Auf grosses Interesse mit fast 300 Teilnehmern stiess auch der zweite Termin des von Safersurfing, der Sigmund Freud Privat Universität und dem Österreichischen Bundesverband für Psychotherapie gemeinsam veranstalteten Experten-Panels, das am 4. Mai 2021 das Augenmerk auf „Pornographie und Cyber-Grooming“ lenkte. Der erste Teil des Panels fand bereits im März dieses Jahres statt und stand unter dem Motto „Pornographiekonsum und psychische Gesundheit“. Die erneut von Maria Harmer (ORF) moderierte Veranstaltung diskutierte, wie man Kinder vor schädlichen Erfahrungen schützen, ihre seelische Resilienz aufbauen und Eltern medienkompetent machen könne. Rechtlicher Regelungsbedarf bestehe jedenfalls dringend.

Erschreckende Zahlen musste Dominik Batthyány, der Leiter des Instituts für Verhaltenssüchte an der Sigmund Freund Privatuniversität, nennen: Bereits 71 Prozent der 14- bis 17-jährigen Buben und 10 Prozent der gleichaltrigen Mädchen konsumierten wöchentlich, teilweise sogar täglich Pornographie. Der Erstkontakt sei dabei ungewollt meist bereits im Volksschulalter erfolgt. Sex werde in Pornos als etwas dargestellt, das jederzeit zur Verfügung stehe, Gewalt als normales Element inkludiert und Mädchen als Sexobjekt darstellt. Die sei nicht nur grundsätzlich problematisch. Auch die Nachahmungsgefahr sei hierbei nicht zu unterschätzen.

Wegbereiter für sexuelle Übergriffe

Diese Gefahr bestätigte auch die Dipl.-Psychologin und Trauma-Therapeutin Tabea Freitag von „return“ – Fachstelle Mediensucht, Hannover. Pornographie führe bei Kindern zu einer sexualisierten Wahrnehmung der Umwelt. Seit Corona und dem damit verbundenen Anstieg des Medienzugangs habe es eine signifikant starke Zunahme von Elternanfragen gegeben, deren 11- bis 13-jährige Kinder sich selbst im Netz verkauft hätten. In den überwiegenden Fällen hätten die betroffenen Kinder im Vorfeld Pornographie konsumiert. Erschreckend sei, dass auch der sexuelle Missbrauch der Kinder untereinander ansteige – es werde gleichsam an anderen Kindern umgesetzt, was man aus Pornos kenne. Durch den freien Zugang einerseits und die Tatsache, dass Pornografie-Konsum bei Kindern nach wie vor ein Tabuthema sei und es an der notwendigen Sensibilisierung für das Thema fehle, sei die Gefahr besonders gross. Als gefährlicher Wegbereiter für sexuelle Übergriffe fungiert dabei auch die Kombination der Einstellung „Es ist doch nur Sex“ und „Du hast ein Recht darauf“, so Freitag.

Täter locken Kinder im Netz schrittweise an

Welche Gefahr Kindern und Jugendlichen durch Cyber-Grooming drohe, führte Paul Plener, Leiter der Kinder- und Jugendpsychiatrie der MedUni Wien und Experte für Trauma-Folgestörungen näher aus. Der Begriff Cyber-Grooming bezeichne ein Verhalten, das viele Elemente des Missbrauchs in sich habe: Täter näherten sich auf unterschiedliche Weisen im Netz an Kinder und Jugendliche heran und versuchten, ihr Vertrauen zu gewinnen. So gelangten sie an Geheimnisse oder Bildmaterial, die diese erpressbar mache und zu Handlungen, sei es im Netz oder auch bei persönlichen Treffen, verführe. Besonders gefährdet seien vor allem nicht aufgeklärte Kinder oder solche, die Fremden gegenüber keine Grenzen setzen oder Dinge nicht hinterfragen würden. Der beste Schutz sei eine stabile Vertrauensbasis zu den Eltern, die aufgefordert seien, eine „gute Draufsicht auf ihre Kinder“ zu haben, betonte der Experte.

Stabiler Selbstwert und erwachsene Bezugsperson

Jakob Pastoetter, Sexualwissenschafter und Kulturanthropologe, hob die Wichtigkeit, Sexualität als ganzheitliches Konzept an die Kinder weiterzugeben, hervor. „Erst die Trennung von Sexualität und Liebe habe ein Phänomen wie Pornografie gross werden lassen“, so der Sexualwissenschafter. Es sei viel gewonnen, wenn wir erkennen würden, dass Menschen in erster Linie soziale Wesen und nicht sexuelle Wesen seien. Das Thema „Bindung und Beziehung“ gehöre deshalb in die Sexualpädagogik integriert. Auch Grooming funktioniere nach diesem Prinzip, täuscht es doch ein Interesse an der Person des Kindes vor, das umso eher zu vom Täter gewünschten Handlungen verführt werden könne, wenn im Bereich Bindung und Beziehung ein Mangel bestehe.

Als Schutz nannte Pastoetter zwei Resilienzfaktoren: Eine erwachsene Bezugsperson zu haben, an die sich ein Kind vertrauensvoll wenden könne, sei notwendig für die Entwicklung. Über die eigenen Eltern und Verwandten hinaus könnten diese auch Trainer, Lehrer, oder dergleichen sein. Der zweite wichtige Schutz sei ein stabiler Selbstwert. Das Wissen über die eigenen Kompetenzen stärke ein Kind vor Angriffen von aussen.

Kinder- und Jugendschutz muss angepasst werden

Auf Aufklärung setzte Claudia Plakolm, NR-Abgeordnete und Jugendsprecherin der ÖVP. Ein bewusster Umgang mit Medien sei gefordert, der durch ein offenes Gesprächsklima über die Gefahren im Internet innerhalb der Familie bzw. des eigenen Zuhauses einerseits als auch in einer Stärkung der Medienkompetenz im Schulbereich andererseits gefördert werden solle. Kinder seien hinsichtlich der Medienkompetenz den Erwachsenen oft einen Schritt voraus. Nur ca. 1 Prozent der Eltern nützten derzeit Schutzfilter für den Internetzugang ihrer Kinder. Wichtig sei ganz allgemein der Ausbau des Kinder- und Jugendschutzes, hier sei auch das Suchtpotential mitzubedenken, das Pornografie immer beinhalte. „Informieren, kommunizieren und Enttabuisieren“ nannte Plakolm als weitere wichtige Handlungsansätze.

Prävention nimmt Eltern in die Pflicht

Tom Gobec, Gruppeninspektor im Bundeskriminalamt betonte: „Weil es derzeit im Internet so gut wie keinen Schutz gibt, sei Aufklärung umso wichtiger“. Präventive Massnahmen könnten nicht früh genug passieren, da durch die Nutzung von Smartphones bereits Volksschüler ungebremsten Zugang zum Internet hätten, so der Kriminalexperte. Kriminalprävention könne unter anderem durch Schaffung von Rechtsbewusstsein, Vermittlung von Sachinformationen sowie durch Entwicklung konkreter Handlungsstrategien geschaffen werden. Jürgen Ungerböck vom Bundeskriminalamt nahm Eltern in die Pflicht, einen bewussten Umgang mit Fotos und Daten ihrer Kinder zu setzen, um Tätern, die das Netz nach Daten durchstöberten, nicht unbewusst in die Hände zu spielen.

Der Mitveranstalter Safersurfing appellierte immer wieder, eine gute Vertrauensbasis zum eigenen Kind aufzubauen und mit diesem im Gespräch zu bleiben. Eine gute, fundierte Aufklärung sollte lieber zu früh als zu spät – jedoch immer altersentsprechend – stattfinden.

„Was offline gilt, muss auch online gelten“, dieser Aufruf an Politik und Gesellschaft wurde von allen Experten unisono und eindringlich gefordert. Die gesamte Paneldiskussion „Pornografie und Cyber-Grooming“ steht auf Youtube zum Nachhören zur Verfügung: Pornografie & Cyber-Grooming – YouTube

Quelle: Institut für Ehe und Familie, www.ief.at