Kinder seien keine Wachsfiguren, die man beliebig zurechtformen müsse und könne, sondern sie hätten riesige individuelle Potentiale zum Guten, die es zu wecken gelte. Gleichzeitig dürfe unser Nachwuchs aber auch nicht als Reben, welche keinerlei Pflege brauchten, betrachtet werden, denn er trage auch die Anlage zum Schlechten in sich. Diese langjährigen Erziehungserkenntnisse hat der amerikanische Schuldirektor und Theologe Dr. Bill St. Cyr aus Fredericksburg USA an einem Vortrag in Windisch AG präsentiert.
St. Cyr kritisierte gleich zu Beginn, dass unsere Schulen zu sehr auf ein reines „Abfüttern mit möglichst viel Fakten und Wissen“ fokussiert seien. Er hat die statistische Erfahrung gemacht, dass ab der Mittelstufe heutzutage nur eine Minderheit der Schüler aufrichtig sagt: „Ich gehe in die Schule, um zu lernen.“ Die ehrliche Antwort laute heute vielmehr: „Ich gehe in die Schule, weil ich unbedingt diesen Schulabschluss brauche, um später einen guten, angesehenen und einträglichen Job zu erhalten.“ Die Motivation der Schüler sei dem entsprechend weitgehend sehr beschränkt, meinte St. Cyr.

Der Referent verglich das Kind immer wieder mit einer Rebe und schälte die Veränderungen der Leitsätze in der Kindererziehung in den vergangenen 100 Jahren klar heraus: „Vor 100 Jahren wussten alle Menschen, dass Kinder Schwächen haben – deshalb unternahm die Gesellschaft Anstrengungen, um die Kinder aus diesen Schwächen herauszuführen. Die Rebe „Kind“ bedarf genau so wie die Frucht des Weinstocks der Pflege, wenn sie gute Frucht bringen soll und dabei kommt man nicht darum herum, einen faulen oder krüppelwüchsigen Ast abzuschneiden und der Kinderseele halt auch mal eine schmerzhafte Grenze zuzumuten. Heute jedoch wollen die Eltern primär, dass die Kinder permanent glücklich und ruhig sind! Dazu bieten sie den Kindern alle erdenklichen (materiellen) Möglichkeiten und räumen ihnen dabei jeglichen emotionalen Stress aus dem Weg.“ St. Cyr berichtete von vielen Kindern und Jugendlichen, die einfach nie mehr ein „Nein!“ zu hören bekämen. „Den Reben werden heute Unmengen von Sonnenlicht, Dünger und Wasser gegeben und man lässt sie unkontrolliert dorthin wachsen, wohin sie nur wollen.“

Doch auch denjenigen Erziehungsstil, der die Kinder als „Wachsfigur“ genau nach einem bestimmten Willen zurechtformen will, lehnt St. Cyr ab. „Ein Kind ist ein Geschöpf und eine Persönlichkeit – es gibt nicht einfach „Problemkinder“, welche nicht richtig in eine vorgegebene Schale drückbar sind und „gute Kinder“, die möglichst schnell eine elterlich oder gesellschaftlich vorgezimmerte Form annehmen.“ Diese Kategorisierung sei der Todesstoss für jegliche Persönlichkeitsentwicklung, so die Beobachtungen des langjährigen Schuldirektors. Unsere Schüler sollten in allen Schulen mittels geeigneter (entdeckenden) Methoden vielmehr zu „Schöpfern, Erfindern und Eroberern“ gemacht werden.

St. Cyr ist überzeugt, dass nur erwachsene und somit erfahrene Personen ein Kind richtig und lebenstauglich sozialisieren können. In der heutigen (stark linksbeeinflussten) Erziehungslandschaft herrsche die Ansicht vor, dass sich Kinder (am besten fern der Familie und in staatlichen Ganztagesschulen und -horten) unter Gleichaltrigen sozialisieren müssten. Diese heute schon fast dogmatisch vorgeschriebene Einstellung sei jedoch eine Dummheit des Jahrhunderts, da fehlerbehaftete, unsouveräne Wesen wie Kinder zwingend erfahrene Autorität – vor allem auch diejenige von den ihnen nächststehenden Eltern – erfahren müssten, um zu gesunden, zufriedenen, charakterstarken Persönlichkeiten heranwachsen zu können. Eine Kinderseele, der nie Grenzen gesetzt werden, würde sich in die (später) frustrierende Beliebigkeit verirren, genauso wie eine Kleinkinderseele, welche zu wenig elterliche Wärme und Liebe empfängt, später meist ein Leben lang mit verschiedenen Problemen hadert. Autorität müsse – genauso wie Nähe – wieder vermehrt im Schulzimmer, aber vor allem auch in einem intakten Elternhaus vorgelebt und durchgesetzt werden.

Seinen Vortrag beendet hat der Amerikaner aus seiner eigenen Erfahrung, wie die Schüler nun zu motivierten Lernenden gemacht werden könnten. Das Lernen-WOLLEN hänge vor allem von drei Faktoren ab, so St. Cyr: Gute Atmosphäre in der Umgebung (Kultur von Freude und Friede im Schulzimmer und im Elternhaus, schöne Lernumgebung, das Kind in seinen eigenen Verhältnissen frei leben lassen), gute Gewohnheiten/Erziehung (Fähigkeit, zuhören zu können, ruhig im Stuhl sitzen zu können, sich konzentrieren zu können, sich auch mal unterordnen zu können, usw.) und Sammeln lebendiger Ideen (Kindergeist nähren mit intellektuellen und sittlichen Ideen, fördern, wofür sich das Kind individuell interessiert, kein „Einheitsinteresse“ verlangen). Jeden dieser Faktoren untermauerte der Referent zum Schluss mit einem eindrücklichen Befund. So seien provokative bzw. auffällige Pearcings oder Kleidung nie ein persönlicher Ausdruck der Tragenden, sondern immer eine Reaktion auf die Atmosphäre, in der sie lebten. Kinder mit mangelhafter Erziehung bzw. schlechten Gewohnheiten hätten statistisch erwiesen i.d.R. keine guten Schulresultate und würden sich nachgewiesenermassen mit dem Leben später schwertun. Schliesslich müsse man mit Freude und Unterstützung der Fähigkeit eines siebenjährigen Kindes begegnen, welches im Museum bereits z.B. Bilder des französischen Malers Monet erkennen könne. Keinesfalls dürfe man ein solches Potential „abwürgen“ mit Bemerkungen wie: „Du würdest dich gescheiter für anderes interessieren, sonst bringst du es zu nichts!“

R.W.