Der Kollateralschaden der Reproduktionsmedizin ist elternlos: Rund 500 Neugeborene warten derzeit offenbar in der Ukraine darauf, von ihren „Bestellern“ abgeholt zu werden, die aufgrund von Corona-Reisebeschränkungen nicht ins Land einreisen können. Die Lieferketten sind nicht nur bei sonstigen Waren des täglichen Gebrauchs weltweit unterbrochen, auch dort, wo der Mensch durch die Möglichkeiten der Reproduktionsmedizin in fremden Bäuchen gebrütet und als begehrtes Objekt gehandelt wird, wird er eben auch so behandelt: Als Objekt. Bestellt und nicht abgeholt.

Von Birgit Kelle

Eine der zahlreichen Reproduktionsunternehmen der Ukraine, BioTexCom, hat ein Video aus dem firmeneigenen Hotel in Kiew online gestellt, um in farbenfrohen Pastellbildern zu versichern, dass alles getan werde, um die allein hier beaufsichtigten, 46 Neugeborenen zu betreuen, bis es eine administrative Lösung gibt. Wir sehen einen Massenraum mit 46 Kinderwagen, wie es in den besten DDR-Zeiten nicht schöner hätte aufgereiht werden können. Schätzungen zufolge warten alleine in der Ukraine 500 Babys darauf, dass jemand sie heimholt. Weltweit werden ähnliche Probleme gerade auch in anderen Ländern entstehen, die die sogenannte „Leihmutterschaft“ legalisiert und damit den modernen Kinderhandel im Namen des Elternwunsches salonfähig gemacht haben.

Die Szenerie wechselt zwischen herzzerreissendem Brüllen, wenn der Anwalt von BioTexCom die Dringlichkeit des Problems vorstellt und wechselt dann zu Bilderbuchbildern von aufopferungsvollen Kinderschwestern, die bemüht sind, jedes Kind zu baden, zu schaukeln und zu füttern. Man veranstaltet Skypeanrufe zu den „Eltern“, die viele Fragen hätten und versucht, ihnen ihre Kinder zu zeigen. Und ja man könnte einwenden, diese Eltern können ja nichts dafür, dass ihr Kind gerade in einem 46-Betten-Saal brüllt, schliesslich wollen sie ihre Kinder ja holen, dürfen aber nicht. Damit ist es jedenfalls besser, als der Fall jenes australischen Paares, das einst Zwillinge bestellt hatte aber nur das gesunde Mädchen in Thailand abholte und den Jungen mit Down-Syndrom dort liess, man will ja kein Kind mit „Produktionsfehlern“.

Die Bestelleltern der ukrainischen Babys aus der Hotel-Warteschleife stammen laut Video aus Mexiko, den USA, aus Deutschland, Spanien, Italien, England, Frankreich, Bulgarien, Rumänien, Portugal und zahlreichen anderen Ländern. Ja, sie wollen das Kind noch, man könnte aber auch sagen: Wer solche Prozesse in Gang setzt, versursacht eben Kollateralschäden, gerade tun sie es bei unschuldigen Kindern. Und ich nehme an, dass wir nicht diskutieren müssen, dass ein Neugeborenes jedenfalls nicht versteht, warum es keine Eltern hat, warum diese nicht anreisen und warum es bereits seit Wochen oder Monaten in einem vollen Raum mit 45 anderen Babys liegt und zweimal täglich herausgehoben wird und dass da auch Skypekonferenzen nicht viel helfen, weil die Grundbedürfnisse eines Babys nicht mit „social distancing“ in Einklang zu bringen sind. In den besten Filmszenen sehen wir maximal sieben Mitarbeiterinnen gleichzeitig auf den adretten Bildern, deren Wahrheitsgehalt wir mal einfach wohlwollend stehen lassen. Jede von ihnen hat also etwa sieben Neugeborene zu versorgen und ja, die brauchen einen 24 Stunden am Tag.

Es ist unmenschlich was hier passiert und es ist neben zahlreichen anderen wichtigen Gründen, einer mehr, warum es keine Geschäfte geben darf mit Menschen, nicht mit Eizellen und nicht mit sogenannten „Leihmüttern“. Zumindest auf Englisch wird es umgangssprachlich so genannt, wie es ja auch ist: „Rent-a-womb“ – „miete einen Bauch“. Die Frau als Brutkasten reduziert, auf ihre Funktion des Gebärens.

Die Ukraine ist deswegen eine Art Eldorado der Reproduktionsmedizin gerade auch in Europa, weil es dort im Gegensatz zu den allermeisten Ländern legal ist, billig ist, und man ein garantiert weisses Baby bekommt, das optisch den mitteleuropäischen Standards genügt, weil die Bürokratie mitspielt und man nicht bis in die USA oder gar nach Thailand oder Indien reisen muss, um ein Kind zu erwerben. Wie praktisch. Man muss der Sache mit Zynismus begegnen, um nicht daran zu verzweifeln.

Szenenwechsel nach Berlin. Dort verhandelt die Staatsanwaltschaft gerade vor Gericht den Fall des Dennis S. aus Berlin-Hellersdorf. Er liess bei einer Leihmutter in Zypern ein Kind austragen, speziell einen Jungen. Im Juristendeutsch lautet der Vorwurf laut Anklage: „Die Anschaffung eines eigenen Kindes“ habe dem „Ausleben seiner pädophilen Neigungen“ gedient. Es existieren 16 selbstgedrehte Filme des Missbrauchs an dem kleinen Finn, der gerade mal dreieinhalb Jahre alt ist. Man war Dennis S. über pädophile Netzwerke auf die Schliche gekommen, wo er sich unter seinen Artverwandten mit der Anschaffung des Jungen gebrüstet hat und wo man wohl Filmchen im Darknet tauschte.

Ein Kind als Missbrauchsobjekt gezeugt und gekauft. Ja, auch das ist ein möglicher Kollateralschaden, wenn jeder ein Kind als Vergnügungsobjekt erwerben kann. Besonders pikant erscheint mir in dem Berliner Fall, dass es den Behörden offenbar jetzt erst seltsam vorkommt, dass ein Kind aus dem Nichts bei einem alleinerziehenden Vater lebt, der bereits 2017 wegen Verbreitung von Kinderpornographie verurteilt wurde. Hat damals im Prozess keiner überlegt, ob es wirklich gut ist, einen kleinen Jungen bei einem Pädophilen zu belassen? Wo ist das Jugendamt eigentlich, wenn man es wirklich mal braucht?

„Leihmutterschaft“ ist nicht niedlich, der Begriff trifft nicht den Kern. Es wird ja keine Mutter geliehen, sondern ihr Bauch als reine Brutstätte missbraucht und das Kind anschliessend jenem überreicht, der dafür gezahlt hat oder der sich rechtlich als „Eltern“ hat zuordnen lassen. In diesem Land kann man sich ausgiebig darüber echauffieren, ob das traditionelle Familienbild und die Hausfrau und Mutter, die freiwillig ihre eigenen Kinder auf die Welt bringt und grosszieht, durch Vertreter der christlichen Kirchen wohl als Brutkästen degradiert würden, derweil fehlt nach wie vor der Aufschrei, wenn Frauen tatsächlich gegen Bezahlung für Fremde als Brutkasten fungieren. Dann reden sich selbst manche Feministinnen das Ganze als „Reproduktions-Arbeit“ schön, es sind wohl dieselben, die ja auch Prostitution als „Sex-Arbeit“ mit Tariflohn wünschen.

Es widerspricht eklatant der Würde des Menschen, dass man ihn aus seiner Subjektstellung heraushebt, um ihn auf dem Weltmarkt der Reproduktionsmedizin als Produkt zu handeln. Es war ein langer Weg, Menschenhandel erwachsener Menschen weltweit zu ächten. Erwachsene nein, Babys ja? Auch einzelne Organe darf man weltweit nicht kaufen und verkaufen, weil der zivilisierte Teil der Welt jedenfalls argumentiert, dass das unethisch sei und das sonst im Übrigen auch der Ausbeutung armer Menschen in Dritte Welt Ländern Vorschub leiste. Niere nein, Kind ja?

Die beim Organhandel befürchtete Ausbeutung findet im Zuge der „Leihmutterschaft“ nun real mit armen Frauen in Thailand, Indien und ja auch in der Ukraine statt. Die Prostitution der Frau hat einfach eine neue High-End-Version erreicht: War es früher „nur“ die Sexualität der Frau, die man kaufen wollte, beutet man jetzt ihre Fruchtbarkeit aus.In diesem Sinne argumentieren auch die Professorinnen des Netzwerks „Gen-Ethik“, die in einem aktuellen Appell auflisten, warum sowohl Eizellspenden als auch die sogenannte „Leihmutterschaft“ europaweit verboten bleiben müsse, weil sie kommerziellen Interessen Vorschub leistet, Frauen und Kinder ausbeutet, soziale Ungleichheit und Ausbeutung von Frauen produziert. Reproduktionsfreiheit beinhalte nicht das Recht von Menschen mit Kinderwunsch, auf die Körper Dritter zuzugreifen heisst es dort unter anderem. Besser kann man es nicht zusammenfassen. Es gibt schlicht kein Recht auf ein Kind. Aber Kinder haben das Recht auf ihre leiblichen Eltern.

Gerade wird wieder laut nach Kinderrechten gerufen, gestern erst wieder im deutschen Bundestag. Fangen wir also an mit den Kinderrechten. Sie beginnen bei dem Recht, geboren zu werden, denn ohne Leben gar keine Rechte. Und sie enden nicht zuletzt bei dem Kinderrecht, wie ein Mensch und nicht wie ein Objekt behandelt zu werden.

Quelle: www.vollekelle.de