„Menschen auf allen Kontinenten verfolgen mit Amnesty International ein gemeinsames Ziel: Eine Welt zu schaffen, in der die Menschenrechte für alle gelten.“ So stellt sich Amnesty International auf seiner Website vor. Doch mit „alle“ sind offensichtlich nicht ungeborene Kinder gemeint. Nur so lässt sich die Forcierung seitens AI für Abtreibung erklären.

Von Ursula Baumgartner

Die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ umfasst einen Katalog von 30 Rechten, die für alle Menschen gelten sollen. Darunter finden sich so grundlegende Rechte wie das Verbot der Folter, das Verbot der Sklaverei und das Recht auf Leben und Freiheit. In Artikel 30 schliesslich findet man eine Auslegungsvorschrift, die besagt, dass keine der vorliegenden Bestimmungen irgendjemandem das Recht geben soll, „eine Tätigkeit auszuüben oder eine Handlung vorzunehmen, welche auf die Vernichtung der in dieser Erklärung angeführten Rechte und Freiheiten abzielen.“

Vor diesem Hintergrund erscheint die derzeitige Unterstützung von Amnesty International (AI) bezüglich einer Petition von „Sexuelle Gesundheit Schweiz“ (SGCH) äusserst fragwürdig. Mit dieser soll erreicht werden, dass Abtreibung juristisch künftig nur noch als Frage der Gesundheit, nicht mehr als Straftatbestand behandelt wird. Die Grünen hatten dies bereits im Sommer im Rahmen einer parlamentarischen Initiative gefordert. (Wir berichteten, s. Artikel: Abtreibung ist keine „Frage der Gesundheit“!)

Menschenrechte für alle?

AI vertritt die Ansicht, dass durch völlige Freigabe der Abtreibung „die Rechte aller Frauen, Mädchen und Personen, die schwanger werden können, uneingeschränkt respektiert werden.“ Doch diese Rechnung geht nur auf, wenn man, wie es so oft geschieht, die bereits lebenden, aber noch nicht geborenen Kinder als Hauptbetroffene der Abtreibung aus der Gleichung streicht. Die WHO beziffert die Zahl der Abtreibungen weltweit jährlich auf etwa 56 Millionen. Bei jeder dieser Abtreibungen endet ein kleines, junges Leben im Mutterleib. Wie kann AI also behaupten, man sorge sich um die Einhaltung der Menschenrechte für alle, wenn das Recht auf Leben eines ungeborenen Kindes weltweit jedes Jahr 56 Millionen Mal mit Füssen getreten wird?

Rein statistisch betrachtet ist jeder zweite Embryo weiblich. Durch Abtreibung wird also mitnichten das Recht jeder Frau oder jedes Mädchens respektiert. Im Gegenteil – nimmt man die von der WHO angegebenen 56 Millionen Abtreibungen als Rechnungsgrundlage, bezahlen etwa 28 Millionen sehr, sehr junge Frauen jährlich mit ihrem Leben für dieses vermeintliche „Recht“ ihrer Mütter.

Ein Blick in die Statistiken

Im Vergleich zu den oben genannten Zahlen sei erwähnt, dass im Jahr 2020 weltweit knapp zehn Millionen Menschen einer Krebserkrankung erlagen. Etwa 18 Millionen Menschen sterben jährlich an Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Herzinfarkten und Schlaganfall. Trotzdem behauptet AI, unsichere Abtreibungen seien eine der häufigsten Todesursachen für Frauen. Setzt man jedoch die von ihnen angegebene Zahl dieser Todesopfer (so beklagenswert sie ohne Zweifel sind!) in Relation zur Gesamtzahl der Abtreibungen, ergibt sich eine Todesrate von 0,04 Prozent – bei einem Eingriff, der in den allermeisten Fällen medizinisch nicht notwendig, sondern anderweitig bedingt ist.

Es geht hier nicht darum, Tote gegen Tote aufzurechnen. Doch die Zahlen belegen, dass Abtreibung nach wie vor die mit Abstand häufigste Todesursache der Welt ist – und zwar für die vergessenen und wehrlosen Kinder. Und wenn eine Gruppierung wie AI, die sich die Einhaltung der Menschenrechte auf die Fahne geschrieben hat, diesen Vorgang als Menschenrecht einfordert, muss man für die stimmlosen Opfer seine Stimme erheben.

Die Entmenschlichung der Kinder

AI beklagt weiter: „Das Fehlen einer sicheren, rechtzeitigen, erschwinglichen und respektvollen Schwangerschaftsabbruchsversorgung ist ein grosses Problem der öffentlichen Gesundheit und der Menschenrechte.“ Doch AI kann sich nur unter einer Bedingung auf die Menschenrechte berufen, um ihr Engagement für Abtreibung zu begründen: wenn den Ungeborenen jede Menschlichkeit abgesprochen wird. Nur wenn das ungeborene, aber bereits existierende Kind nicht als Mensch angesehen wird, kann man Abtreibung als für die Frau „sicheren Vorgang“ bezeichnen, während sie eigentlich eine Tötung für ein anderes Leben bedeutet. Nur wenn das Kind zum „Zellhaufen“ degradiert wird, kann man es als „Problem für Gesundheit und Menschenrechte“ bezeichnen, wenn es an Abtreibungsärzten mangelt. Nur wenn die Frau kein Kind unter ihrem Herzen trägt, das bei der Abtreibung sein Leben lässt, kann man in diesem Zusammenhang überhaupt den Begriff „respektvoll“ verwenden. Stellt man sich aber der Tatsache, dass sich im Körper einer Schwangeren immer ein kleiner Mensch entwickelt, dessen Herz ebenso so schlägt wie das der Mutter, verstösst ein gefordertes „Recht auf Abtreibung“ klar gegen die eingangs erwähnte Auslegungsvorschrift in Artikel 30 der Menschenrechte.

Was bleibt?

Ein Blick in die Geschichte zeigt: Einen Teil der Bevölkerung zu entmenschlichen, führt nie zu mehr Recht, sondern immer zu mehr Unrecht. Aus diesem Grund war es überhaupt erst notwendig, z.B. die Sklaverei durch die Menschenrechte zu verbieten.

Was aber soll ein ungeborenes Kind denn sein, wenn nicht ein Mensch, dem aufgrund seiner Hilflosigkeit und Schutzbedürftigkeit erst recht alle Rechte zustehen? AI ist bestrebt, alle Menschen in den Blick zu nehmen. Dies zeigt sich, wenn biologische Frauen, die sich nicht als solche fühlen, als „Personen, die schwanger werden können“ in obige Liste aufgenommen werden. Wenn also sogar dieser kleine Prozentsatz der Menschheit Erwähnung findet, hätten dann die Kinder im Mutterleib nicht erst recht Aufmerksamkeit verdient? Anstatt diese also völlig zu ignorieren, wie es hier geschieht, könnte man sie wenigstens in den Menschenrechtskatalog aufnehmen als „Personen, die geboren werden können“?