In seinem Buch „Neun Monate bis zur Geburt“ beschreibt Dr. med. Michael Kiworr die vorgeburtliche Entwicklung des Menschen. Doch zwischen den „Fakten und Bilder(n)“, die der Untertitel verspricht, finden sich so viel Weisheit und Lebenserfahrung des Gynäkologen, dass das Buch, das bereits 2016 erschien, eigentlich viel mehr ist: ein Lebensratgeber.

Buchrezension von Ursula Baumgartner

Wussten Sie, dass Sie schon vor der Geburt Atembewegungen ausgeführt haben? Dass Sie im fünften Schwangerschaftsmonat gezielt auf Geräusche reagieren konnten und dass im zweiten Schwangerschaftsmonat ungefähr 100‘000 neue Nervenzellen pro Minute in Ihrem Gehirn gebildet wurden?

Und das ist noch nicht einmal das Erstaunlichste. Dies alles setzt nämlich bereits etwas voraus, was uns so selbstverständlich ist, dass wir selten darüber nachdenken und noch seltener darüber staunen: Das kleine kugelige Gebilde, das jeder Mensch in den ersten Tagen nach der Befruchtung ist, definiert plötzlich ein Vorne und Hinten, ein Oben und Unten sowie ein Links und Rechts. Entlang dieser Achsen bildet es dann Körperstrukturen aus.

Mit spürbarer Begeisterung nimmt der Gynäkologe Dr. med. Michael Kiworr seine Leser in „Neun Monate bis zur Geburt“ mit auf eine Reise durch die allerfrüheste Kindheit eines jeden Menschen. Seine Faszination springt auf den Leser über, wenn er beschreibt, wie die befruchtete Eizelle durch hormonelle Signale ihre eigene Einnistung in der Gebärmutterschleimhaut vorbereitet, wie einzelne Zellen mithilfe von speziell gebildeten „Füsschen“ an andere Orte innerhalb des Embryos wandern, um sich dort niederzulassen und Organe zu bilden, und wie das Herz in der dritten Lebenswoche des Embryos als erstes Organ seine Arbeit aufnimmt. Die detaillierten Beschreibungen sind getragen von grossem Respekt vor diesen komplexen Vorgängen. Durch Verwendung vieler Fachbegriffe gerade im ersten Drittel ist das Buch für Laien nicht immer leicht verständlich, obwohl die meisten Ausdrücke erklärt werden. Doch die vielen fesselnden Bilder helfen dem Leser, das Geschilderte zu begreifen.

Wenn Kiworr den Nährstoffbedarf einer werdenden Mutter in der frühen Schwangerschaft erläutert, die ethischen Probleme der Präimplantationsdiagnostik diskutiert oder den „Zeitraum bis zur Geburt“ aufgrund der juristischen Schutzlosigkeit eines Ungeborenen als den „gefährlichste(n) Lebensabschnitt für ein Kind“ bezeichnet (S. 152), bringt er seine Faszination und Ehrfurcht vor dem Leben zum Ausdruck. Der Mediziner belässt es nicht dabei, Vor- und Nachteile der Pränataldiagnostik abzuwägen, die so häufig das Todesurteil für behinderte Kinder bedeutet. Am Ende des Buches finden sich zahlreiche Links und Adressen, die Betroffenen in verschiedenen Situationen weiterhelfen. Der Wert eines jeden Lebens wird durch die Ansicht einer Mutter verdeutlicht, die in dem Buch sagt: „Ein behindertes Kind ist wie ein krummer Baum. Man bekommt ihn nicht gerade, aber man kann ihm helfen, Früchte zu tragen.“ (S. 159)

Kiworr scheut sich bei seinen Ausführungen nicht, vor den psychischen Folgen einer Abtreibung zu warnen. Zwischen 34 und 80 Prozent der Frauen zeigten nach einer Abtreibung seelische Erkrankungen. Dafür, dass sie oft nicht behandelt werden, macht der Arzt „Abtreibungsbefürworter“ verantwortlich, die sie „aus ideologischen Gründen schlichtweg leugnen“ (S. 104). Auch das Leiden der Ungeborenen bei einer Abtreibung findet bei ihm Erwähnung, wenn er darauf hinweist, dass ein Embryo bereits in der fünften Lebenswoche Schmerz empfinden kann.

„Neun Monate bis zur Geburt“ ist nicht nur eine Reise durch die Zeit vor der Geburt. Es ist ein leidenschaftliches Plädoyer für das Leben, für das Staunen und für die Demut vor einem Prozess, dem wir alles verdanken – und von dem wir doch letztlich bisher so wenig begriffen haben.

 

Michael Kiworr, Neun Monate bis zur Geburt: Fakten und Bilder, 2016, Bernardus Verlag, 192 Seiten, ISBN 978-3-8107-0251-7, CHF 21.90