Eine schon fast eingegangene, einst so fruchtbare Pflanze im Garten Eden ist nach reichlicher Wässerung zu neuem Leben erwacht und wächst nun im neuen Jahr neuem Leben entgegen. In symbolischer Darstellung ist damit von mir eine erstaunliche Neuheit gemeint: die Wiederbelebung der Wertschätzung einer schon fast verdursteten Randgruppe in den westlichen Gesellschaften: der Grosselternschaft.

Von Christa Meves

In der aufspriessenden Nachkriegsbevölkerung hierzulande war zunächst vor allem lange Zeit die Grossmutter meist noch ein zwingend notwendiger Ersatz für die in grosser Zahl gefallenen Väter gewesen. Aber nachdem im zerstörten Deutschland die schlimmsten Notstände erst einmal überwunden waren, inszenierten die vaterlos aufgewachsenen jungen Söhne und Töchter eine wilde Revolte gegen das Bürgertum. Sie proklamierten, dass nun die bürgerliche Familie und überhaupt alles Tradierte zu verschwinden hätte. So etwas wie Grosselternschaft z. B. sei mit Stumpf und Stiel auszurotten und das Ziel anzupeilen, in der Gesellschaft eine von ihnen allein diktierte Veränderung zu vollziehen. Ich erinnere mich z. B., dass mir 1972 ein verzweifeltes Grosselternpaar einen Brief ihres Sohnes vorlegte. Dieser teilte ihnen mit, dass sie zwar in einigen Tagen Grosseltern werden würden. Sie möchten nun aber zur Kenntnis nehmen, dass er ein aktiver Akteur der Veränderung sei: So hiess es wörtlich: „Wir machen nun total Schluss mit jeglicher Tradition. Wir wollen deshalb nicht, dass unser Kind zu Euch als Grosseltern in eine Beziehung tritt. Wir möchten Euch ersuchen, das zu akzeptieren.“ Abgeschaffte Grosseltern – stattdessen also Selbstverwirklichung, statt familiärem Zusammenhalt antiautoritäre Szenerie. Wenn auch selten so drastisch, trat dieser Ungeist für die nächsten 40 Jahre voll auf die Mainstream-Bühne der Gesellschaft.

Aber nun, mächtig hervorgekehrt bereits 2019 durch ein Papstwort, trat die Grosselternschaft wieder auf den Plan – wie durch ein Wunder. Die bisher geltende Ideologie lässt sich als Richtung in den Verhaltensweisen der Bevölkerung offenbar nicht mehr halten. Das bekunden nun sogar mehrere Meinungsumfragen: In hohen Prozentsätzen gehört bei jungen Menschen, besonders bei denen zwischen 20 und 30, eine Familie – und damit gemeint ist ein zusammenhaltender Clan – hauptsächlich zu ihrer Lebensplanung! Und das erweist sich keineswegs als eine Falschmeldung. Trotz oder gerade wegen all des Auseinanderdriftens in den vergangenen Jahrzehnten steht die Pflege familiärer Gemeinschaft neu in den dominanten Bemühungen der jungen Paare. So berichtete mir jetzt die Grossmutter eines jung verlobten Enkels, dass die in beiden Familien hochbetagten verwitweten Grossmütter, obgleich sie ziemlich weit entfernt wohnten, häufig an den Wochenenden von dem verlobten Paar besucht würden, um auch den alten, verdienten Personen der Familien auf diese Weise aktiv Wertschätzung und Dankbarkeit zu beweisen. Und auch wenn sie erst eine Familie wären, würden sie das fortführen, um ihren Kindern auf diese Weise den hohen Wert einer lebendigen Beziehung zwischen Grosseltern und Enkeln zu vermitteln. Ein anderer, ein 15-Jähriger, erzählte mir, dass er seine Grosseltern neu entdeckt hätte. Vor allem der Grossvater sei ein hoch interessanter Mensch, mit dem sich viel anfangen liesse, der ihm so viele alte Geschichten erzähle!

Was für eine Wende, welche wichtigen Schritte zur Sanierung einer Gesellschaft, die per Verführung in eine falsche Richtung abgedriftet war. Wie ist das ausgelöst worden? Nun, die Kinder heute erleben oft – in welcher Form auch immer – Eltern, die keine Zeit haben. Das Aufzuwärmende finden diese Jugendlichen im Gefrierschrank und auch in ihrer Seele erfahren sie ein unbewusstes Gefühl von seelischer Kälte, die sich trotz Putins Öl in warmen Räumen breitgemacht hat: Hektisch, flüchtig, überfordert ist der elterliche Alltag. In dieser Atmosphäre keimte deshalb bei den Kindern als Ersatz eine Naschsucht ohnegleichen auf. Aber Zucker ist auf die Dauer doch kein befriedigender Ersatz. Und so erleben z. Z. viele nachdenklich gewordene Jugendliche etwas, das innerlich zufriedener macht. Da ist eine Grossmutter, die erst einmal einen schmackhaften Auflauf oder eine frische Suppe anbietet, die dann Ideen hat, etwas gemeinsam miteinander zu machen: mit den Mädchen zu backen, mit den Jungen zu basteln. Und der Grossvater kommt auf die Idee, mit ihnen draussen zu fussballern. Mit strahlenden Augen verkünden diese Kinder zum Abschied, dass sie auf jeden Fall wiederkommen wollen!

Grosselternschaft kommt neu in Schwung! Was dürfen wir daraus schliessen und hoffen? Gehört so etwas wie ein gesunder Clan in Gottes Schöpfungsplan? Ist es deshalb förderlich, dass dadurch heute die Familienbildung in späteren Jahren stattfindet als früher, sodass es immer häufiger Grosseltern gibt, die bereits in Rente gegangen sind und Zeit haben? Für mich als Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin ist es geradezu befreiend, sich vorzustellen, dass hier gegen all die ideologischen Verführungen neu Kultivierung aufbricht. Denn längst hat sich doch uns Fachleuten gezeigt, dass diese eine Voraussetzung in der liebevollen dualen Beziehung hat. Die Wahrheit ist: Die Menschheit ist eigentlich auf ein Lieben in nahen Gemeinschaften gestrickt, und dazu ist die Familie das Urmodell des Schöpfers. Aber das lässt sich nur neu begreifen, wenn wir bei unseren Entscheidungen hinauffragen zu sinnvollen, zu befriedigenden Tätigkeiten, die den Begabungen entsprechen. Mit beglückender Zuwendung entdecken die Grosseltern nun neu bei erfreulichen Enkel-Besuchen: Plötzlich kommen sie bei den Enkeln mit alten Brettspielen, mit Mühle und Mensch ärgere Dich nicht, in Gemeinsamkeit an. Ein Enkel trägt nach grossmütterlicher Anleitung mit schönsten Backwerken, mit neuen Schneidereien, ein anderer mit neuen Handwerksarbeiten oder auch mit kunstvollen Zeichnungen bei. Mit strahlendem Lächeln sagen sie: „Ich habe jetzt mit grosser Freude entdeckt, was mir wirklich Spass macht – im Haus meiner Grosseltern! Das ist für mich ein toller Fund, dass ich jetzt Sinnvolles für meine Freizeit gefunden habe.“ Eine kaum für möglich gehaltene Hoffnung für die Kultur in Europa!