„Schwangerschaften und Geburten unter schwierigen Bedingungen“ heisst die Erhebung, die das Bundesamt für Statistik (BFS) kürzlich herausgegeben hat. In diesem Papier sind u.a. die Zahlen der Schwangerschaftsabbrüche in der Schweiz für den Zeitraum von 2007 bis 2020 zusammengestellt.

Von Ursula Baumgartner

Wie viele Schwangerschaftsabbrüche gibt es jährlich in der Schweiz, wie weit war die Schwangerschaft bereits fortgeschritten, wie alt war die Mutter beim Abbruch? Diesen und ähnlichen Fragen geht das BFS in seiner aktuellen Erhebung nach. Auch eine Liste mit Gründen für einen Abbruch findet man darin, wobei lediglich zwölf Kantone diese ermitteln. Die Statistik zeigt: Nach einem leichten Rückgang ist die Zahl der Abtreibungen seit 2017 wieder angestiegen und befand sich somit im Jahr 2020 wieder in etwa auf dem gleichen Niveau wie 2010. So wurden insgesamt 11‘143 Schwangerschaftsabbrüche im Jahr 2020 registriert. Dies entspricht einer Rate von 6,8 pro 1000 Frauen. 95 Prozent der Abtreibungen fanden dabei in den ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft statt. Der Anteil der über 30-Jährigen, die einen Abbruch durchführen liessen, hat seit 2010 zugenommen. Hier lässt sich eine Parallele zu den Statistiken bei Lebendgeburten verzeichnen, bei denen der Anteil der über 30-Jährigen im Vergleich zu jüngeren Müttern ebenfalls wächst. Aus der Fülle an Informationen in dieser Statistik sollen hier drei Aspekte besonders herausgegriffen werden.

Abtreibung mittels Medikamenten

Knapp 80 Prozent der Abbrüche wurden 2020 durch Einnahme von Medikamenten herbeigeführt. Dies ist nur in den ersten Wochen einer Schwangerschaft möglich, da die zugeführten Hormone später an Wirkung verlieren. Beim medikamentösen Abbruch nimmt die Schwangere  Hormontabletten ein. Diese sorgen zum einen dafür, dass die Gebärmutterschleimhaut schlechter oder gar nicht mehr durchblutet wird und sich samt dem eingenisteten Embryo ablöst. Zum anderen verursachen sie Kontraktionen der Gebärmutter und imitieren somit eine sehr verfrühte Geburt, bei der der Embryo und die Gebärmutterschleimhaut ausgestossen werden.

Stellen sich bei der Frau Unterleibsschmerzen und Blutungen ein, die eine Regelblutung bisweilen um ein Vielfaches an Stärke übertreffen, ist das anvisierte „Resultat“ eingetreten. Bis es allerdings soweit ist, kann es einige Tage dauern und die Einnahme weiterer Tabletten notwendig sein. Starke Unterleibskrämpfe, Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Kreislaufprobleme sowie bis zu zwölf Tage lang anhaltende Blutungen sind bekannte Nebenwirkungen dieser Abtreibungsmethode.

Allzu oft wird die Möglichkeit zur Abtreibung des Babys mit dem Selbstbestimmungsrecht der Frau begründet. Es ist jedoch fraglich, ob eine Frau von dieser Selbstbestimmung viel spürt, wenn sie seit 18 Stunden mit Krämpfen und Blutungen im Badezimmer kauert und schlussendlich ihr ungeborenes Kind in der Toilette hinunterspülen muss. Auch die Tatsache, dass sie bei dieser Art des Abbruchs aktiv „Hand anlegen“ müssen, indem sie die Tabletten selbst einnehmen, belastet viele Betroffene mehr, als dass sie es als Freiheit empfinden. Umso wichtiger ist die Aufklärung über die hierzulande noch wenig bekannte „Abortion Pill Reversal“. Diese Möglichkeit, die Wirkung der Abtreibungspille zu stoppen, beruht auf der baldigen Einnahme des Hormons Progesteron, welches den Erhalt der Gebärmutterschleimhaut und damit die Aufrechterhaltung der Schwangerschaft bewirken soll. Für viele Frauen, die ihre Entscheidung zur Abtreibung bereits bereuen, während sie noch auf die Wirkung der Abtreibungspille warten, ist dies eine rettende Aussicht. Vielen Kindern konnte damit in verschiedenen Ländern bereits das Leben gerettet werden.

Jede zehnte Schwangere

Über 11‚000 Frauen sahen im Jahr 2020 eine Abtreibung offenbar zumindest als die beste aller schlechten Lösungen für ihre Situation an. Setzt man diese Zahl in Relation zu den Lebend- und Totgeburten im gleichen Zeitraum und bedenkt man zudem, dass etwa 15 Prozent aller begonnenen Schwangerschaften durch eine Fehlgeburt zu Ende gehen, ergibt sich eine Abtreibungsquote von etwa 10 Prozent. Jede zehnte Schweizer Frau also, die im Jahr 2020 schwanger wurde, entschloss sich zu einer Tötung ihres Ungeborenen. In einem Land, das in jenem Jahr weder von einer Hungersnot noch von einem Bürgerkrieg erschüttert wurde, in dem ein uneheliches Kind längst keine Schande oder sozialen Ruin mehr darstellt, in dem zudem jeder Jugendliche hinlänglich über Verhütung aufgeklärt wird und Verhütungsmittel frei zugänglich sind, ist dies eine katastrophale Bilanz.

Psychosoziale Gründe der häufigste Grund

Die Gründe, warum sich Frauen für eine Abtreibung entscheiden, liegen nicht völlig im Dunklen, sondern werden zumindest in zwölf Schweizer Kantonen erfragt. Darüber, ob sie in den anderen Kantonen mit derselben Häufigkeit angegeben würden, lässt sich spekulieren. Da es sich aber um Gründe handelt, die auch in Nachbarländern zumeist aufgelistet werden, kann man wohl davon ausgehen.

95 Prozent der Abtreibungen finden in den ersten zwölf Wochen statt. In 97 Prozent dieser Fälle werden psychosoziale Gründe für die Entscheidung angeführt, wobei Mehrfachnennungen möglich sind. So verspüren 13 Prozent keinen Kinderwunsch, 14 Prozent fühlen sich nicht in der Lage, ein Kind zu erziehen, und 7 Prozent wollen kein Kind ohne festen Partner. Weiteren 7 Prozent fehlt die Unterstützung der Familie oder des sozialen Umfelds, 11 bzw. 12 Prozent sehen ein Kind unvereinbar mit Beruf oder Ausbildung und lediglich 7 Prozent haben finanzielle Bedenken.

So nachvollziehbar all diese Sorgen und Ängste sind, so erschreckend ist dennoch die Bilanz. Denn in absoluten Zahlen ausgedrückt bedeutet dies: 10‘300 Babys mussten im Jahr 2020 ihr Leben lassen, noch bevor es richtig begonnen hatte, obwohl keine lebensbedrohliche Erkrankung der Mutter vorlag oder beim Kind eine schwere Behinderung diagnostiziert worden wäre, sondern weil sie schlicht und einfach derzeit nicht in den Lebensplan der Eltern passten. Die so oft erwähnte Notlage der Frau bzw. Eltern wirft bei diesen Begründungen entsprechend ein grosses Fragezeichen auf und legt den Schluss nahe, dass mit entsprechender Beratung, Unterstützungsangeboten u.Ä. durchaus viele Sorgen aufgefangen werden könnten.

Mit anderen Worten heisst das aber auch, dass all diese Abtreibungen – ja, sogar all diese Schwangerschaften – durch ein verändertes Sexualverhalten hätten verhindert werden können, sei es durch Verhütung oder durch Enthaltsamkeit. Bedenkt man, dass die Sexualaufklärung seit Jahrzehnten fest in allen Schweizer Lehrplänen verankert ist, drängt sich leider der Schluss auf, dass hier offenbar weder der Umgang mit Verhütungsmitteln effizient gelehrt noch das Bewusstsein für verantwortungsvoll gelebte Sexualität geweckt wird. Und dies bezahlen letztendlich jährlich über 10‘000 unschuldige Kinder mit ihrem Leben.