Wenn gleichgeschlechtliche Paare heiraten dürfen, gelten bald alle Paarkonstellationen und Lebensgemeinschaften als „Ehe“. Das entgrenzende Konzept der „Ehe für alle“ führt zu einer Sinnentleerung des Ehebegriffs.

Von Dominik Lusser

Deutschland hat 2017 die sogenannte „Ehe für alle“ eingeführt, was konkret bedeutet, dass neu auch gleichgeschlechtliche Paar heiraten dürfen. Doch bereits wird darüber nachgedacht, wie die „Ehe“ auf weitere Konstellationen und Lebensweisen ausgeweitet werden könnte.

Ehe ohne sexuelle Liebe?

Während die Grünen vor allem für die „Ehe“ mehrerer Erwachsener plädieren (in der sich z.B. die homosexuellen Adoptiveltern und die leiblichen Eltern eines Kindes zusammenschliessen könnten), plant die deutsche FDP ehegleiche Verhältnisse für mehrere Menschen, die einander verbunden sind, aber keine Liebesbeziehung unterhalten. Bei diesem Zivilpakt denken die Liberalen zum Beispiel an „Freunde, die einander pflegen, die Senioren-WG, die zusammenlebt und wirtschaftet, oder die alleinerziehende Mutter, die mit der Ersatz-Oma zusammenzieht – Menschen also, die einander verbunden sind, aber keine Liebesbeziehung unterhalten.“

Da die Ehe seit Sommer 2017 sowieso anders als zuvor definiert werde, sei die Argumentation der beiden Parteien konsequent, schrieb der Kolumnist Gunnar Schupelius am 5. Februar 2019 in der Berliner Zeitung: „Vor dem Bundestagsbeschluss galt die Ehe als Gemeinschaft von Mann und Frau, die dem Zwecke der Gründung einer Familie dient. Nur deshalb wurde diese Lebensform gegenüber allen anderen vom Staat privilegiert. Sie gilt als Keimzelle der Gesellschaft und wird auch im Grundgesetz hervorgehoben.“ Sei die Ehe aber erst einmal von der Familiengründung gelöst, stelle sich die Frage, ob man sie nicht auch von der sexuellen Liebe lösen müsse.

Schupelius formuliert die Frage noch auf andere Weise: „Darf der Staat überhaupt eine Lebensform einer anderen vorziehen, indem er ihr rechtliche und wirtschaftliche Vorteile verschafft? Eigentlich nicht. Und also ist der Zivilpakt der FDP die konsequente Fortsetzung der Öffnung der Ehe.“

An solchen Diskussionen und Fragen wird laut Schupelius deutlich, wie gross die Probleme sind, die die Einführung der sogenannten „Ehe für alle“ nach sich zieht: Denn wer definiert die Kriterien, nach denen der Zivilpakt vergeben wird? Und wer überprüft, ob sie erfüllt und eingehalten werden?

Einzigartige Vereinigung

Ähnliche Diskussionen würden auch die Schweiz einholen, sollte die „Ehe für alle“ eingeführt werden, über deren Umsetzung die Rechtskommission des Nationalrats seit geraumer Zeit brütet. Das zeigt schon die parlamentarische Initiative, mit der die Grünliberalen 2013 die „Ehe für alle“ auf die Traktandenliste der nationalen Politik gebracht haben. In deren Begründungstext heisst es:

„Menschen heiraten unter anderem, weil sie ihre Lebensgemeinschaft auf eine dauerhafte Basis stellen wollen, sich gegenseitig finanziell absichern und gegenüber der Gesellschaft ihre Verbundenheit ausdrücken möchten. Einem Teil der Gesellschaft in der Schweiz werden diese Rechte jedoch verweigert, ihnen steht eine Ehe zweiter Klasse in Form der eingetragenen Partnerschaft zur Verfügung.“

In diesen Sätzen klingt eine markante Umdeutung des Ehebegriffs an. Sie stellt nicht mehr die auf Dauer angelegte Lebensgemeinschaft eines Mannes und einer Frau in den Mittelpunkt, deren Vereinigung allein zum Ursprung neuen Lebens und somit zum Pfeiler des Fortbestandes der Gesellschaft werden kann. Es geht hier potentiell um jede Verbindung von Menschen, deren Beziehung zueinander die fürsorgliche (und möglicherweise auch die sexuelle) Komponente beinhaltet und die sich gesetzlich verpflichten wollen, Lasten und Nutzen des häuslichen Lebens miteinander zu teilen.

Was künftig als „Ehe“ anerkannt werden können soll, wird nicht einmal hinsichtlich der Anzahl der Partner explizit auf zwei begrenzt. Doch das ist nichts als logisch, seitdem die einzigartige Weise der körperlichen Vereinigung, die nur zwischen einem Mann und einer Frau möglich ist und der Weitergabe des Lebens dient, keine Rolle mehr spielen soll.

Entgrenzung

Es ist entlarvend, dass die grünliberalen „Ehe“-Umstürzler in der Bundesverfassung (Art. 14) den „Begriff ‚Ehe‘ durch den umfassenderen Begriff ‚Lebensgemeinschaft‘“ ersetzen wollen. Dazu wird eigens ausgeführt, dass „ein blosses Zusammenleben mehrerer Personen etwa in einer Wohngemeinschaft“ auch weiterhin nicht unter den besonderen Grundrechtsschutz fallen soll. Offenbar ist man sich bei den Grünliberalen der Abgrenzungsprobleme zwischen WGs und anderen faktischen Lebensgemeinschaften wie dem Konkubinat durchaus bewusst. Dieses aber wollen die Initianten genauso wie die eingetragene Partnerschaft explizit dem gleichen institutionellen Schutz unterstellen, wie ihn die herkömmliche Ehe geniesst. Dass Konkubinatspaare im Unterschied zu Ehepaaren auf grössere Unabhängigkeit setzen und jede öffentlich erklärte Verbindlichkeit meiden, fällt für die „Ehe“-Umstürzler bezeichnenderweise nicht ins Gewicht.

Damit wird die tiefere Absicht der „Ehe für alle“-Befürworter deutlich: Diese wollen auch zur „Ehe“ zulassen, wer sich aus freien Stücken und wohl überlegt für eine andere, eben unverbindlichere Lebensform entscheidet. Das kommt einer Sabotage des Instituts der Ehe gleich, dem die Gesellschaft nach wie vor ihren generationsübergreifenden Zusammenhalt wesentlich verdankt.

Das Problem, ja die Absurdität des gleichmacherischen Konzepts der „Ehe für alle“ liegt darin, dass es prinzipiell überall anwendbar ist, wo erwachsene Menschen miteinander leben. Die „Ehe“ wird so nicht einfach geöffnet, sondern ihres spezifischen Sinngehaltes entleert. So aber wird man es früher oder später als Diskriminierung taxieren, der Lebensgemeinschaft zweier Schwestern oder der Vater-Sohn-WG das Recht auf „Ehe“ vorzuenthalten. Dass solche Widersprüche gewöhnlich nicht dadurch aufgelöst werden, dass man einen Schritt zurück macht, sondern zwei nach vorne, zeigen mittlerweile Jahrzehnte gesellschaftspolitischer „Liberalisierungen“.

Ruin eines Ideals

Politik und Gesellschaft sind darum gut beraten, die Ehe so zu belassen, wie sie heute ist. Ihr Alleinstellungsmerkmal als auf Dauer angelegte Lebensgemeinschaft, die auf die Zeugung und das Gedeihen von Kindern angelegt ist, bietet eine legitime und gleichzeitig scharfe Grenze, mit der sich die Ehe von allen anderen Formen menschlicher Gemeinschaft abgrenzen lässt. Dass die Grünliberalen in diesem Zusammenhang von einer „Deklassierung aufgrund biologischer Unterschiede“ sprechen, die „mit einem liberalen Gesellschaftsbild und einem modernen Rechtsstaat unvereinbar“ sei, ist an sachlicher Inkompetenz und ideologischer Verblendung kaum zu überbieten.

Öffnen wir die Grenzen der Ehedefinition, geben wir die wahre Ehe der begrifflichen Unkenntlichkeit preis und ruinieren sie so als gesellschaftliches Ideal. Das aber ist genau das Ziel derer, die mit irreführenden Slogans wie „Es ist genug Ehe für alle da“ den Ehebegriff ad absurdum führen wollen.

 

Mehr zum Thema in der Broschüre „Plädoyer für die Ehe“ (Zukunft CH 2017). Bestellung unter: zukunft-ch.ch