Für den Staat stellt die Familie einen unersetzlichen Wert dar. Darum muss der Staat auch Verantwortung für ihr Wohlergehen übernehmen und Stabilität für Familien schaffen, so lautete eines der Fazite auf dem Fokustag für die Familie am 25. Oktober 2008 in Bern, bei dem Vertreter aus Politik und Familienorganisationen über das Thema „Stabile Familien – stabiler Staat“ diskutierten.
Hauptreferent des Fokustages, der von der Koalition für die Familie organisiert wurde, war Prof. Dr. Christian Seiler von der Universität Erfurt (Deutschland), der kurzfristig für den erkrankten Prof. Kirchhof einsprang und gleich zu Beginn auf die Aktualität des Themas hinwies: „Die Familie war einst ein Randthema, derzeit ist es in aller Munde.“ Doch woher kommt das gegenwärtige Interesse an der Familie? Neben den äusseren Bedingungen, die derzeit günstig für eine Rückbesinnung auf traditionelle Werte wie die Familie erscheinen, nannte der Professor für juristisch-öffentliches Recht auch den Wunsch nach Geborgenheit. Dieser Wunsch entstehe als Gegenreaktion auf die falsch verstandenen Individualisierung der letzten Jahre und die Unsicherheiten in Bezug auf die Themen Ökologie, Ökonomie und Sicherheitspolitik.

„Ungeborene Kinder werden niemals Eltern“

Doch die demographische Entwicklung gibt Anlass zur Besorgnis: Während für eine konstante Bevölkerungsentwicklung 2,1 Kinder pro Frau erforderlich wären, liegt die tatsächliche Geburtenrate in der Schweiz (1,4) und Deutschland (1,3) deutlich darunter. Die niedrige Geburtenrate potenziert sich somit immer weiter zu sinkenden Geburtenzahlen, „weil ungeborene Kinder niemals Eltern werden“, so Seiler, der selbst verheiratet und Vater von drei Kindern ist Diese Entwicklung führe in eine Abwärtsspirale, die sich allenfalls über Generationen aufhalten lasse.

Besorgniserregend sei ausserdem die Altersstruktur der Gesellschaft, da das Durchschnittsalter der Bevölkerung kontinuierlich steige. „Im Jahre 2050 wird mehr als jeder dritte Einwohner Deutschlands älter als 60 Jahre sein“, prognostiziert Seiler. Diese negative Bevölkerungsentwicklung wirke sich auf fast alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens aus: Überforderung der Sozialversicherungssysteme, Fachkräftemangel in der Wirtschaft, steigender Pro-Kopf-Anteil der Staatsverschuldung, Verlust der Gesellschaft an Dynamik und Erneuerungskraft. Doch die Bedeutung der Familie für das Gemeinwesen und auch den Einzelnen lasse sich nicht auf den „Reproduktionsfaktor“ reduzieren, so Seiler weiter. Dies greife zu kurz und berge die Gefahr, die Familie „zu institutionalisieren und sie dadurch abzuwerten“.

Familie als „Verantwortungsgemeinschaft“

Die Vorteile der Familie reichen weit darüber hinaus: Sie liegen in der Einheit, die sie bilde, mit einer umfassenden und lebenslangen Verantwortlichkeit füreinander. In dieser „Verantwortungsgemeinschaft“ wird der Grundstein für seelische Entfaltung gelegt, Werte und Wissen werden erlernt und die Fähigkeit zur Bindung und zum Austragen sozialer Konflikte. Der Staat kann dabei die elterliche Erziehung nur ergänzen, aber niemals ersetzen. Die Familie erweist sich als der wichtigste Träger und Übermittler jener kulturellen Bedingungen, unter denen Freiheit und Demokratie gelingen können. Die Familien erbringen für den Staat zudem eine Vielzahl an gemeinnütziger Entlastung, wodurch die Handlungsfähigkeit des Staates gesichert wird. Das deutsche Bundesverfassungsgericht beispielsweise spricht deshalb auch von der Familie als „Keimzelle“ einer zur Freiheit befähigten Gesellschaft. Deshalb wurden diverse Regelungen und Gesetze vom Staat aufgestellt, die die Familie schützen, anerkennen und fördern.

Betrachtet man sich allerdings die aktuelle Medienlandschaft, so wird überwiegend ein negatives Bild der Familie gezeigt (Scheidungen, von Eltern getrennt lebende Kinder, Kinder als Erwerbshindernis und Armutsrisiko). Doch darf hier der Sonderfall nicht mit dem Normalfall verwechselt werden, denn „das vermeintliche Auslaufmodell der Gemeinschaft von Vater, Mutter und Kindern bildet immer noch den Normalfall von Familie ab“, so Seiler. Die meisten Kinder wachsen nach wie vor bei ihren leiblichen Eltern auf. Der Familienwissenschaftler plädiert deshalb dafür, dass die Eigenkräfte der Familie verstärkt werden – gerade auch in problembehafteten Fällen – und erst im Notfall vom Staat beschnitten werden. Auch sei die Leistungsfähigkeit des Staates begrenzt und ein Eingriff oft mit erheblichen Nachteilen für die Kinder verbunden.

Bei der anschliessenden Podiumsdiskussion bekräftigte Nationalrätin Andrea Geissbühler (SVP) dieses Fazit und wies darauf hin, dass auch in ihrem Umfeld die meisten Frauen sich für das traditionelle Familienmodell entschieden. Auch Nationalrat Walter Donzé (EVP) sprach sich dafür aus, dass der Staat Angebote für die Familie zur Verfügung stellen solle, die Rollenverteilung aber den Familien überlassen werden solle und nicht dem Staat.

Nach Seiler brauchen Eltern vor allem drei Dinge zur Erziehung ihrer Kinder: Zeit, Geld und Infrastruktur. Ständerätin Christine Egerszegi (FDP) betonte dabei, dass im Normalfall höhere Löhne erst dann kämen, wenn man sie nicht mehr brauchen würde. Dadurch hätte die junge Familie heutzutage „kein Schleck“. Sie plädierte deshalb für die Möglichkeit der Steuerabzüge bei Familien: „Wenn Geschäftsessen abgezogen werden können, ist es doch mehr als recht, wenn das bei Familiensachen auch so ist.“ Alt-Nationalrat Markus Wäfler (EDU) erklärte, dass es wichtig sei, die Familien finanziell zu unterstützen. Jedoch solle nicht der Staat vorschreiben, sondern die Eltern entscheiden, was sie mit Beträgen, die sie vom Staat bekämen, machen. Nach Seiler sollen Gesellschaft und Gesetzgeber die Familie wieder als Verantwortungsgemeinschaft verstehen und ihr stärker vertrauen.

Mutter: die wichtigste Karriere

Auch aus der Diskussion zum Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf ging hervor, dass es nicht in allen Tätigkeiten oder Branchen gleich leicht sei, familienfreundliche Teilzeittätigkeiten einzurichten. Oft sei die berufliche Stellung eines Mitarbeiters ausschlaggebend. Geissbühler schilderte, wie der Beruf der Mutter oft abgewertet werde. Dabei sei Mutter „die wichtigste Karriere, die man machen kann.“ Werde man als Mutter nach dem Beruf gefragt und würde entgegnen, man sei Mutter, so bekäme man oft zur Antwort: „Ja, aber was machst du beruflich?“

„Die eigentlichen Veränderungen beginnen in einer Gesellschaft in unserem Denken“, betonte Seiler am Ende seines Vortrages ganz richtig. Wichtig sei deshalb die Vermittlung eines anderen Familienbildes – eines Bildes, das nicht negativ, von Armutsrisiko und Erwerbshindernis behaftet sei, sondern eines, das wieder Mut zur Familie mache. „Vor allem aber müssen wir uns daran erinnern, dass die Familie kein Gegensatz zur individuellen Selbstverwirklichung, sondern eine ihrer wichtigsten Ausdrucksformen ist.“

Von Beatrice Gall