Am 24. November 2013 steht mit der Abstimmung zur Familieninitiative der zweite bedeutende Entscheid zur Familienpolitik dieses Jahres an. Nachdem Volk und Stände im März den desaströsen Familienartikel zur Förderung der „Vereinbarkeit“ von Familie und Beruf abwenden konnten, geht es jetzt um eine Vorlage mit dem Ziel einer gleichmässigen steuerlichen Entlastung für alle Familienmodelle. Gerade aus den Gegenargumenten, mit denen der Bundesrat die Familieninitiative der SVP bekämpft, wird aber deutlich, dass die Mainstream-Familienpolitik weitgehend nichts mehr mit Familienförderung zu tun hat.
Der Bundesrat, der die Ablehnung der Initiative empfiehlt, begründet seine Haltung mit zwei Überlegungen, die sich bei näherer Betrachtung als nicht stichhaltig erweisen und zudem eine äusserst oberflächliche Sichtweise von Familie und Gesellschaft offenbaren.

Mit der Einführung eines Eigenbetreuungsabzugs würde, so das erste Argument, das Prinzip der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit erneut durchbrochen, nachdem dieses durch die Einführung eines Abzugs für die Kosten der Fremdbetreuung erst 2011 umgesetzt worden sei. Zweitens werde durch das jetzige Steuerrecht den Eltern eine von den Steuern unbeeinflusste Wahl der Betreuungsart ermöglicht, was unter anderem zu einem „höheren Anreiz für die Erwerbsaufnahme insbesondere bei den Müttern“ führe, während die Einführung eines Steuerabzugs für Eigenbetreuung die traditionellen Familien erneut bevorzugen würde.

Wirtschaftsfaktor Familie

Die Argumentation des Bundesrats mit der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ist inkonsistent, da sie einerseits die zusätzlichen Kosten für die Fremdbetreuung berücksichtigt, die unbezahlte und in Zahlen wohl auch schwer fassbare Arbeit der selbst betreuenden Eltern hingegen einfach ignoriert. Letztere aber ist, wie FDP-Vizepräsident Christian Wasserfallen in der Parlamentsdebatte eindrücklich dargelegt hat, als wirtschaftlich höchst relevant einzustufen:

„Wo würde die Schweiz heute stehen, wenn all diese Tausende von Stunden, die im privaten Rahmen aufgewendet wurden, nicht geleistet worden wären? Stellen Sie sich einmal diese Umkehrfrage, dann merken Sie, wie stark eingeengt die Optik der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit wirklich ist. Ich sage Ihnen klar, dass die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit dieser Familien sehr hoch ist – nicht zuletzt auch deshalb, weil diese Familien teilweise auf einige Dinge verzichten. Sie brauchen weniger Dienstleistungen, sie brauchen weniger Infrastruktur, sie pendeln nicht; sie brauchen einige Dinge nicht, die andere in Anspruch nehmen und die auch von unserer gesamten Gesellschaft finanziert werden. Das muss man hier eindeutig sagen. Wenn man die sogenannte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit mit einrechnet, dann sieht man, meine ich, dass die traditionelle Familie einen sehr hohen Wert für die Gesellschaft hat; sie ist die Basis, damit man überhaupt wirtschaftlich leistungsfähig sein kann.“

Schade ist, dass sich die Mehrheit der Freisinnigen diese weitsichtigen Gedanken nicht zu Eigen gemacht haben und sich stattdessen von der kurzfristigen Überlegung lenken lassen, dass dem aktuellen Fachkräftemangel einzig durch die Integration möglichst vieler Mütter in den Arbeitsprozess abgeholfen werden könne.

Das Märchen vom neutralen Staat

Christan Wasserfallens Plädoyer für die volkswirtschaftliche Relevanz der traditionellen Familie liesse sich aber noch über viele Seiten weiterführen, z.B. zu dem selten bedachten Faktum, dass nicht-berufstätige Mütter mehr Kinder haben als berufstätige und darum auch für den Arbeitsmarkt der Zukunft sowie die Altersvorsorge künftiger Generationen mehr leisten als andere. Wenn dem aber so ist, stellt sich die Frage, wieso der Bundesrat und die Mehrheit des Parlaments dennoch um keinen Preis das traditionelle Familienmodell fördern wollen, und stattdessen unter dem Deckmantel der Neutralität die Familie mit zwei berufstätigen Eltern voranbringen möchten. Hier aber zeigt sich, dass bei den Gegnern der Familieninitiative neben kurzfristigen wirtschaftlichen Überlegungen auch eine gehörige Portion gesellschaftspolitischer Ideologie im Spiel ist.

Familie respektieren, nicht konstruieren!

Anders gesagt, geht es letztlich um die immer mehr tabuisierte Frage, ob vielleicht doch nicht alle Weisen, Familie zu leben, gleich wertvoll und nachhaltig sind. In diesem Zusammenhang tut es gut, wenn eine grosse Partei wie die SVP an die Eigenverantwortung der Bürger appelliert und somit das Subsidiaritätsprinzip wieder ins Gespräch bringt. Dieses besagt, dass die gesellschaftlich übergeordnete Einheit der jeweils darunterliegenden bei Bedarf helfen soll, die ihr naturgemässen Aufgaben zu erfüllen. In Bezug auf die Familie aber besagt es, dass der Staat die Familie unterstützen und gleichzeitig von ihr fordern soll, ihren selbstverständlichen Pflichten – allem voran die Erziehung und Ernährung der Kinder – nachzukommen. Diese Sichtweise der Gesellschaft respektiert die natürliche Familie als nicht beliebige Grundlage der Gesellschaft und als bestmöglicher Ort des Heranwachsens und der gesunden Entwicklung künftiger Bürger. Doch scheint diese Überzeugung nicht einmal mehr unter Bürgerlichen allgemein verbreitet zu sein, wie die geradezu skandalösen Äusserungen von CVP-Nationalrat Gerhard Pfister gegenüber Radio SRF im Dezember 2012 zeigen. Richtige Familie sei für ihn überall dort, wo Kindeswohl gepflegt werde: „In diesem Sinn kann jede Umgebung, z.B. auch Schule, Familie sein.“

Bei der Auseinandersetzung um das Familienbild geht es aber nicht nur um Mode und Originalität, um veraltete und zeitgemässe Lebensentwürfe, als ob die Organisation einer Gesellschaft so beliebig wäre wie das Bauen eines Legohauses, sondern letztlich auch um Mögliches und Unmögliches. Die humanwissenschaftliche Forschung (Hirn- und Hormonforschung, Pädagogik, usw.) hat inzwischen mehr als deutlich gezeigt, dass Kinder keine Krippen, sondern die Zeit, Zuwendung und Zärtlichkeit ihrer leiblichen Eltern brauchen und dass das Fehlen dieses Lebenselixiers fatale individuelle und gesellschaftliche Konsequenzen hat. Denken wir nur an die zunehmende Zahl sprachgestörter Kinder oder die statistisch nachweisbare geringere psychische Belastbarkeit jüngerer Generationen.

Es gibt nichts zu vereinbaren

Anstatt sich um das zukunftstragende Kindeswohl und die Pflichten der Eltern gegenüber ihren Kindern zu bemühen, dreht sich aber die Schweizer Familienpolitik nur um die individuellen Entfaltungsmöglichkeiten der Eltern und insbesondere um die „Emanzipation“ der Mütter. Kinderfremdbetreuung soll subventioniert werden, damit Frau und Mann möglichst so leben können, als hätte sie nie geheiratet und keine Kinder. Mit so werbewirksamen wie illusorischen Begriffen wie der „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ wird sodann der Eindruck vermittelt, als habe das ganze Bemühen tatsächlich etwas mit Familienförderung zu tun. Eine Sackgasse, wie gerade auch der Standpunkt von Bundesrat Alain Berset zeigt: „Karriere und Kleinkinder unter einen Hut zu bringen“ sei für ihn nur eine Frage der guten Organisation und des Verständnisses innerhalb der Familie, verriet er Anfang 2013 der Elternzeitschrift „Wir Eltern“. Wie aber ein Säugling dafür Verständnis haben sollte, dass ihn seine Mutter nicht an ihrer Brust stillt, sondern von ständig wechselnden Krippenammen mit dem Schoppen füttern lässt, interessiert Alain Berset nicht.

Und so bleibt es dabei, dass die familienpolitische Diskussion dadurch verfälscht wird, dass alle jene, die gewisse Wahrheiten in Bezug auf die Familie für undiskutabel erklären, unter Ideologieverdacht gestellt werden, während doch heute die Ideologie – der verzerrende Blick auf die Wirklichkeit – gerade im Gewand des Relativismus daher kommt, der alles für Machbar hält. Ich hoffe nicht, dass wir erst ganzen Generationen das Lebensnotwendigste, nämlich die Zeit, Zuwendung und Zärtlichkeit ihrer Eltern, vorenthalten, bevor wir endlich merken, dass wir drauf und dran sind, im Namen der Familienpolitik unsere Zukunft zu zerstören. Am 24. November 2013 wird diesbezüglich eine wichtige Weiche gestellt.

Von Dominik Lusser