„Auch wir glauben an Jesus, den Sohn der Jungfrau Maria“, heisst es oft von islamischer Seite. Doch der „Isa“ aus dem Koran entspricht eben nicht dem Jesus Christus in der Bibel. Bei näherem Hinsehen zeigen sich Unterschiede, die grösser kaum sein könnten.
Zum Siegeszug des Islams gleich nach dem Auftreten Mohammeds im frühen 7. Jahrhundert haben neben militärischer Expansion seiner politischen Herrschaft auch wichtige Faktoren auf christlicher Seite beigetragen. Diese treffen auch heute wieder zu: Zunächst eine Zerspaltenheit der Christen, von denen sich einige sogar mit den vordringenden Moslems verbündeten oder ihnen Vorschub leisteten. Das war besonders im Orient, in Nordafrika und Spanien der Fall. In Kleinasien, Italien und dem Frankenreich, wo die moslemischen Heere und Sendboten auf eine geschlossene Christenheit stiessen, kam der Vormarsch des Islams zum Stillstand. Zweitens hielten viele damalige Christen den neuen Glauben Mohammeds für gar keine andere Religion, sondern für eine Variante des Christentums: Zu viel war – und ist – im Koran von Jesus und seiner Mutter, den Aposteln, Johannes dem Täufer und alttestamentlichen Propheten die Rede. Und die nestorianischen Christen im Orient, die Jesus und Christus für zwei getrennte Personen hielten, oder die Arianer von Nordafrika und Spanien, die nicht an die Gottheit Jesu Christi glaubten, waren für das verflachte islamische Jesusbild von Haus aus anfällig.

Nur vermeintliche Christusnähe

Genauso versucht auch heute islamische Propaganda die eigene Machtideologie als ein der christlichen Botschaft verwandtes, in friedlicher Harmonie mit dieser stehendes System hinzustellen. „Auch wir glauben an Jesus, den Sohn der Jungfrau Maria“, wird bei so genannten „Dialog“-Veranstaltungen gern beteuert. Doch der „Isa Ben Marjam“ des Korans entspricht eben nicht dem Jesus Christus des Evangeliums. Die vermeintliche Christus- und Christennähe des Islams entlarvt sich bei näherem Zusehen als unerbittliche Feindschaft gegen alles Christliche.

Für Mohammed ist Jesus nicht Gottes Sohn, sondern nur ein edler Mensch und noch dazu dessen eigener Vorläufer. Die dritte göttliche Person, der Heilige Geist, wird vom Begründer des Islams völlig geleugnet. Der von Isa Ben Marjam verheissene Tröster sei er selbst, Mohammed. In der Sammlung seiner Aussprüche, dem Koran, wird es sogar als die schwerste aller Sünden bezeichnet, dem einen Gott Allah „Gefährten beizugesellen“ (Sure 4,48 und 116). Damit sind der Gottessohn und Gottes Heiliger Geist in der christlichen Dreifaltigkeit gemeint. Wir Christen sind also aus islamischer Sicht die verwerflichsten Sünder. Darüber können einige sonst im Koran ausgesagte Freundlichkeiten nicht hinwegtäuschen. Diese stammen aus Mohammeds Frühzeit und sind nach islamischer Ansicht ohnedies durch die späteren Feindseligkeiten aufgehoben (Prinzip des Nas-ch: Im Koran gilt das Spätere statt des Früheren).

Werkgerechtigkeit als Fundament

Zwar werden die Wunder Jesu vom Islam bestätigt, während Mohammed selbst die Wundergabe nie für sich in Anspruch nahm. Erst die spätere islamische Überlieferung hat sie ihm angedichtet. Wird also Jesus Christus als „Wunderheiler“ akzeptiert, so steht es den Moslems völlig fern, ihn als „Heiland“ für die Menschen aller Religionen anzuerkennen. Die ihm auch weitgehend im Islam zuerkannte Bezeichnung „Al-Massich“ (der Messias) ist nur ein Titel ohne jeden Gehalt: Der Islam kennt keine Urschuld, von der Mensch und Schöpfung erlöst werden müssen. Die Ursünde Adams ist keine Erbschuld, die der Erlösung bedarf, sondern war nur ein schlechtes Beispiel für die von ihm abstammende Menschheit. Der Massstab für Sünde ist immer das islamische Gesetz, Scharia, das alle Handlungen fünf Gruppen zuordnet: gebotene, empfohlene, erlaubte, missbilligte und verbotene Handlungen. Alle Sünden, ausser der Konversion vom Islam zu einer anderen Religion (Koran 2,317), können durch gewissenhafte Pflichterfüllung und Gebet (Koran 7,155f.) abgegolten werden. Damit kennt der Islam keine Erlösung und also auch keinen Erlöser. Das ist der fundamentale Unterschied zum Christentum: Mohammed hat eine extreme Gesetzesreligion begründet. Ihr Fundament ist die Werkgerechtigkeit.

Ein weiterer fundamentaler Unterschied zu Jesus Christus ist die Entscheidung Mohammeds für die Flucht, für die Auswanderung nach Medina anstelle eines leidvollen Glaubenszeugnisses vor Ort in seiner Heimatstadt Mekka. Das ist auch für die abgrundtiefe Verschiedenheit des islamischen und des christlichen Verständnisses vom Martyrium bezeichnend: Islamisches Martyrium ist immer der Tod im bewaffneten Kampf für die Ausbreitung oder Verteidigung von Allahs Weltreich, nicht ein Bekenntnis des Glaubens und passives Leiden für diesen.

Für den Islam wurde Jesus daher weder gekreuzigt, noch ist er auferstanden. Den Tod erlitt ein anderer an seiner Stelle, meinen die islamischen Quellen. An Jesu Himmelfahrt hält der Koran jedoch genauso fest wie an seiner wunderbaren Empfängnis und jungfräulichen Geburt. Aber auch diese drei christlichen Positionen sind nie im Sinne einer Gottessohnschaft von Jesus Christus interpretiert worden. Wenn das manche islamische Mystiker dennoch taten, wurden sie als Irrlehrer eingestuft und bestraft.

Jesus als Zeuge am Jüngsten Gericht

Schliesslich wird heute gern darauf hingewiesen, dass der Islam zwar den historischen Jesus missverstanden und sich dem ewigen Gotteswort Christus verschlossen habe, in seiner Lehre von den letzten Dingen (Eschatologie) jedoch Jesus Christus voll gerecht werde: Auch nach dem Koran würde er am Jüngsten Tag als Weltenrichter wiederkehren. Doch verhält es sich bei genauer Betrachtung wieder nicht so. Im Gegenteil: Mohammed will in einer Vision (Sure 43, 61) mit dem bei seiner Himmelfahrt an die Seite Allahs entrückten Jesus gesprochen und diesen nach dem Jüngsten Gericht gefragt haben. Jesus bestätigt ihm, zwar von dessen Kommen zu wissen, das „Wann“ aber nicht zu kennen. Mit dieser Auffassung ist der weitgereiste Mohammed klar von einer christlichen Sekte im heutigen Jordanien abhängig, den „Agnoeten“ (von griech. Agnoein: „nicht kennen“). Die weitere islamische Tradition hat daraus zwar auf eine Anwesenheit von Isa Ben Marjam beim Jüngsten Gericht geschlossen. Er wird aber nicht richten – das kommt nur Allah zu –, sondern als Zeuge auftreten. Ausgerechnet gegen die Christen, die – nach islamischer Meinung – ihn und seine Mutter zu Götzen gemacht und damit den alleinigen Gott Allah verraten hätten.

In der weiteren islamischen Überlieferungsliteratur entstand bald auch die Legende, Jesus Christus werde am Jüngsten Tag nicht nur gegen die Christen als Ankläger auftreten, sondern auch alle Kreuze vernichten. Das ist der eschatologische Höhepunkt der islamischen Umdeutung des Menschen- und Weltenerlösers Jesus Christus, begonnen bei seiner Herabwürdigung zum Vorläufer Mohammeds bis hin zu einem endzeitlichen Belastungszeugen gegen seine eigenen Jünger und deren Nachfolger. Islam und Christentum sind zwei getrennte Welten, möge auch in 15 Suren des Korans in immerhin 93 Versen der Name Jesu auftauchen.

Von Dr. Heinz Gstrein