Professor Eberhard Busch, renommierter Calvinforscher, schreibt zu Beginn in einem seiner Bücher: „In Jeremia 22, 16 heisst es über das Wirken eines Königs in Israel: ‚Den Elenden und Armen verhalf er zum Recht. Heisst das nicht, mich erkennen? spricht der Herr.’“ Der Genfer Reformator Johannes Calvin sagt in seiner Auslegung dieser Passage: „Wo Gott erkannt wird, da wird auch Menschlichkeit gepflegt.“
„Man darf in diesem Satz eine Zusammenfassung der Theologie Calvins sehen.“* Doch ist diese Aussage nicht eine Zumutung? Menschlichkeit, das ist ein Verhalten, wonach sich Menschen sehnen. In diesem Jubiläumsjahr soll es darum gehen, Calvin von seinen Klischees zu befreien und ihn differenziert zu befragen, was er gedacht und was er nicht gelehrt hat. Das ist das Anliegen des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes (SEK) und des Reformierten Weltbundes (RW). Calvin soll neu analysiert, rehabilitiert und aktualisiert werden.

Calvin und der Reformierte Protestantismus haben in den letzten 500 Jahren weltweit eine positive Wirkungsgeschichte ausgelöst. Ich will nur drei Aspekte aufgreifen: Erstens das Verhältnis von Kirche und Staat, zweitens die Demokratie und drittens die Menschenrechte.

Nachdem 1536 mit demokratischem Beschluss in Genf die Reformation eingeführt wurde, stellte sich die Frage, wie die Stadt (Staat) und die Kirche neu organisiert werden soll. Calvin ging davon aus, dass die Regierung eine christliche ist, die Kirche schützen und unterstützen soll. Umgekehrt verfocht er die Trennung von Kirche und Staat in dem Sinn, dass der Staat der Kirche nicht vorschreiben darf, wie sie leben und wirken soll. Sie soll frei sein. So ist seine Sicht eine Ursache, weshalb es heute Freikirchen gibt und in der USA keine Staatskirchen. Calvin, das haben namhafte Calvinforscher herausgearbeitet, lehrt somit keine Theokratie! Unter Theokratie [griechisch theos „Gott, Gottheit“ und kratos „Stärke, Macht, Gewalt“]versteht man Folgendes: „Staatsform, in der staatliche und kirchliche Gewalt vereinigt sind, wobei die Regierungsgewalt meist von Priestern ausgeübt (Lamaismus) oder der Herrscher als Vertreter Gottes betrachtet wird (altes Ägypten, altes China). **

Demgegenüber, und das ist die zweite Wirkungsgeschichte, steht die Demokratie, die Volksherrschaft. [griechisch demos „Volk“ und kratein „herrschen“] *** Es gibt inzwischen verschiedene Formen von Demokratie. Unsere direkte Demokratie ermöglicht dem Volk und damit dem Bürger am meisten Rechte und Mitverantwortung. Für sie müssen wir uns einsetzen! Mehrheitlich bejahen heute die Calvinforscher, dass er eine gewichtige Türe aufgestossen hat, damit sich Demokratien entwickeln konnten.

Die dritte Wirkungsgeschichte sind die Menschenrechte. Bei dem Reformationsdenkmal in Genf ist neben anderen Personen Roger Williams dargestellt mit der Zahl 1636. Williams gründete im Jahr 1636 die Siedlung New Providence als Heimstätte der Gewissensfreiheit. Er hält die Staatsverfassung in der Hand, auf welcher zu lesen ist: SOUL LIBERTY. Ein Hinweis auf die Konfessionsfreiheit, die Roger Williams verwirklicht haben wollte. Daraus resultierte die Gründung des US-Staates Rhode Island. Aus der Gewissens- und Konfessionsfreiheit entwickelten sich die Religionsfreiheit und schliesslich die Menschenrechte.

Im Wissen, dass Menschlichkeit weit mehr ist als diese drei, können wir sie und diese drei dankbar fördern. Dazu können auch Sie beitragen!

* Eberhard Busch „Gotteserkenntnis und Menschlichkeit – Einsichten in die Theologie Johannes Calvins“, 2006, S. 9
** Gerhard Wahrig: „Deutsches Wörterbuch“, 1992, S. 1275
*** Wahrig, S. 336
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Pfr. Beat Laffer studierte Theologie, Philosophie und Naturwissenschaften, war anschliessend Studentenseelsorger und ist seit 1980 Gemeindepfarrer. Zum Leben und Wirken Calvins empfiehlt er folgende Bücher:
Reiner Rohloff: „Calvin kennen lernen“, 96 S., Fr. 16.50;
Hans Ulrich Reifler: „Johannes Calvin – Nichts tröstet mächtiger“, 120 S., Fr. 29.50 (inkl. DVD)

Pfr. Beat Laffer