Das bei uns immer noch geltende Verständnis von Ehe und Partnerschaft hat seine Wurzeln in der christlich-abendländischen Kultur, im biblischen Menschenbild. Versuche, dieses Verständnis aufzugeben, sind immer wieder gescheitert. Als Folge der Globalisierung und der Vereinheitlichungsbestrebungen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft ist jedoch erneut eine Bewegung im Gang, die Wurzeln der Ehe abzuschlagen und auf eine neue „moderne“ Grundlage zu stellen.
Diskussionen über die Ehe hat es seit dem Mittelalter immer wieder gegeben: Liebes- gegen Vernunftehe, Ehe als weltliche oder geistliche Institution, Ehe und Ehelosigkeit und neuerdings hetero- und homosexuelle Ehegemeinschaften. Was aber bisher kein Gegenstand der Diskussion war, ist die Überzeugung, dass die Ehe von lebenslanger Dauer und monogam ist. Doch auch in diesen beiden Punkten sind die Meinungen durch den Einfluss fremder Kulturen und Religionen und sonstiger sozialer Strömungen heute geteilt. Hat man früher um das rechte Verständnis für die Ehegemeinschaft gestritten, so wird inzwischen an ihrer zeitgemässen Daseinsberechtigung überhaupt gezweifelt. Von einer Krise der Ehe zu sprechen ist somit durchaus berechtigt. Die Krise zeigt sich u.a. in folgenden Tatsachen:

• Ca. 30% der Bürger in Mitteleuropa bleiben ledig.
• Ca. 50% aller Ehen in Mittel- und Westeuropa werden geschieden.
• Die Zahl Lebenspartnerschaften ohne Trauschein nimmt zu.
• Ehen werden immer später geschlossen.
• Multiple lockere Partnerschaften, die als sexuell anregend empfunden werden, nehmen zu.

Widersprüchlich erscheint die Tatsache, dass nach repräsentativen Umfragen immer noch die Mehrheit eine intakte Ehe und Familie für das Lebensglück als unabdingbar erachtet!

Die von unserer Gesellschaft angestrebte völlige Befreiung des Menschen von kulturellen Zwängen hin zur Identifikation mit dem neuen Gesellschaftstyp eines freiheitlich global-denkenden „Multi-Kulti-Kosmopoliten“ hat für eine „freiheitliche“ Leere gesorgt, in der Werte wie Treue, Hingabe, Pflicht und Verantwortung keine Rolle mehr spielen. Der „Homo Egoismo“ wurde damit geboren, der sich durch Spiel und Spass, Kosten-Nutzen-Optimierung im persönlichen Fortkommen sowie „unverbindliche Verbindlichkeit“ auszeichnet. Gier und Selbstbezogenheit sind zu moralischen „Tugenden“ hochstilisiert worden, nicht nur in der Frage der Ehegemeinschaft, sondern in allen Aspekten des menschlichen Zusammenlebens (siehe Weltwirtschaftskrise). In einer Zeit, in der die Menschen zunehmend an sich selbst und die Befriedigung der eigenen Bedürfnisse denken, sollen Ehe und Familie sozialen Rückhalt, emotionale Wärme und Geborgenheit „liefern“. Wie aber soll die Ehe dies bieten, wenn man nicht bereit ist, Verbindlichkeiten einzugehen?

Schutz des Staates noch bedingt vorhanden

Ehe und Familie stehen immer noch unter dem besonderen Schutz des Staates, aber die Inhalte, die es zu schützen gilt, haben sich verändert. Ehebruch galt bis in die 80er-Jahre des vorigen Jahrhunderts als eine schwerwiegende Verfehlung, ein Rechtsbruch sozusagen. Heute redet niemand mehr darüber. Einzig die Mehrehe, die Bigamie, wird bestraft. Und auch hier gibt es immer wieder Rufe nach einer neuen Regelung für Menschen anderer Religionsgemeinschaften, welche die Mehrehe befürworten. Die noch verbleibenden Rechte wie ein Recht der ehelichen Lebensgemeinschaft, ein Güterrecht, nach dem beide Ehepartner am erwirtschafteten Zugewinn beteiligt werden, ein gemeinsames elterliches Sorgerecht, gegenseitige Unterhaltsansprüche und ein gesetzliches Erbrecht, mindestens aber den Pflichtteil, sind schon seit Jahren im Visier der Kritik. Die Gleichstellung von Ehe und Konkubinat wird immer mehr akzeptiert und beschleunigt damit indirekt die Auflösung der Ehe in der bisherigen Form.

Modernes Denken vs. biblische Weisheit

Im Christentum hat die Ehe vor allem eine ordnende Funktion im Zusammenleben der Menschen angesichts des Chaos, welches durch die Abkehr des Menschen von der göttlichen Führung und Fürsorge entstand. Von daher ist die Ehe an das irdische Dasein gekoppelt, um die von Gott gewollte Verbindung zwischen Mann und Frau zu bewahren und zu beschützen. Im Gegensatz zur akzeptierten Forderung nach einer verbindlichen Regelung des Zusammenlebens zwischen Mann und Frau ist man in den letzten 50 Jahren zu der Auffassung gelangt, man wolle sich diesen „Zwang“ nicht mehr antun. Das Konkubinat wurde geboren.

Eine Heirat ist noch lange keine Ehe. Genauso wenig, wie die Liebe zwischen zwei Menschen allein die Ehe ausmacht. Erst in der Kombination von beiden Aspekten kann man im christlich-abendländischen Sinne eine Verbindung als „Ehe“ bezeichnen. Wollte man die Ehe definieren, so könnte man sagen, dass die Ehe der in der Liebe und aus dieser heraus aufeinander ausgerichtete gesamte Lebensvollzug von Mann und Frau ist, der durch öffentliche Kundgebung bekannt ist und vom Staat gesetzlich als Bund geschützt wird. Demnach ist die öffentliche und innerliche Verbindlichkeit beider Partner zueinander die Voraussetzungen für das, was man als Ehe im umfassenden Sinne bezeichnet.

Die Widersprüche modernen Denkens

Es gibt heute viele Menschen, die Angst vor dem „Gebundensein“ haben. Partner befürchten, ihre Liebe zueinander könnte gerade durch die Verbindlichkeit verlorengehen. Sie argumentieren, dass ihre Liebe so stark sei, dass sie eine Einbindung in das Rechtssystem nicht nötig habe. Wenn sie aber so stark wäre, warum sollte sie durch die entstehende Verbindlichkeit in der Ehe plötzlich so eine Schwäche erleiden, dass sie daran zugrunde geht? Liebe und Ehe werden hier nicht als deckungsgleich definiert. Und wenn Ehe und Liebe nicht Inhalte wie Treue, Verbindlichkeit, Dauerhaftigkeit, völlige Hingabe usw. beinhalten, sind sie in der Tat unvereinbar miteinander.

Weitere Widersprüche in diesem Zusammenhang:
– Wenn eine eheähnliche Gemeinschaft eine grössere Verbindlichkeit, Tiefe, Hingabe und Dauer der Beziehung anstrebt, dann ist sie gar keine echte Alternative zur Ehe, sondern bestätigt damit die bisherige Form!
– Wenn einer eheähnlichen Gemeinschaft die Angst vor Verbindlichkeit und Treue zugrunde liegt, nimmt die Liebe zueinander von vorherein Schaden.
– Wenn Verantwortung, Konfliktfähigkeit und Auseinandersetzung mit dem Anderssein des Partners unerwünscht sind, hat die Beziehung keinen Tiefgang und wird auf kurz oder lang versanden.

Ehe überholt?

Ist die abendländisch geprägte Ehe überholt? Ich glaube nicht, denn die biblischen Weisungen zur Ehe sind zeitlos, dem Zeitgeist nicht unterworfen. Die Ehe aus christlich-biblischer Perspektive hat die erklärte Treue Gottes gegenüber dem Menschen zum Vorbild. Sie ist keine „Liebe-Vernichtungs-Institution“, wie von vielen interpretiert, sondern der Anfang und das Ziel der Liebe zwischen zwei Menschen, wenn die Liebe als Hingabe, Treue, stärkendes Bündnis, Hort der gegenseitigen Geborgenheit und Verzicht auf den „Homo Egoismo“ verstanden wird. Ich glaube, dass christliche Werte zur Bewahrung der Ehe führen. Die seit dem Zweiten Weltkrieg zunehmende Abkehr von glaubensinspirierten Werten hat keine Vorteile, sondern Nachteile gebracht. Man denke nur an die finanziellen und sozialen Probleme im Zusammenhang mit Auflösungserscheinungen von Ehe und Familie. Die Sozialpolitik ist überfordert, die Kinder sind bei Scheidung psychisch wie sozial stigmatisiert, die betroffenen Ehepartner sind oft psychologisch, finanziell und gesellschaftlich ruiniert.

Können wir aus den Scheidungsraten, der quasi polygamen Lebensweise vieler Singles, der steigenden Zahl der Ledigen, der psychischen Entwicklung von Kindern geschiedener Eltern und anderen Entwicklungen positive Resultate für den Einzelnen und die Gesellschaft erkennen? Wohl eher nicht. Zu positiven Resultaten kommt man vor allem durch gelungene Ehen. Dabei hilft es, wenn die Pfeiler einer Ehe gestärkt werden: Treue, Vergebung, Hingabe, Achtung vor dem Anderssein des Anderen, Milde, Güte und Mässigung. Eine glückliche und gelungene Ehe ist nicht einfach, gerade in der heutigen schnelllebigen Zeit. Aber es lohnt sich, in sie zu investieren.

Von Dr. Richard Keller