Politisch unkorrekte Gedanken zur Gendertheorie und was sie mit der Auflösung des Nationalstaats zu tun hat.

Von Paolo Becchi

Ein Mann und eine Frau; Anziehung und Verführung. Sie und er auf der Suche nach dem „Ding“, das wir Liebe nennen. Zwei werden eins. Ein Fleisch. Und dann? Aus ihrer Verbindung entsteht Leben. Das Kind wird sichtbar und in ihm die Liebe der Eltern.

Doch was heute zählt, ist die Ökonomie. Aber der Zeugungsakt, der wehrt sich. Warum? Das Neugeborene, das Produkt des Sexualakts, hat nichts gekostet. Es ist frei von Ökonomie zur Welt gekommen, dank Testosteron und Östrogen. Doch jetzt schlüpft das Geld auch unter die Bettdecke.

Was soll denn das heissen?

Der Sexualakt darf in der androgynen Gesellschaft der Zukunft nicht mehr riskiert werden. Er könnte an die Vergangenheit erinnern. Das einzig sozial tolerierte Geschlecht ist nunmehr das virtuelle. Wer Kinder will, der muss sie bald bezahlen, nicht für Kinder, aber für Embryonen.

Gibt es nicht diese überzähligen Eingefrorenen?

Nein, diese dienen nur wissenschaftlichen Zwecken und werden zerstört. Wer Kinder will, braucht tagesfrische Embryonen wie die Hühnereier aus der Region. Wer genug Geld hat, kann noch auswählen: schön, gross, blauäugig, intelligent; bei knapperer Kasse muss man sich mit der Budget-Variante begnügen.

Gut, aber was mache ich mit dem gekauften Embryo? Ganz einfach, du kaufst eine Gebärmutter. Es erinnert vielleicht etwas an die gekaufte Liebe im Bordell, die nie Liebe ist. Aber niemand wird mehr fragen: „Erwartet ihr ein Kind?“, sondern: „Wie viel hat der Embryo gekostet?“ Und was macht jemand, der homosexuell ist?

Umso besser, dann werden die Kosten sogar vom Staat übernommen, im Rahmen des Förderprogramms Unisex. Heute sind es nicht mehr die Homosexuellen, die provozieren, sondern jene, die immer noch Heteros sein wollen. Vielleicht wollen sie noch ein Kind zeugen, aber es wird verboten: denn es könnte die Homosexuellen diskriminieren, und deshalb hat der Staat in bester Absicht des Grundrechtsschutzes die künstliche Fortpflanzung für alle vorgeschrieben. Spätestens wenn wir künstliches Sperma herstellen können, braucht es den Mann nicht mehr. Statt Mann und Frau: mutierte Identitäten. Hybride.

Sind Sie jetzt übergeschnappt?

Mag sein. Aber unsere Gesellschaft auch. Die rohe Männlichkeit wird nicht mehr toleriert. Die Männer verweichlichen sich immer mehr, und die Frauen wissen mit diesen impotenten Männern nichts mehr anzufangen. Kein Wunder, geht die Geburtenrate zurück – ideale Bedingungen für eine androgyne, sexuell neutrale Gesellschaft mit nur mehr künstlicher Fortpflanzung.

Die androgyne, transsexuelle Gesellschaft ist die Überwindung dessen, was seit Hegel „bürgerliche Gesellschaft“ hiess. Doch auch der Staat wird „trans“-formiert: vom Nationalstaat zum transnationalen Staat. Androgyne Gesellschaft und transnationaler Staat ergänzen sich. Die Verneinung der Verschiedenheit der Geschlechter entspricht der Verneinung der Verschiedenheit der Völker. Jene zerstört die heterosexuelle Ehe als Grundstein der Familie, diese zerstört die Nation als Grundstein des Staates.

Verteidigt einer die traditionelle Familie, ist er homophob, verteidigt er die Nation, xenophob. In beiden Fällen ist er kriminell. Schützte der Staat einst die traditionelle Familie, fördert er heute die „regenbogenfarbigen“. Früher starb man ehrenvoll für das Vaterland, heute in Europa selbstverständlich für Maastricht.

Früher beschützte der Staat seine Bürger wie der Vater seine Familie, heute gibt es davon nichts mehr, und gerade dies wird als Vollendung der Demokratie und als Sieg über den Nationalismus angepriesen. Bei uns in Europa hat dies alles jenes Monster vollbracht, das sich Europäische Union nennt und für seine Zwecke alle Werte der traditionellen europäischen Identität, vor allem aber jene der nationalen Identitäten zerstörte. Es ist eine neue Form des Totalitarismus, jedoch eine viel subtilere als die früheren, dank ihrer Tarnung durch neoliberale Ideologien, für die die Freiheit und das Recht zwei Seiten einer Medaille sind. Freiheit, homosexuell zu sein, deshalb auch das Recht auf Ehe und Kinder.

Ist das nicht Teil unserer Freiheit?

Freiheit? Ja, endlich frei von allen Fesseln, ob familiär oder staatlich. Frei, geboren zu werden, deshalb auch abzutreiben, und frei mit einer Überdosis zu sterben, wenn die Psychopharmaka nicht mehr ausreichen.

Und wenn wir auch frei sind, uns in einem Restaurant in die Luft zu jagen, schlägt diese absolute Freiheit, wie schon Hegel sagte, in das exakte Gegenteil des Rechts um. Nämlich „im Religiösen der Fanatismus der Zertrümmerung“. Wo es den neoliberalen Eliten nicht gelingt, Europa zu zerstören, werden die islamischen Terroristen gerne in die Bresche springen.

Immerhin wird die Gleichheit vor dem Gesetz geachtet!

Gleichheit? Wohlverstanden geht es nicht mehr darum, die Würde jedes Menschen zu achten, nicht nur um den Respekt, der jedem schon um des schieren Menschseins zukommt. Nein, es geht um viel mehr. Wir müssen den anderen gänzlich, vollkommen als mit uns identisch anerkennen. Alle vereint in der abstrakten Vorstellung des Menschseins, die jegliche Verschiedenheit verneint. Männer und Frauen müssen die gleichen Lebensziele, Hobbys, Interessen, Geschmäcker und Gedanken haben, das gleiche Bad wie das gleiche Parfüm benützen. Urinieren im Stehen wird gebüsst, Epilation am ganzen Körper vorgeschrieben.

Alle gleich, von Kopf bis Fuss

Gleichheit gesteigert zu durchdringender Homogenität. Und verschiedene Völker müssen kulturell homogenisiert werden, wie jetzt in der EU. Die technokratischen Eliten, die die Welt regieren, tolerieren keine Verschiedenheit. Sie wollen ein einziges Geschlecht, eine einzige Sprache, eine einzige Währung, einen einzigen Staat, eine einzige Religion à la New Age, ein einziges gleiches Leben überall, bis ins Letzte geplant. Und die Individuen? Sie machen das Gleiche nach, als abstrakte individuelle Substanzen. Billardkugeln, die sich dann und wann touchieren, um schliesslich in einem Loch zu verschwinden. „Weltbürger“, die sich nicht unterscheiden. Kants Traum, für uns schon eher ein Albtraum.

So wie es im transnationalen Staat keinen Platz mehr hat für verschiedene Völker, so in der transsexuellen Gesellschaft für Männer und Frauen: Die Zukunft ist androgyn, ihr Ideal ein neutrales Humanoid, ein „Mann ohne Eigenschaften“ – wie Musil sagen würde –, ohne Charakter, perfekt integriert in den pervertierten Postkapitalismus, für den wir nur noch süchtige Konsumenten sind. Konsumiere und sterbe! Und dann hat der Staat auch noch Anrecht auf deine „Leiche“, um ihr die noch funktionierenden Organe zu entnehmen. Und dann? Dann wirst du verbrannt, deine Asche verstreut. Es bleibt nichts Körperliches zurück. Keine Spur.

An die Stelle der Symbole, Traditionen und Kulturen ist heute das „Gender“ getreten. Seine Botschaft: Das Geschlecht existiert nicht von Natur aus, sondern ist eine überholte gesellschaftliche Konstruktion. Man wird nicht als Mann oder Frau geboren, sondern wurde nur dazu gemacht. Mit welchen Geschlechtsorganen auch immer geboren, die Kinder müssen frei jeglicher Geschlechtszugehörigkeit aufwachsen können.

Das bedeutet auch die Freiheit, auch das eigene Geschlecht zu bestimmen. Den männlichen oder weiblichen Vornamen wird das Kind später selbst wählen können. Die letzte Errungenschaft der Menschenrechte: Männer und Frauen erlöst von ihrer Natur. Die definitive Abrechnung mit dem Naturrecht. Was dem Rechtspositivismus nicht gelungen ist, hat die „Gender Theory“ zustande gebracht. In Zukunft werden wir weder biologische noch soziale Geschlechter brauchen. Zeugen, Gebären, Stillen: von diesen biologischen Überbleibseln werden wir erlöst sein. Und auch sprachlich werden wir umdenken müssen, auf der Suche nach einer ultimativ geschlechtsneutralen Sprache. Sie wird die Krönung des politisch Korrekten sein. Männliche und weibliche Namen sollten zugunsten geschlechtsneutraler Neuschöpfungen aufgegeben oder dann auf typografische Sonderzeichen wie Sternchen enden.

Doch auch dies sind noch Übergangsphänomene. Für die menschliche Spezies ist in der androgynen Gesellschaft kein Bedarf mehr: Künstliche Befruchtung und Genmanipulation sind nur erste Vorboten des postorganischen Zeitalters des Cyborg und der Bionik. Der menschliche Körper wird vom Körper der Information abgelöst, einem Körper ohne Organe. Und die Spezies Mensch wird, wie Günther Anders prophezeite, antiquiert. Es ist das neue Zeitalter des Posthumanen, die jenes der Postmoderne ablösen wird. Die Gleichsetzung des Möglichen mit dem Erlaubten hat gleichsam über Nacht Dinge erlaubt, die noch vor kurzer Zeit unmöglich erschienen.

Was ist die Konsequenz daraus?

Die Unterschiede zu verneinen, bedeutet letztlich, Grenzen zu verneinen. Statt davor Angst zu haben, sind wir trunken von diesem Grenzverlust, diesem Irrlauf ins Nichts. Schon für Nietzsche „scheint der Mensch auf eine schiefe Ebene geraten – er rollt immer schneller nunmehr aus dem Mittelpunkte weg – wohin? Ins Nichts? Ins ‚durchbohrende Gefühl seines Nichts‘?“. Der Mensch schafft sich nun selbst aus dem Nichts und stirbt ins Nichts hinein.

Gott ist tot, nachdem sein Abbild im Menschen als Mann und Frau aufgelöst wurde. Gott ist tot, nachdem der Vater abgeschafft wurde. Vielleicht ist er mit dem Fortschritt der Wissenschaft vom mathematischen Gott Galileis zu einem virtuellen Gott geworden und der Mensch zu einem seiner Algorithmen.

Es besteht die grosse Gefahr, dass die Säkularisierung aus dem Ruder gerät, indem die verlorene Allmacht Gottes auf einen grössenwahnsinnigen und machtsüchtigen Menschen übergeht. Der Mythos vom Supermenschen könnte mit der Vernichtung des Menschen enden. Der Mensch ist daran, mit der Natur auch sich selbst zu übersteigen. Natürlich hat er schon immer in die Natur eingegriffen durch Jagd, Landwirtschaft, Industrie. Doch jetzt richtet sich der Eingriff auf den Menschen selbst.

Der Mensch hat auch schon immer die Mittel seiner Kommunikation verändert: Schrift, Druck, Rundfunk, Internet. Doch jetzt ist es das Informationssystem, das den Menschen zu verändern beginnt, seine Meinungen, Vorlieben, politischen Positionen, und ihn so in ein kybernetisches Produkt verwandelt. Aus denkenden Frauen und Männern werden künstlich intelligente, redende und schreibende Maschinen. Das Cyborg der Zukunft wird unser Bewusstsein mit jenem der Maschinen verschmelzen und so die Grenzen der Biologie sprengen, eine sich selbst weiterentwickelnde Software, die die Natur zur Nicht-Natur umprogrammiert.

Wohin läuft diese Entwicklung?

Das Ziel der Evolution wird ihr Ende sein: Gott, Mensch und Natur werden zu ausgedienten Paradigmen. An ihre Stelle treten postevolutive Körper, deren Körperlichkeit sich auf Informationsträgerschaft beschränkt.

Was virtuell war, ist natürlich geworden, und was natürlich war, virtuell. Doch Hegels Vernunft ist verpufft. Und auch die Sexualität. Keine Spannung, keine Gefühle, kein Schmerz mehr. Die künstlichen Intelligenzen, res cogitans und res exensa zugleich, brauchen das Fleischliche nicht mehr. Die glühenden Körper, die im Bett ein Fleisch wurden, sind wie eine Zigarette verglüht, von ihnen ist nur Asche übrig geblieben.

Die sexuelle Befreiung hat ihr Endziel erreicht: die Befreiung vom Geschlecht, den Sex-Appeal des Anorganischen, nach dem Motto: Wenn wir es schon nicht schaffen, eine Gesellschaft ohne Klassen herbeizuführen, dann doch wenigstens eine ohne Geschlechter.

Dieser Essay, der zuerst am 23 Oktober 2018 in der Basler Zeitung abgedruckt wurde, erscheint hier mit freundlicher Genehmigung des Autors. Paolo Becchi ist italienischer Rechtsphilosoph. Er lebt in Genua und lehrt an der dortigen Universität. Dieser Essay ist die gekürzte Fassung seiner Abschiedsvorlesung an der Uni Luzern, wo er als Ordinarius für Rechts- und Staatsphilosophie gewirkt hat.