Die Befürworter der „Ehe für alle“ behaupten, zwei Frauen könnten ein Kind genauso gut aufziehen, wie das ein Mann und eine Frau können. Darum sei die Samenspende für lesbische Paare kein Problem. Doch die Väterforschung zeigt, dass die Präsenz eines Papas entscheidend ist im Leben eines Kindes.

Von Alex Reichmuth

Auch homosexuelle Paare sollen heiraten dürfen und damit die gleichen Rechte wie heterosexuelle Paare erhalten. Das ist der Inhalt der Vorlage zur Einführung der „Ehe für alle.“ Das Schweizer Stimmvolk entscheidet am 26. September über die Gesetzesänderung. Die „Ehe für alle“ war Thema in der „Abstimmungs-Arena“ von SRF am letzten Freitag (siehe hier). Eine Schlüsselstelle der Sendung war nach rund einer Stunde, als die Runde über die Samenspende für lesbische Paare diskutierte. Die Vorlage will es lesbischen Ehepaaren erlauben, mittels Samenspende schwanger zu werden und ein Kind zu bekommen.
Die in der Sendung anwesenden Befürworter der „Ehe für alle„ behaupteten, es sei für die Entwicklung eines Kindes unerheblich, ob es von zwei Frauen oder von einem Mann und einer Frau grossgezogen würde. Wichtig sei nur, dass die Betreuung intensiv und liebevoll sei. Die Gegner hielten dem entgegen: Die Abwesenheit eines Vaters wirke sich negativ auf die Entwicklung des Kindes aus.

„Das müssen Sie mir noch beweisen“

Daniel Frischknecht, Präsident der EDU und Gegner der „Ehe für alle“, wies dabei auf den Abstimmungskampf um die Einführung eines zweiwöchigen Vaterschaftsurlaubs vor einem Jahr hin. Die SP habe damals diesen Urlaub mit dem Argument propagiert, die Präsenz eines Vaters sei für ein Kind wichtig. Jetzt aber, so Frischknecht, sähen die SP und andere Befürworter der „Ehe für alle“ plötzlich kein Problem mehr darin, wenn ein Kind ohne Vater aufwachse. Angelo Barrile, der in der „Abstimmungs-Arena“ die „Ehe für alle“ für die SP vertrat, konnte das nicht glauben. „Das müssen Sie mir noch beweisen, dass wir gesagt haben sollen, es brauche Vater und Mutter“, hielt der Nationalrat seinem Kontrahenten Frischknecht entgegen. Regula Lehmann, die für die Stiftung „Zukunft CH“ in der Sendung anwesend war, trat den Beweis sogleich an – und zitierte aus dem Argumentarium der Befürworter des Vaterschaftsurlaubs. Das Zitat sei hier wiedergegeben: „Die Forschung zeigt: Kinder von engagierten Vätern sind gesünder, glücklicher und erfolgreicher. Ein frühes väterliches Engagement stärkt die Beziehung zum Kind ein Leben lang. Fragt man die Kinder selbst, sagen sie klar: Wir wollen Mama und Papa nahe sein in unserem Leben.“ (siehe hier)

Neuer Wissenschaftszweig Väterforschung

Offenbar scheinen sich die Befürworter der „Ehe für alle“, die weitgehend deckungsgleich mit den Befürwortern des Vaterschaftsurlaubs sind, nicht mehr an ihre Argumente von damals zu erinnern. Nur so ist zu erklären, dass sie nun behaupten, ein Kind, das mit zwei Müttern aufwachse, vermisse seinen Vater nicht. In der Tat zeigt aber die sogenannte Väterforschung, dass die Präsenz eines Papas wichtig ist für die Entwicklung eines Kindes. Dieser Forschungszweig ist in den letzten Jahren aufgekommen, nachdem sich die Wissenschaft lange Zeit vor allem mit dem Einfluss der Mutter auf ein Kind befasst hatte. Das Elternmagazin „Fritz und Fränzi“ ging 2017 in einem Artikel auf die Resultate der Väterforschung ein. Heute bestreite kaum noch ein Psychologe, „dass Kinder von ihren Vätern in einem unglaublichen Masse profitieren“, schrieb das Magazin. Zu Wort kam unter anderem Brenda Volling, Psychologieprofessorin an der University of Michigan. „Väter tendieren dazu, auf eine andere Art mit ihren Kindern zu spielen“, wurde sie zitiert. „Sie spielen tendenziell körperlicher. Und lange Zeit hat die Forschung überhaupt nicht verstanden, wie wichtig dieses eher körperliche Spiel für die Entwicklung der Kinder ist.“

„Kinder wollen spüren, wie stark Papa ist“

Kinder würden eine Menge fürs Leben lernen, wenn sie regelmässig mit ihren Vätern tobten, schrieb „Fritz und Fränzi“ mit Bezug auf die Väterforschung. „Sie werden selbstbewusster und können besser mit Rückschlägen umgehen, sich besser in der Schule konzentrieren, ihre Gefühle besser regulieren.“ Und weiter: „Die meisten Forscher sind überzeugt: Kinder sehnen sich danach zu spüren, wie stark Papa ist, wie gut er die Familie beschützen kann.“ Die Anwesenheit des Vaters sei auch für die intellektuelle Entwicklung eines Kindes wichtig. So nütze es ihnen etwa besonders, wenn ihnen der Vater vorlese. Das zeigten die Arbeiten der Psychologin Natasha Cabrera von der University of Maryland, berichtete „Fritz und Fränzi“: „Sobald Väter regelmässig vorlesen und das gerne tun, ist ihr Beitrag für die Entwicklung der Kinder sogar noch grösser als der, den mütterliches Vorlesen erzielt.“ „Spektrum.de“ widmete im letzten Juli einen Artikel speziell dem Einfluss von Vätern auf ihre Töchter. Männliche Bezugspersonen spielten im Leben von Mädchen eine grosse Rolle, lautete der Schluss des deutschen Wissenschaftsmagazins. „Besonderen Einfluss haben Väter auf das Selbstwertgefühl und die berufliche Laufbahn ihrer Töchter.“

„Väter erweitern die Erfahrungs- und Lernchancen“

Das Magazin „Fritz und Fränzi“ zählte 2020 in einem weiteren Artikel fünf Gründe auf, warum Väter eine zentrale Rolle in der Entwicklung eines Kindes spielen. „Untersuchungen zeigen, dass die Mutter-Kind-Bindung von Sicherheit, Trost, Zuverlässigkeit sowie Stressreduktion geprägt ist, die Vater-Kind-Bindung von Assistenz, Neugier und der sicheren Erkundung der Welt“, lautete einer der Gründe. Ein weiterer Grund: „Der Einsatz des Vaters im Alltag erweitert die Erfahrungs- und Lernchancen für das Kind, er ermöglicht eine komplexere Wechselbeziehung im Familiensystem und kann mögliche Defizite in anderen Bereichen des familiären Lebens kompensieren.“ Insbesondere würden Väter die verbale Fitness des Kindes fördern: „Laut Forschung haben sie einen insgesamt fordernden Sprachgebrauch.“ Das sorge dafür, „dass das Kind Sprache insgesamt besser versteht und so seine sprachliche Kompetenz erweitert“. Von all diesen Resultaten der Väterforschung wollen die Befürworter der „Ehe für alle“ und damit der Samenspende für lesbische Paare nichts mehr wissen. Nun soll es plötzlich egal sein, wenn im Leben eines Kindes der Vater fehlt. „Es ist unglücklich formuliert“, tat Angelo Barrile in der SRF-Sendung die Zitate aus dem Argumentarium für den Vaterschaftsurlaub ab. „Ich hätte es anders formuliert.“ Die damaligen Argumente sind den heutigen Promotoren der „Ehe für alle“ nur noch lästig.

 

Dieser Artikel erschien zuerst am 15. September 2021 bei dem liberalen Schweizer Onlineportal www.nebelspalter.ch. Die Publikation bei Zukunft CH erfolgt mit freundlicher Genehmigung von „nebelspalter.ch“.