Das geltende Abstammungsrecht werde der gesellschaftlichen Realität nicht mehr in jeder Hinsicht gerecht. Dies erklärt der Bundesrat in einem Postulatsbericht, den er am 17.12.2021 zugunsten von National- und Ständerat verabschiedet hat.

Von Regula Lehmann

Eine interdisziplinäre, externe Expertengruppe hat dem Bundesrat am 16. Dezember 2021 ihre Vorschläge zur Reformation des Schweizer Abstammungsrechts unterbreitet. Anpassungen könnten aus ihrer Sicht insbesondere bei der Anfechtung der Vaterschaftsvermutung des Ehemanns, bei der Regelung der privaten Samenspende sowie beim Recht auf Kenntnis der Abstammung und der Nachkommenschaft sinnvoll sein. Dass das geltende Abstammungsrecht immer noch vom traditionellen Familienbild ausgeht, ist für die Experten einer der Gründe für den Reformationsbedarf. Die Formen des Familienlebens seien im Laufe der Zeit vielfältiger geworden, die Fortpflanzungsmedizin ermögliche immer mehr Personen – allein oder in einer gleich- bzw. verschiedengeschlechtlichen Partnerschaft – sich ihren Kinderwunsch zu erfüllen.

Die Kommission hat dem Bundesrat nun ein Konzept vorgestellt, durch welches die anonyme Geburt, die Elternschaft sowie das in der Verfassung verankerte Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung reformiert werden sollen. Kontrovers wurde in der Kommission unter anderem die Frage diskutiert, ob ein Kind mehr als zwei Elternteile haben soll und ob der Ehemann der Mutter weiterhin automatisch als Vater vorausgesetzt werden soll. Eine Mehrheit der Kommissionsmitglieder will vernünftigerweise am Zwei-Eltern-Prinzip festhalten und der erste Elternteil soll auch weiterhin durch die Geburt festgelegt werden. Anders beim zweiten Elternteil, der nicht mehr durch den Zivilstand, sondern durch Anerkennung der Elternschaft reguliert werden soll. Was bedeutet, dass der Ehemann der Mutter zukünftig nicht mehr automatisch als Vater vorausgesetzt würde, sondern sein Kind vor der Geburt rechtlich anerkennen müsste.

Der Bundesrat teilt in seinem Bericht die Ansicht der Kommission, dass im Abstammungsrecht ein gewisser Reformbedarf besteht und schlägt Anpassungen bei der Anfechtung der Vaterschaft, der privaten Samenspende und der Rechtsstellung aller beteiligten Personen vor. Die von der Expertengruppe konzipierte und vorgeschlagene Elternschafts-Vereinbarung soll nur bei medizinisch assistierter oder privater Verwendung gespendeter Samenzellen zur Fortpflanzung abgeschlossen werden können. Die Mutter und der intentionale zweite Elternteil vereinbaren darin (grundsätzlich vor der Zeugung) schriftlich die Begründung des Kindesverhältnisses. Dabei verpflichtet sich der intentionale zweite Elternteil, das Kind anzuerkennen, und der erste Elternteil, keinen Widerspruch gegen die Anerkennung zu erheben. Der Samenspender verzichtet seinerseits schriftlich auf die Begründung des Kindesverhältnisses und stimmt der Eintragung seiner Daten in das Informationsregister zu, sodass das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Abstammung gewährleistet ist. Wobei betont werden muss, dass das „Recht auf Kenntnis der Abstammung“ lediglich bedeutet, dass ein Kind im späten Alter von 18 Jahren erfahren darf, wer sein Samenspender ist. Ein kümmerlicher Ersatz für eine echte Vaterbeziehung. Kinder und Väter gehören eindeutig zu den Verlierern, wenn die natürliche Familie durch andere Konstellationen ersetzt wird.

Was, wenn ein Samenspender merkt, dass er doch eine Beziehung zu seinem Kind haben möchte? Was, wenn Kinder leiden, weil sie sich nicht ein zweites Mami, sondern ihren Papi wünschen? Dass Familienfragen in rechtlicher Hinsicht an Komplexität und Verwirrungspotenzial zulegen, liegt auf der Hand. Die Vertreterinnen und Vertreter des Komitees „Nein zur Ehe für alle“ sind weiterhin gefordert, bei Debatten die Grundbedürfnisse und Rechte betroffener Kinder in den Vordergrund zu stellen. Eine sichere Bindung zu Mutter und Vater und die Verwurzelung in der Herkunftsfamilie sind für ein gesundes Aufwachsen elementar und werden dies ungeachtet gesellschaftlicher Umbrüche und Verirrungen auch immer bleiben.

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