Die Idee, zur Rettung des Klimas keine Kinder zu bekommen, wird immer populärer. Laut einer Leserumfrage von „20 Minuten“ vom März 2019 stimmen 52 Prozent dem Ansinnen zu, dass weniger Geburten im In- oder Ausland gut wären für das Klima. Doch der damit behauptete direkte Zusammenhang zwischen Kinderkriegen und Umweltbelastung ist eine problematische Verkürzung.

Ein Kommentar von Dominik Lusser

Die schwedische Studie Wynes u. Nicholas (2017), auf die man sich immer wieder beruft, um Kinderlosigkeit als ökologischen Akt zu legitimieren, geht nämlich von folgenden Annahmen aus: Ein zusätzliches Kind in den USA verursacht pro Jahr viermal mehr CO2 als ein Kind in China und gar 24 Mal mehr als eines in Nigeria. Als Vergleich: Wer zweimal über den Atlantik und wieder zurückfliegt, hat bereits mehr CO2-Ausstoss verursacht als ein afrikanisches Kind während eines ganzen Jahres. „Nicht die Bevölkerungszahl, sondern der Lebensstil macht den Unterschied“, kommentierte der Geobiologe Reinhold Leinfelder bereits 2017 zur schwedischen Studie. Abgesehen davon sei es zynisch, Kinder mit Autos zu vergleichen.

Jenseits der Frage, inwieweit der Mensch für den Klimawandel verantwortlich ist, hat im Frühjahr 2019 die deutsche Lehrerin Verena Brunschweiger mit ihrem Manifest „Kinderfrei statt kinderlos“ eine hitzige Debatte losgetreten. Ihre These: „Ein Kind ist das Schlimmste, was man der Umwelt antun kann.“ Wie man Neugeborenen ihren CO2-Ausstoss vorwerfen und gleichzeitig selbst weiter atmen kann, ist eine schwer beantwortbare Frage. Doch was steckt, abgesehen von Individualismus und Egozentrik, noch hinter der Kinderfrei-Ideologie?

Es scheint eine Auffassung vom Menschen zu sein, die diesen als Schmarotzer und Feind, als Gegensatz zur Natur versteht. Doch das stimmt keineswegs, wie der französische Philosoph Fabrice Hadjadj kürzlich im Magazin „Melchior“ (Nr. 10/2019) zu bedenken gab: Der Mensch sei, „ein natürliches Wesen, das gleichzeitig über die Natur hinausgeht.“ Er sei das einzige Lebewesen, das sich um andere Arten sorgen könne, „sogar ohne Eigeninteresse“. Kein Grund also, in Klima-Verzweiflung zu verfallen.

Hadjadj, der mit seiner Familie im schweizerischen Freiburg wohnt, rät, Ökologie weniger als theoretisches System zu denken, als vielmehr von da aus, wo sich die Natur für den Menschen an erster Stelle zeige: „im Familienleben“. Der Mensch wird in eine Familie hineingezeugt und geboren. Dort werden seine natürlichen Bedürfnisse nach Nahrung und Geborgenheit gestillt. „Die Welt zu retten, indem man die Kinder eliminiert“, findet Hadjadj „problematisch“. Denn das hiesse, „ein Paar müsste im Namen der Natur darauf verzichten, was ihm am natürlichsten ist.“ Das wahre Problem sei der verschwenderische Lebensstil, nicht die Kinderzahl. „Gerade das Familienleben hindert dich nämlich, dich im Konsum zu verlieren. Je individualistischer wir leben, desto grösser die Konsumexplosion.“

Der achtfache Vater weiss aus eigener Erfahrung: „Recycling steht in kinderreichen Familien an der Tagesordnung. Es sind ja nicht alle gleichzeitig klein und Zeit zum Shoppen hat man herzlich wenig.“ Der Lebensstil in der kinderreichen Familie sei stärker ans „oikos“ (griechisch für „Haus“) gebunden, von dem auch der Begriff „Ökologie“ stammt: „Man spielt gemeinsam, man lernt teilen und man macht keinen interkontinentalen Flug.“ Vieles deutet darauf hin: Wenn der westliche Mensch seine Einstellung zu sich selbst und zur Familie wieder ins Lot bringt, dürfte es auch der Welt besser gehen.