Gute von schlechten Geheimnissen zu unterscheiden gehört zum Einmaleins der Präventionsarbeit mit Kindern. Ziel dabei ist, dass das Kind lernt Gefahren zu erkennen und darüber zu reden. Ernüchternd ist die Erfahrung, dass sich die Elite der Schweizer Sexualpädagogen – die sich am 13. März 2015 in Luzern zur wissenschaftlichen Tagung „Sexualaufklärung bei Kindern“ traf – selbst nicht an ihre Prinzipien hält.

Von Dominik Lusser

Die „neoemanzipatorische Sexualpädagogik“ gibt vor, offen über Sexualität zu reden und so von allen Zwängen in der Sexualität zu befreien. Tatsache aber ist, dass die Fachleute um die Dachorganisation „Sexuelle Gesundheit Schweiz“ das Feigenblatt einfach an andere Stellen verschoben haben. Das fängt schon mit der Darstellung der eigenen Geschichte an, wie eine sehr selektive Rückschau der Berner Historikerin Brigitte Ruckstuhl auf die Geschichte der „Sexualität des Kindes“ der letzten 200 Jahre zeigte. Dabei liess Ruckstuhl z.B. unerwähnt, dass bis heute sehr einflussreiche Sexualpädagogen wie Helmut Kentler nach 1968 eine Normalisierung von Sex zwischen Kindern und Erwachsenen forderten oder dass Pro Familia, die deutsche Partnerorganisation von Sexuelle Gesundheit Schweiz, bis in die 90er-Jahre hinein pädophilen-freundliche Standpunkte vertrat. Der Soziologe Rüdiger Lautmann, der einen Unterschied zwischen Kindesmissbrauch und einvernehmlichen Sex zwischen Kindern und Erwachsenen forderte, konnte noch 1995 im Pro Familia Magazin (Nr. 3) eine „natürlichen Willensübereinstimmung“ behaupten: Der „echte Pädophilie“ gehe „ausserordentlich vorsichtig“ vor, eine Schädigung der Kinder sei „sehr fraglich“.

Ohne diese und viele andere dunklen Seiten der Geschichte zu erwähnen, hob Ruckstuhl deren ideologischen Ausgangspunkt – die Konstituierung des Kindes „als selbstbestimmtes sexuelle Wesen“ durch die 69er-Pädagogik – als Meilenstein der sexuellen Befreiung hervor, von dem auch sogenannte sexuelle Rechte abgeleitet werden sollen. Was nicht politisch motivierte Forschung dazu sagt, zeigt exemplarisch der Kinderarzt Remo Largo, der in „Jugendjahre“ schreibt: „Körperlichkeit im Umgang mit dem Kind, sei es in der Pflege, im sozialen Austausch oder im Spiel, trägt wesentlich zu seinem emotionalen Wohlbefinden bei. Sie sollte aber von oftmals selbst ernannten Fachleuten nicht willkürlich und missbräuchlich sexuell umgedeutet werden.“

Die „sexuellen Rechte“ von Kindern

Auch wenn die von Sexuelle Gesundheit Schweiz mitverfassten „WHO-Standards für Sexualaufklärung“ in Europa auch auf die „Forschungen“ des pro-pädophilen niederländischen Psychologen Theo Sandfort (Childhood sexuality, 2000) Bezug nehmen, ist explizit pädophilies Gedankengut in der Sexualpädagogenszene (zurzeit) seltener geworden. Sexuelle Grenzverletzungen hingegen nicht, wie das neue Standardwerk der neoemanzipatorischen Sexualpädagogik „Sexualpädagogik der Vielfalt“ (12008; 22014) zeigt, das sich auf Kentler beruft und bereits in mehreren Schweizer Kantonen von Fachorganisationen (z.B. Berner Gesundheit) und Schulbehörden (Volksschulamt Kanton Zürich) empfohlen wird.

Laut den Autoren sollen Kinder ab zehn Jahren zeigen, was sie sexuell immer schon mal ausprobieren wollten. Bei den Massagen, Stichwort „Gänsehaut”, genügt laut Anweisung dünne Kleidung, damit der unterschiedliche Druck und die verschiedenen Streichrichtungen auch erspürt werden können. Dabei dürfen verschiedene Massagetechniken angewendet werden, auch „vorgezeigt durch die Leitung“. Von aussen sollte der Raum nicht einsehbar sein, empfehlen die Autoren. Anstatt dem Recht des Kindes auf Sexualerziehung, d.h. auf Orientierung und Wertvermittlung zu entsprechen, werden Kinder zu möglichst frühen und beliebigen sexuellen Erfahrungen ermutigt, wobei sie gemäss WHO-Standards „auf diesem Weg“ selbst herausfinden sollen, „Verhaltensregeln für sexuelle Situationen“ zu entwickeln. Es wäre übrigens eine dringliche Frage an die Forschung herauszufinden, wieweit die Zunahme sexueller Übergriffe unter Kindern und Jugendlichen mit dieser Art Sexualpädagogik in Verbindung steht.

Verwirrung als Programm

Als Methode möchten die Autoren von „Sexualpädagogik der Vielfalt“ ausdrücklich die „Verwirrung“ und die „Veruneindeutigung“ angewendet wissen. Darum aber agiert die Sexualpädagogik der Vielfalt, die mit Recht als eine Speerspitze der Gender-Revolution bezeichnet werden kann , nicht auf wissenschaftlichem Boden, sondern auf der Grundlage eines revolutionären politischen Programms, das mit der subversiven Kraft der Sexualität spielt. Wie unsensibel diese „Sex-Politik“ mit Kindern verfährt, zeigt ein Dialog aus einem der Workshops der Luzerner Tagung. Eine mehrfache Mutter hatte aus eigener Erfahrung geschildert, wie wichtig es ist, Kinder immer nur so weit aufzuklären, wie diese entsprechend ihrem Entwicklungstand danach fragen. Darauf fragte der PH-Dozent Lukas Geiser, der für die Empfehlung von „Sexualpädagogik der Vielfalt“ im Kanton Zürich mitverantwortlich ist, scheinbar verständnislos, dass dies in anderen Schulfächern wie der Mathematik ja auch nicht angeht? Auf die Rückfrage der Mutter, worin denn bitte der „intim-emotionale Aspekt der Mathematik“ liege, konnte Geiser nur ausweichend antworten.

Es wird Zeit, dass der mit „schlechten Geheimnissen“ reich befrachtete ideologische Überbau an den Sexualpädagogischen Ausbildungsstätten und in den Fachorganisationen endlich ausgekehrt wird. So lange dies aber nicht der Fall ist, tun Eltern gut daran, ihre Kinder selbst über gute und schlechte Geheimnisse aufzuklären.

Eine ungekürzte Version dieses Artikel finden Sie auf: kath.net