In Wil SG herrscht Weihnachtsstimmung. Bereits zum zweiten Mal inszenieren die Mitglieder verschiedener Kirchen die sogenannte „Weihnachtsreise“. Trotz neblig-kaltem Wetter ist die Fussgängerzone voller Menschen, rotgefrorene Nasen und leuchtende Kinderaugen prägen das Bild. Doch nicht alle Passanten freuen sich, dass Jesus heute in Wil geboren wird …

Ein Kommentar von Regula Lehmann

Stille Nacht in Wil. Beim Eintritt in die Fussgängerzone lasse ich mich auf der Meldestelle der römischen Volkszählung registrieren und tauche dann ein in eine ungewohnte Szenerie: Auf dem Dorfplatz residiert Herodes und Soldaten marschieren im Gleichschritt durch die Strassen. Von vielen bewundert, bewegen sich die zwei Kamele der Weisen aus dem Morgenland in wiegendem Gang durch die Altstadt. Maria und Josef ruhen sich samt Kind von ihrer langen Reise nach Bethlehem aus und lassen ihren warm eingepackten Sohn von den Krippenbesuchern bestaunen. Die Kinder zieht es zu den Hirten, sie streicheln den Esel und freuen sich an den kuschligen Lämmchen hinter dem improvisierten Holzzaun. Doch nicht allen ist es recht, dass Will für einen Tag zu Bethlehem geworden ist. Eine Frau vor mir ärgert sich über das „religiöse Zeug“, das ihr gegen den Strich geht. Ob sie sich bewusst ist, dass es ohne dieses „religiöse Zeug“ gar kein Weihnachten gäbe?

Aber bitte ohne Religion?

Dass es in Wil noch Platz für die heilige Familie gibt, ist alles andere als selbstverständlich. In immer mehr Städten und Schulen wird das Christkind vom eigenen Fest ausgesperrt. Die grosse Party wird mit dem Hinweis auf „Religionsfreiheit“ ohne das Geburtstagskind gefeiert. Unter dem Vorwand der Rücksichtnahme auf andere Kulturen gibt die Schweiz zunehmend ihr kulturelles und religiöses Fundament und Erbe preis – was nicht zuletzt von muslimischen Gläubigen als Schwäche und „Einladung“ interpretiert wird. Wo ein Religionsvakuum herrscht, versuchen andere Kräfte, den entstandenen Leerraum einzunehmen. Das führt kurzfristig zu einem konturlosen Gemisch, das niemanden zu begeistern vermag und langfristig die Unterdrückung des Christentums zur Folge hat. Und überhaupt ist ein Christfest ohne Christus so unsinnig wie ein Lichterfest ohne Lichter oder ein Winzerfest ohne Wein.

Christus als „Zeitenwender“

Die Geschichte Europas ist ohne das Christentum nicht denkbar. In unserer Zeitrechnung sprechen wir von „vor Christus“ und „nach Christus“. Das Christkind steht mitten in der Zeit und doch weit über ihr. Was es an Gaben mitbringt, geht weit über Glitzer und Konsum hinaus. Der König in der Krippe ist der Grund einer Hoffnung, die gerade in dunklen Zeiten hell aufleuchtet. Auch darüber spricht die Geschichte, sprechen Kirchenlieder, die in Zeiten voller Not und Ungewissheit verfasst wurden.

Die Stadt Wil hat mit der Durchführung der Weihnachtsreise eine gute Wahl getroffen. Oder wie es in einem der bekanntesten, deutschen Weihnachtslieder heisst: „O wohl dem Land, o wohl der Stadt, so diesen König bei sich hat. Wohl allen Herzen insgemein, da dieser König ziehet ein.“ Frohe Weihnachten!