Wer möchte nicht ein Europa, in dem Gewalt gegen Frauen keinen Platz mehr hat? Wer ist nicht der Überzeugung, dass Zwangsheirat, Genitalverstümmelung oder Zwangsabtreibung schwere Verbrechen sind, die strafrechtlich rigoros geahndet werden müssen? Die Europaratskonvention „zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“, zu deren Ratifizierung der Bundesrat in der zweiten Jahreshälfte 2015 eine Vernehmlassung durchführt, scheint genau diesem Ziel verpflichtet zu sein. Ein Blick in die 122 Seiten starke „Istanbul-Konvention“ zeigt aber, dass der Vertrag weit über sein vordergründiges Ziel hinausschiesst. Wir haben es mit einer systematischsten und radikalen Kodifizierung der Gender-Ideologie zu.
Wie schon in der Präambel unschwer zu erkennen ist, liegt dem Abkommen die feministische Gender-Ideologie zu Grunde, welche die in der Natur grundgelegten Unterschiede zwischen Mann und Frau weitestgehend negiert. Diese Unterschiede werden zu machtbestimmten gesellschaftlichen Konstruktionen erklärt, welche als Diskriminierung und als Gewalt gegen Frauen erkannt und beseitigt werden müssen.
Gender-ideologisches Fundament
Das Übereinkommen sieht einen grundlegenden Zusammenhang zwischen der Gewalt gegen Frauen und der mangelnden Gleichstellung der Geschlechter. Es schreibt darum vor, die Gleichstellung der Geschlechter in den Rechtssystemen der Unterzeichnerstaaten zu verankern und sämtliche diskriminierenden Vorschriften abzuschaffen. Gewalt gegen Frauen habe „strukturellen Charakter“ und sei einer der entscheidenden „sozialen Mechanismen, durch den Frauen in eine untergeordnete Position gegenüber Männern gezwungen werden“ (Präambel). Gewalt gegen Frauen stelle sowohl „die Ursache als auch die Folge ungleicher Machtverhältnisse dar, die auf zwischen Männern und Frauen wahrgenommenen Unterschieden beruhen und zur Unterordnung der Frau in öffentlichen und privaten Bereichen führen“ (Erläuternder Bericht, Ziffer 44).
Die Gender-Ideologie zeigt sich auch in den Begriffs-Bestimmungen der Konvention (Art. 3): „Gewalt gegen Frauen“ wird definiert als eine „Menschenrechtsverletzung und Diskriminierung der Frau“. Sie meint alle „Handlungen geschlechtsspezifischer Gewalt“, wobei Geschlecht „die gesellschaftlich geprägten Rollen, Verhaltensweisen, Tätigkeiten und Merkmale“ bezeichnet, „die eine bestimmte Gesellschaft als für Frauen und Männer angemessen ansieht.“
Zwar trifft es zu, dass in manchen Kulturen Frauen nach wie vor starker Diskriminierung ausgesetzt sind und dass diese durch die Einwanderung auch bei uns wieder aktuell geworden sind. Das Problem der Konvention bzw. der Gender-Ideologie ist aber, dass sie Unterschiede zwischen Männern und Frauen grundsätzlich als Diskriminierung ansieht und die Möglichkeit natürlicher Unterschiede zwischen Mann und Frau ganz ausblendet. Dass sich Geschlechtsunterschiede z.B. bezüglich Berufswahlverhalten oder Beteiligung am Erwerbsleben mit zunehmendem Wohlstand und der damit verbundenen Mehrung der Wahlmöglichkeiten noch deutlicher zeigen können, ist hinlänglich belegt, wird in der Konvention aber einfach ignoriert.
Ignoranz harter Fakten
Eine im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms zur „Gleichstellung der Geschlechter“ (NFP 60) durchgeführte Studie zeigt z.B., dass von den Schweizer Jugendlichen weniger als 1 Prozent einen geschlechtsuntypischen Beruf wählt. Dass geschlechtersensible Erziehung diese Verhältnisse kaum verändern kann, zeigt das Beispiel des Gender-Vorzeigelandes Norwegen, das mit 32 Prozent einen weniger hohen Frauenanteil in den Studienrichtungen Naturwissenschaften, Mathematik und Information aufzuweisen hat als etwa die deutlich ärmeren Länder Türkei (39 Prozent) oder Portugal (50). Ähnliches zeigt sich bei der Erwerbsquote von Frauen, die in der Schweiz mit 77,6 Prozent im OECD-Vergleich einen Spitzenwert erreicht. Im Unterschied zu anderen westlichen Ländern arbeiten Frauen hierzulande aber oft nur Teilzeit. Das deutsche „Institut für Demographie, Allgemeinwohl und Familie“ (I-DAF) bringt diese Fakten mit dem hohen Wohlstand in der Schweiz in Verbindung, welcher die Wahlmöglichkeiten für Frauen vergrössert und zu Tage fördert, was Frauen spontan wollen. In völliger Blindheit gegenüber diesen harten Fakten wertet die Konvention die Geschlechtsunterschiede ausschliesslich negativ. In marxistisch-feministischer Denktradition stehend, vermag sie Unterschiede nur als durch Machtverhältnisse hergestellte Instrumente der Unterdrückung zu sehen.
Systematische und teure Eingriffe in die Gesellschaftsordnung
Zur Prävention von Gewalt sieht die Konvention folglich Massnahmen vor, „um Veränderungen von sozialen und kulturellen Verhaltensmustern von Frauen und Männern mit dem Ziel zu bewirken, Vorurteile, Bräuche, Traditionen und alle sonstigen Vorgehensweisen, die auf der Vorstellung der Unterlegenheit der Frau oder auf Rollenzuweisungen für Frauen und Männern beruhen, zu beseitigen.“ (Art. 12)
Regelmässige „Kampagnen und Programme zur Bewusstseinsbildung auf allen Ebenen“ sollen dazu dienen, „in der breiten Öffentlichkeit das Bewusstsein und das Verständnis für die unterschiedlichen Erscheinungsformen (…) von Gewalt“ zu verbessern (Art. 13). Nach Artikel 14 ist die „Aufhebung von Rollenzuweisungen“ auch „in die offiziellen Lehrpläne auf allen Ebenen des Bildungssystems aufzunehmen“.
Die Unterzeichner-Staaten sind ferner verpflichtet, die nötigen finanziellen und personellen Mittel zur Umsetzung der Konvention bereit zu stellen, eng mit den relevanten Nichtregierungsorganisationen (also mit feministischen Gruppierungen) zusammenzuarbeiten und deren Aktivitäten auch finanziell zu unterstützen (Art. 8 u. 9). Ferner sollen zur Koordinierung aller Massnahmen eine oder mehrere offizielle Stellen geschaffen werden, welche für die Umsetzung der Konvention zuständig sind (Art. 10). Die Einhaltung der Konvention durch die Unterzeichnerstaaten soll ferner durch eine internationale Expertenkommission (GREVIO) überwacht werden, die auch Eiluntersuchungen vor Ort durchführen kann (Art. 66).
Tradition und Religion unter Generalverdacht
Das Wissen um die ideologischen Prämissen der Konvention sollte auch zu denken geben, wenn diese den Staaten vorschreibt, sicherzustellen, „dass Kultur, Bräuche, Religion, Tradition (…) nicht als Rechtfertigung für in den Geltungsbereich dieses Übereinkommens fallenden Gewalttaten angesehen werden“. (Art. 12) Anstatt sich gezielt auf unbestritten problematische Phänomene wie Zwangsheirat oder Ehrenmord zu fokussieren, werden alle gesellschaftlichen Gestaltungskräfte, die nicht mit der Gender-Ideologie konform sind, unter Generalverdacht gestellt.
In Anbetracht dessen, dass für die Konvention prinzipiell jede faktische Ungleichheit zwischen den Geschlechtern als Gewalt gegen Frauen geahndet werden kann, wächst die Gefahr des Rechtsmissbrauchs auch durch die weit und sehr vage gefasste Bestimmung des Begriffs „Gewalt“. Diese könne körperlicher, sexueller, aber auch psychischer oder wirtschaftlicher Art sein (Art. 3). Was z.B. mit „wirtschaftlicher Gewalt“ gemeint sein soll, wird gar nicht erläutert. Die Bedeutung von „psychischer Gewalt“ bleibt zumindest sehr vage. Für eine Konvention, welche die Frau „strukturell“ und somit permanent in der Opferrolle sieht, ist die Gefahr einer ausufernden Interpretation nicht von der Hand zu weisen. Damit verbunden laufen Gesetzgebung und Rechtsprechung Gefahr, sich unter dem Druck politischer Korrektheit von einer sachgeleiteten Praxis zu entfernen und einem ideologischen Krieg zwischen den Geschlechtern Vorschub zu leisten.
Eine solche Fehlentwicklung hat der der Jurist und Philosoph Drieu Godefridi in seinem Buch „De la violence de genre à la négation du droit“ für Frankreich nachgewiesen, seit dieses 2010 den Straftatbestandes der „psychischen Gewalt gegen Frauen“ eingeführt hat.
Fast schon totalitär mutet Artikel 4 der Konvention an, wo es heisst: „Besondere Massnahmen, die zur Verhütung von geschlechtsspezifischer Gewalt und zum Schutz von Frauen vor Gewalt erforderlich sind, gelten nicht als Diskriminierung im Sinne dieses Übereinkommens.“ Somit haben die Autoren der „Gefahr“ vorgebeugt, dass jemand auf die Idee kommen könnte, die Konvention gegen die (z.B. im Falle von Frauenquoten) Männer diskriminierende feministische Agenda ins Feld zu führen.
Ratifizierung verhindern
Die Istanbul-Konvention ist trotz zahlreicher guter Ansätze wegen ihrem ideologischen Fundament nicht annehmbar. Ziel kann es daher nur sein, den Bundesrat in der Vernehmlassung davon zu überzeugen von einer Ratifizierung dieses völlig schief gelagerten und potentiell äusserst schädlichen Dossiers abzusehen.
Von Dominik Lusser