Seit Februar 2024 dürfen in den Niederlanden schwerkranke Kinder unter zwölf Jahren getötet werden. Grund hierfür ist eine Änderung im Sterbehilfegesetz. Bislang war dies lediglich für Kinder über zwölf Jahren erlaubt. Unter 16 Jahren war die Zustimmung der Eltern erforderlich. Diese schockierende Entwicklung wirft einige ethische Fragen auf, die dringend beantwortet werden müssen.

Von Ursula Baumgartner

Die niederländische Neuregelung betrifft laut Innenministerium etwa fünf bis zehn Kinder pro Jahr, „bei denen die Möglichkeiten der Palliativmedizin nicht ausreichen, um ihr Leiden zu lindern“. In solchen Fällen dürften Eltern künftig darüber entscheiden, ob sie das Leben ihres Kindes beenden wollen.

Die Gefahr des Dammbruchs

Niemand will Kinder unnötig leiden lassen. Doch der niederländische Medizinethiker Theo Boer gibt zu Recht zu bedenken: „Wenn man den Weg eröffnet zur Tötung von Patienten, die nicht selber darum bitten können, sondern andere, dann habe ich Angst, dass wir schliesslich doch in die Richtung von 1941/42 kommen. Nämlich wo andere Leute entscheiden, ob ein Leben lebenswürdig ist oder nicht.“ Auf lange Sicht befürchtet Boer, der Ansatz könnte ausgeweitet werden auf Erwachsene, die ebenfalls nicht mehr in der Lage sind, sich klar über ihre Situation und einen eventuellen Sterbewunsch zu äussern. Demenzpatienten beispielsweise fielen in diese Kategorie.

Boers Sorge ist nicht unberechtigt. Allein im Jahr 2022 stieg die Quote der Menschen, die durch aktive Hilfe von Ärzten zu Tode kam, im Vergleich zum Vorjahr um 13,7 Prozent auf 8720 Fälle. Dies entspricht rund fünf Prozent aller Todesfälle in jenem Jahr in den Niederlanden.

Wo ist die Grenze?

Ist es ethisch vertretbar, einen Menschen zu töten? Wenn ja, aufgrund welcher Voraussetzung und in welcher Situation? Und wer dürfte es tun? Ist es ethisch vertretbar, Ärzte dazu zu bringen, die ihr Leben doch explizit dem Dienst an der Gesundheit gewidmet haben?

Das Lindern von Leiden ist immer ein hehres Ziel, keine Frage. Aber Tötung ist keine Linderung mehr, sondern eigentlich finale Kapitulation. Zudem zeigt die Erfahrung, dass sich Grenzen immer noch weiter verschieben, wenn man sie etwas versetzt hat. Ein Beispiel: Laut dem Deutschen Ärzteblatt erlaubt das Gesetz in den Niederlanden die aktive Sterbehilfe eigentlich nur bei unheilbaren, unerträglichen Krankheiten. Doch auch Lebensmüdigkeit und Altersgebrechen gelten vielen Ärzten inzwischen als hinreichender Grund, Leben zu beenden. Wie lange wird es da noch dauern, bis Angehörige von Pflegebedürftigen über das Weiterleben ihrer Verwandten entscheiden dürfen?