Die Abgeordnetenversammlung des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes (SEK) hat sich am 5. November 2019 in Bern für die „Ehe für alle“ auf zivilrechtlicher Ebene ausgesprochen. Eine deutliche Mehrheit der Abgeordneten scheint sich in der Ehe-Frage nicht mehr an der Bibel, sondern an anderen Massstäben zu orientieren.

Laut Medienmitteilung des SEK stimmte das Kirchenparlament in der Schlussabstimmung mit 49 zu 11 Stimmen zugunsten der „Ehe für alle“. Der Entscheid bedeutet aber nicht schon die Einführung der kirchlichen Ehe für Homosexuelle. Wohl aber empfiehlt das höchste reformierte Gremium der Schweiz damit den kantonalen Mitgliedkirchen, den allfälligen neuen zivilrechtlichen Ehebegriff für die kirchliche Trauung vorauszusetzen. Dabei soll es den jeweiligen Pfarrern überlassen bleiben, ob sie tatsächlich gleichgeschlechtliche Paare trauen wollen, oder auch nicht. Die Gewissensfreiheit bleibt somit zumindest formal gewahrt.

Bereits seit Monaten hatte sich eine Mehrheit für die gleichgeschlechtliche „Ehe“ abgezeichnet, für die es in der Bibel keine Grundlage gibt. Und auch eine exegetisch glasklare, von mehr als 200 Pfarrern unterzeichnete Erklärung unter dem Titel „Habt ihr nicht gelesen…?“ vermochte das Blatt nicht mehr zu wenden. Dabei enthielt diese Erklärung – die alle relevanten Bibelstellen zum Thema Ehe in stringente Weise verknüpft – nichts anderes, als was bis vor wenigen Jahren von den Christen aller Denominationen weltweit unisono bekannt wurde: Die Ehe ist die in der Schöpfungsordnung grundgelegte Verbindung von Mann und Frau.

In die gleiche Richtung wie die Erklärung „Habt ihr nicht gelesen…?“ ging ein „Offener Brief an die Delegierten des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes“. Diese Initiative einer Gruppe von 14 Personen war von über 6‘200 Reformierten sowie von 2‘200 Personen aus anderen Kirchen mitunterzeichnet und am 4. November dem Präsidenten der SEK-Abgeordnetenversammlung übergeben worden. Die Unterzeichner baten die Abgeordneten des Kirchenbunds, der Eintracht in den reformierten Kirchen Sorge zu tragen und nicht für die Trauung gleichgeschlechtlicher Paare zu votieren. Doch an den klaren Mehrheitsverhältnissen im Kirchenparlament vermochten diese und weitere Initiativen nichts mehr zu ändern.

Die NZZ wertet das Abstimmungsergebnis vom 5. November als „Erfolg“ für SEK-Präsident Gottfried Locher. Dieser hatte – neben anderen Exponenten der reformierten Kirche sowie manchen kantonalen Kirchen – schon im Vorfeld klar Position für die „Ehe für alle“ ergriffen und mit umstrittenen Äusserungen für Schlagzeilen gesorgt. Einerseits vertrat Locher die These, die Ehe wäre nicht Teil des christlichen Glaubensbekenntnisses. Vielmehr sei das reformierte Eheverständnis schon immer vom Staat geprägt worden. Andererseits behauptete Locher, dass die Homosexualität Gottes Schöpfungswillen entspreche. Während also der höchste Schweizer Protestant die gleichgeschlechtliche Sexualorientierung mit dem Prädikat „gottgewollt“ als unhintergehbar und grundsätzlich unproblematisch als Fixstern an den reformierten Glaubenshimmel setzte, degradierte er die Ehe von Mann und Frau zum Konstrukt menschlicher Gesetzgeber. Damit hatte er seine Prioritäten klar aufgezeigt.

Was aus Sicht einer klaren biblischen Theologie von Lochers „Bekenntnis“ zu halten ist, zeigt die Erklärung „Habt ihr nicht gelesen?“. Das ergänzende Zueinander von Mann und Frau in geschlechtlicher Komplementarität sei in der Genesis grundgelegt und gemäss dem Matthäus- und Markusevangelium von Jesus Christus selbst als Ehebund bestätigt worden: „Habt ihr nicht gelesen, dass der Schöpfer sie von Anfang an als Mann und Frau geschaffen hat? Und dass er gesagt hat: ‚Darum wird ein Mann Vater und Mutter verlassen und seiner Frau anhangen, und die beiden werden ein Fleisch sein‘?“ (Mt 19,4-6)

Nur im Rahmen dieses Zueinanders sei, wie es in der Erklärung weiter heisst, die Weitergabe des Lebens möglich. „Der Schöpfungssegen (Gen 1,28), in dem der Ehesegen gründet, beinhaltet den Aspekt des Lebensempfangs und der Lebensweitergabe als Gottes Gabe. Die Heiligkeit menschlichen Lebens ist somit wesentlicher Grund für den besonderen Schutz und Segen der Ehe zwischen Mann und Frau.“

Die Erklärung verweist ferner auf die biblische Lehre vom Sündenfall, die es verbiete, von dem, was uns in der Natur begegne (der viel besagten gelebten Realität, Anm. der Redaktion), unmittelbar auf Gottes ursprünglichen Willen zurückzuschliessen. Das gilt offensichtlich auch im Hinblick auf die Homosexualität, die an keiner einzigen Bibelstelle als positiv oder auch nur neutral dargestellt wird. Was die Mehrheit der SEK-Abgeordneten beschlossen hat, kann – wenn man redlich sein will – nicht mehr als Bibel-Interpretation durchgehen. Locher & Co. mögen zwar die entscheidenden Stellen im Wort Gottes oft gelesen haben, doch scheinen sie damit schlicht und einfach nicht einverstanden zu sein.

Auch wenn darum die Gewissensfreiheit formal zugesichert wurde, dürfte der schwere Stand der Pfarrer, die sich noch klar zu den biblischen Grundlagen des Glaubens bekennen, weiter fortdauern. Sie mahnen in ihrer Erklärung: Die Frage, wie man zu Segensfeiern gleichgeschlechtlicher Paare steht, dürfe kein Zulassungskriterium fürs Pfarramt in den reformierten Landeskirchen sein. Und trotz der Dominanz des Zeitgeistes in den Strukturen der reformierten Kirche bekennen die Pfarrer mutig: „Auch wenn mit den Verlautbarungen des SEK und der Kantonalkirchen zur ‚Ehe für alle‘ der Druck, gegen das Gewissen und unsere theologische Überzeugung zu handeln, zunehmen wird, werden wir im Gehorsam gegenüber Jesus Christus für Amtshandlungen, zu denen wir nicht durch das klare Zeugnis der Schrift beauftragt sind, in aller Demut nicht zur Verfügung stehen und in der Verkündigung das biblische Wort entschieden bezeugen.“

 

Nachtrag (7. November 2019): Auch dieSchweizerische Evangelische Allianz SEA bedauert das Ja der Reformierten zur „Ehe für alle“. Zwar liege der Entscheid über die Einführung der kirchlichen Trauung für gleichgeschlechtliche Paare nun bei den 26 Kantonalkirchen. Der SEA-Vorstand habe aber insbesondere Bedenken in Bezug auf die Meinungs- und Gewissensfreiheit der Pfarrpersonen, heisst es in einer Meldung des Pressedienstes APD vom 7. November 2019.