der europäischen Antidiskriminierungspolitik hadern, ist wohl die real gewordene Ironie der Geschichte.

In seinem „Wintermärchen“ machte sich der jüdische Dichter Heinrich Heine über die preussischen Grenzkontrolleure lustig17. „Mein Kopf ist ein zwitscherndes Vogelnest von konfiszierlichen Büchern“, ist wohl eines der bekanntesten Zitate aus seinem berühmtesten Werk. Damit meint Heine wohl, dass es keinen Sinn macht, Gesetze auf Kosten der Freiheit zu machen, um den Bürgern Sicherheit zu garantieren. Denn garantieren lässt sich die Sicherheit sowieso nichts. Und was ist, wenn es Menschen gibt, die tatsächlich widerliche Äusserungen tätigen? Der britische Schriftsteller und Journalist George Orwell (1903–1950) erkannte bereits vor langem: „Falls Freiheit überhaupt etwas bedeutet, dann bedeutet sie das Recht darauf, den Leuten das zu sagen, was sie nicht hören wollen.“
 

Quellen:

1 „zensiert“, Fontis-Verlag Basel, 1. Auflage 2020, S. 12
2: „zensiert“, Fontis-Verlag Basel, 1. Auflage 2020, S. 21
3: „zensiert“, Fontis-Verlag Basel, 1. Auflage 2020, S. 20
4: https://www.srf.ch/audio/echo-der-zeit/firmen-boykottieren-facebook?partId=11797831
https://www.hebergementwebs.com/unternehmen/hasserfullte-kommentare-starbucks-drohung-zu-beenden-facebook
5 https://www.die-tagespost.de/politik/aktuell/finnland-christin-drohen-sechs-jahre-haft-wegen-bibelversen;art315,217907
6 https://www.derstandard.at/story/1324170300225/fpoe-islam-seminar-urteil-zur-geldstrafe-bestaetigt-sabaditsch-wolff-will-kaempfen
7 https://www.zukunft-ch.ch/kinderheirat-im-islam/
8 „zensiert“, Fontis-Verlag Basel, 1. Auflage 2020, S. 93
9 https://www.kath.ch/newsd/marsch-fuers-laebe-wird-2020-erneut-verboten/
10 https://www.linksfraktion-hessen.de/index.php?id=1522&no_cache=1&tx_news_pi1[news]=104164&tx_news_pi1[controller]=News&tx_news_pi1[action]=detail
11 „zensiert“, Fontis-Verlag Basel, 1. Auflage 2020, S. 87–89
12 „zensiert“, Fontis-Verlag Basel, 1. Auflage 2020, S. 76+77
13 https://www.ekr.admin.ch/pdf/Stellungnahme_der_EKR_zu_den_ECRI_Empfehlungen_2020.pdf
14 https://www.coe.int/en/web/european-commission-against-racism-and-intolerance/ecri-bureau
15 Broschüre: „Homophobie, Transphobie und Diskriminierung aufgrund der sexuellen Ausrichtung und der Geschlechtsidentität – Aktualisierung 2010 (Vergleichende rechtliche Analyse)“ der FRA von 2010
16 „zensiert“, Fontis-Verlag Basel, 1. Auflage 2020, S. 51–53
17 „Deutschland. Ein Wintermärchen“, Anaconda Verlag Köln, Auflage 2005/Caput II, S. 11