Zum 111. Mal wird am 8. März 2022 der Internationale Frauentag begangen, jener Tag also, der auf Diskriminierung und Ungleichbehandlung von Frauen weltweit aufmerksam machen will. Doch ist ein Tag, der ganz spezifisch eines der Geschlechter in den Fokus nimmt, noch angemessen in einer Zeit, die wie keine zweite die Demontage der Zweigeschlechtlichkeit vorantreibt?

Ein Kommentar von Ursula Baumgartner

Clara Zetkin dürfte stolz auf das Bundesland Berlin sein. Die Frauenrechtlerin und Sozialistin erklärte 1911, der mit etwa einer Million demonstrierender Frauen durchgeführte Frauentag sei „die wuchtigste Kundgebung für das Frauenwahlrecht gewesen, welche die Geschichte der Bewegung für die Emanzipation des weiblichen Geschlechts bis heute verzeichnen kann.“ 2019 hat das Bundesland Berlin den Internationalen Frauentag zum gesetzlichen Feiertag erklärt.

Ging es in den Anfangszeiten des Weltfrauentags noch um mehr politische Teilhabe der Frauen, betrafen die Forderungen in den nächsten Jahren und Jahrzehnten dann auch die Rechte im Arbeitsleben sowie die Legalisierung von Abtreibung. Natürlich entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, wenn sich hier eine Frau mit Wahlrecht und abgeschlossenem Hochschulstudium kritisch zum Weltfrauentag äussert. Wahrscheinlich darf sie das ebenso wenig tun, wie ein Mann eine ablehnende Meinung zum Thema Abtreibung vertreten darf. Dieser Tag und seine Anliegen sollen hier auch nicht in Bausch und Bogen verurteilt werden. Aber eine sachlich-kritische Auseinandersetzung muss erlaubt sein.

Drei Ebenen der Diskriminierung

Bei den weltweit zu beklagenden Missständen und Ungerechtigkeiten gegen Frauen lassen sich drei Kategorien unterscheiden. Jede von ihnen verdient eine separate Betrachtung und je nach Kategorie sind auch die gestellten Forderungen unterschiedlich berechtigt.

In die erste Kategorie fallen faktische Gewalttaten gegen Frauen und Mädchen wie körperliche und sexuelle Misshandlung, Mädchenbeschneidung, Kinderehe, Frauenhandel und Prostitution sowie Gewalt im Namen der Familienehre. Die Forderung nach einem sofortigen Ende all dieser Ungerechtigkeiten und Misshandlungen kann man nur unterstützen und muss vorangetrieben werden. Einige Länder wie Burkina Faso oder Eritrea, die nach wie vor eine extrem hohe Rate an genitalverstümmelten Frauen aufweisen, haben inzwischen den Weltfrauentag zum gesetzlichen Feiertag erhoben. Es bleibt zu hoffen, dass dies dazu beiträgt, diese Rate auf lange Sicht zu senken.

Als zweite Kategorie lassen sich Ungleichbehandlungen zusammenfassen, die den Lebensstandard von Frauen beeinträchtigen, ohne jedoch direkt Leib und Leben zu bedrohen. Der viel zitierte „Gender Pay Gap“ gehört hierher, zu Deutsch „Lohnlücke“. Darunter versteht man den Unterschied zwischen dem durchschnittlichen Brutto-Stundenlohn von Frauen und Männern, der sowohl bedeuten kann, dass Frauen im gleichen Beruf wie Männer weniger verdienen, als auch, dass die Entlohnung für typische „Frauenberufe“ niedriger ausfällt als die für „Männerberufe“. Diesen Missstand achselzuckend mit der Begründung abzutun, dass Frauen bei Gehaltsverhandlungen nun mal schlechter verhandeln könnten, hilft niemandem. Ob die Behauptung stimmt, soll hier nicht diskutiert werden. „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ ist in jedem Fall eine berechtigte Forderung, ebenso wie die, dass der Lohn für eine Vollzeitstelle die Lebensgrundlage sichern können muss.

Bewerben sich ein Mann und eine Frau auf die gleiche Stelle, ist jedem Arbeitgeber klar, dass ein männlicher Angestellter wohl kaum wegen einer Schwangerschaft ausfallen wird. Ist es daher Diskriminierung, wenn der Arbeitgeber zum männlichen Bewerber tendiert, oder ist es nachvollziehbares Kalkül eines Chefs, der gerne ein stabiles Mitarbeiterteam zusammenstellen möchte? Und kann man dem mit einer Frauenquote begegnen – oder stellt diese nur eine andere Form der Diskriminierung dar, diesmal in die andere Richtung?

Kommen wir nun zur dritten Kategorie, die für viele am schwersten zu verkraften ist: die Kategorie der naturgegebenen Unterschiede. Allen Bemühungen zum Trotz sind es nach wie vor ausschliesslich Frauen, die schwanger werden und Kinder zur Welt bringen können. Und obwohl dies doch nun wirklich schon hinlänglich bekannt ist, versetzt es manch eine Feministin nach wie vor in rasende Wut. Vor allem der Zusammenhang zwischen Sex und Schwangerschaft ist es, der immer wieder in die Quere kommt, denn das eine will man nicht missen, das andere aber will man sehr fein dosieren und kontrollieren. Als logische Folgerung wird unter den Begriffen „reproduktive Gesundheit“ und „sexuelle Selbstbestimmung“ die völlige Freigabe der Abtreibung gefordert. Doch geht es hierbei noch um die Beseitigung von Diskriminierung oder will man einfach Freiheit von den Konsequenzen des eigenen Handelns und Freiheit von den Gesetzen der Natur? Und ist man sich darüber im Klaren, dass etwa die Hälfte der durch Abtreibung getöteten Kinder weiblichen Geschlechts ist, was also einer ganzen Menge (sehr junger) Frauen jegliches Recht raubt?

Die vergessenen Frauen

Allein 2020 wurden in Berlin 9790 Abtreibungen vorgenommen. Gut 4800 Mädchen, die dabei ihr Leben liessen, hat die Erhebung des Frauentages zum Feiertag nichts genützt. Dass die Zahlen von Jahr zu Jahr etwas variieren, sieht die Sprecherin der Grünen-Fraktion für Frauen- und Queerpolitik, Anja Kofbinger, gelassen: „Wir machen uns da keine grossen Sorgen.“ Man stelle sich den Aufschrei von Politikern und Medien vor, hätte es im gleichen Zeitraum 9790 Angriffe auf Trans-Personen gegeben.

Clara Zetkin soll gesagt haben: „Ich will dort kämpfen, wo das Leben ist.“ Und doch kämpfen ihre geistigen Kinder erbittert darum, dasjenige als „Nicht-Leben“ zu definieren, was nicht in die Lebensplanung passt.

Es muss an der Stelle die Frage erlaubt sein: Handeln die Akteurinnen aus einer echten Not heraus – oder aus Wut? (Oder aus Wut aufgrund einer Not?) Wenn es Not ist: Wie kann ihr abgeholfen werden? Was brauchen die Frauen? Finanzielle Hilfe? Rechtsbeistand? Frauenhäuser? Psychologische Beratung? Oder ist es Wut, die sie antreibt? Wut auf echte Missstände und Ungerechtigkeiten oder darauf, dass sie einfach anders sind als Männer – und diese darum das Feindbild par excellence darstellen müssen?

Wo wollen wir also hin mit dem 111. Weltfrauentag? Will man Frauen in ihrer Eigenschaft als Frauen wirklich helfen, muss klar definiert werden, was man unter Frau versteht und was nicht – und damit läuft sich die Abschaffung des binären Geschlechtersystems tot. Wenn wir aber keinerlei Unterschied in jedwedem Bereich des Lebens mehr wollen, bleibt wirklich nur der Ausweg in eine geschlechtslose Gesellschaft – die dann aber auch einen „Weltfrauentag“ überflüssig macht.