Ein Kommentar von Antonia Holewik, Juristin und Leiterin der Abteilung Politik am IEF, zur Resolution für ein „Recht auf Abtreibung“.

Jede Schwangerschaft ist ein Wagnis, eine Hingabe und ein Geschenk. In besonderer Weise verdankt jeder von uns das Leben seiner Mutter, die ihn/sie neun Monate lang ausgetragen hat. Aufgrund dieser engen Verbindung zwischen Mutter und Kind am Beginn des Lebens kann die Schwangerschaft in Konfliktsituationen jedoch auch zu einer Zerreissprobe werden. Deshalb liegt es in der Verantwortung der Gesellschaft und eines jeden von uns, Schwangere in Notlagen jede nötige Unterstützung zukommen zu lassen, angefangen von finanzieller Hilfe, über das Aufzeigen von Perspektiven, eine ausführliche und einfühlsame Beratung, bis hin zur Entlastung im Alltag. Dabei darf das Leben des Kindes, das als Mensch mit ganz persönlicher Würde ausgestattet ist, bei aller Tragik gewisser Lebenssituationen nicht aus den Augen verloren werden. Es gilt also nach Auswegen und nachhaltigen Lösungen zu suchen, die sowohl die Mutter als auch das Kind mitberücksichtigen.

Angesichts dessen greift die Entschliessung des Europäischen Parlaments vom 9. Juni 2022 mit ihrer Forderung nach einem „Recht auf Abtreibung“ zu kurz. Sie reduziert die sexuelle und reproduktive Gesundheit und die damit verbundenen Rechte auf den Zugang zu sicheren und legalen Abtreibungen unter Ausklammerung des Kindes. Sie verkennt, dass es zuallererst darum gehen muss, solche Bedingungen zu schaffen, bei denen sich keine Frau genötigt sieht, eine Abtreibung vorzunehmen. Schliesslich gilt es in Umsetzung des Aktionsprogramms der Weltbevölkerungskonferenz von Kairo, das häufig im Zusammenhang mit der sexuellen und reproduktiven Gesundheit und den damit verbundenen Rechten zitiert wird, sich für eine völlige Eliminierung des Bedarfs an Abtreibungen einzusetzen.

Zudem stellt die vom EU-Parlament mehrheitlich erwünschte Aufnahme eines Abtreibungsrechts in die Charta der Grundrechte der Europäischen Union einen Verstoss gegen die europäischen Werte dar. Diese verlangen die Achtung der Würde eines jeden Menschen, unabhängig von jeglichen Kriterien, wie Herkunft, Alter, Gesundheit oder Status. Die Forderung sieht auch über die rechtlich festgelegte Kompetenzverteilung zwischen der EU und ihren Mitgliedstaaten hinweg. Schliesslich diskreditiert sich das Europäische Parlament durch die Entschliessung, indem es sich gestützt auf einen unrechtmässig veröffentlichten Urteilsentwurf des Obersten Gerichtshofs der USA in die Rechtsprechung und Gesetzgebung eines souveränen, demokratischen Landes einmischt.

Die Achtung der Rechtsstaatlichkeit und der Grundwerte darf nicht nur dann gelten, wenn sie politisch opportun und den eigenen Zwecken dienlich ist. Aus juristischer Perspektive gibt es im europäischen und internationalen Recht kein Recht auf Abtreibung. Vielmehr gibt es ein anerkanntes Menschenrecht auf Leben und Glaubens- und Gewissensfreiheit, wobei die Entschliessung eine Abschaffung der Gewissensfreiheit im Zusammenhang mit Abtreibungen fordert. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte überlässt es jedem Staat, gestützt auf die Europäische Menschenrechtskonvention, Angelegenheiten, die die Abtreibung betreffen, innerstaatlich zu regeln. Sexuelle und reproduktive Gesundheit und die damit verbundenen Rechte dürfen nicht als Vehikel für die Einführung eines Rechts auf Abtreibung missbraucht werden. Sie müssen in ihrer ganzen Bandbreite gedacht und vor allem darauf abzielen, Schwangere in ihrer Entscheidung für das Kind zu unterstützen und ihnen eine sichere Schwangerschaft und Geburt zu ermöglichen. Als Kirche und Gesellschaft müssen wir uns schliesslich für solche Rahmenbedingungen einsetzen, die Abtreibungen obsolet machen.

Quelle: Institut für Ehe und Familie