„Existiert Gott?“ So lautete der Titel eines Buches aus der Feder des katholischen Theologieprofessors Hans Küng, das 1978 mit der enormen Startauflage von 100‘000 erschienen war. Am Ende eines langen, argumentativ abwägenden Durchgangs bejahte Küng die Titelfrage ausdrücklich. Aber bleibt nicht sein Ja bis heute ein Wagnis? Überlegungen zum Gedankenexperiment des Mathematikers und Philosophen Blaise Pascal.

Von Prof. Dr. Werner Thiede

Gott war und ist nun einmal kein Gegenstand nachweisbaren Wissens. Seine Existenz lässt nicht wie die eines Objektes dieser Welt beweisen. Gibt es ihn, dann ist er als Schöpfer der Welt so über sie erhaben, dass er sich nicht wie ein Stück von ihr in den Netzen menschlichen Forschens und Darlegens einfangen lässt. Vielmehr ist er als in einem derart unvergleichlichen Verhältnis zur Wirklichkeit unserer Welt zu denken, dass ein Erfassen seines Seins nicht im Modus beweisenden Vorzeigens oder handfesten Wissens möglich sein kann, sondern nur in der Haltung ahnenden Vertrauens, des Setzens auf seine Selbstoffenbarung.

Dabei ist mit dem Begriff „Vertrauen“ ein ganzheitlicher Akt gemeint, der Gefühl und Vernunft, Herz und Verstand gleichermassen umfasst. Um blindes Vertrauen infolge puren Nichtwissens kann es hier also keineswegs gehen. Vielmehr ist ein um Verstehen ringender, also intellektuell redlicher Glaube gemeint, wenn es um das Verhältnis zu Gott geht. Insofern ist da auch ein vernünftiges Fragen, ja ein gewisses Kalkül mit involviert, wenn es sich um den Glauben an den Ewigen dreht. Solcher Glaube ist und bleibt rational wie emotional tatsächlich ein Wagnis.

Jede Antwort ist ein Wagnis

Aber auch wer die Existenz Gottes verneint, geht ein Wagnis ein. Denn niemand kann dem Gottesleugner „objektiv“ bestätigen, dass da kein Gott ist. Der Atheist oder Agnostiker glaubt sozusagen negativ; er folgt einer verneinenden Hypothese. Und damit spricht er sein glaubendes Nein auf die Grundfrage nach dem letzten Sinn, die ihn als solche mit dem positiv Glaubenden menschlich verbindet.

Der grosse Aufklärungsphilosoph Immanuel Kant hat deutlich gemacht, dass das Fragen über die unserem Verstand sich öffnende Wirklichkeit hinaus zum Wesen der Vernunft selbst gehört. Solches Fragen über den Horizont des Sinnlichen, des Materiellen, der Welt hinaus ist also nicht etwa unvernünftig, sondern höchst rational und human.

Eine auf den christlichen Philosophen und Mathematiker Blaise Pascal (1623–1662) zurückgehende, ganz vernünftige Überlegung greift das existenzielle Wagnis hinsichtlich der Gottesfrage in spannender Weise auf. Angenommen, der glaubende Mensch setzt zurecht auf Gottes Existenz und richtet sein Leben danach aus, so wird er jenseits seines irdischen Daseins hierfür Lohn empfangen, der allermindestens in der Erkenntnis der Richtigkeit und Sinnhaftigkeit seiner Ausrichtung bestehen dürfte. Und der Nichtgläubige wird dementsprechend Schmerz erleiden, der mindestens mit der Erkenntnis seiner einstigen tiefgreifenden Fehlausrichtung zustande käme.

Was, wenn es Gott nicht gibt?

Wie aber sähen die Folgen im umgekehrten Fall aus, dass nämlich die Hypothese der Existenz Gottes falsch läge? Es gäbe dann ja keine „jenseitige“ Grösse, die das aufweisen würde. Der Atheist oder Agnostiker würde es nie erfahren, wenn er im Recht gewesen wäre. Und selbst der Glaubende würde nie erkennen, dass er sich dann im Irrtum befunden hätte. Die einzigen Folgen, die in diesem negativen Fall spürbar würden, wären ganz diesseitig jene Haltungen und Handlungen, die aus der Einstellung zur Gottesfrage im Leben unmittelbar oder mittelbar resultierten. Die wären dann auf andere Weise von „absolutem“ Gewicht – eben weil es nichts anderes gäbe. Aber solche „Absolutheit“ wäre doch nur eine höchst relative, weil sie ihrerseits mehr oder weniger gleichgültig wäre, bedeutungslos im grossen Ganzen der Wirklichkeit. Niemand würde jemals eine letztgültige Aufklärung darüber erhalten. Schon diese Grundüberlegung spricht stark dafür, sich im Herzen glaubend auf die Existenz Gottes auszurichten.

Wäre aber eine Art „Wette“ auf Gottes Existenz nicht in gewisser Hinsicht – nämlich aus gottesgläubiger Sicht – eigentlich Blasphemie, Gotteslästerung? Und wäre sie nicht gleichzeitig insofern sinnlos, als der Ausgang im negativen Fall nie zu feiern oder zu bedauern wäre? Pascal, jenes französische Genie zu Beginn der europäischen Neuzeit, hat diese Überlegungen nach allen Seiten durchdrungen. Er hatte ein gutes, selbstständiges Leben in kulturell hochstehenden, teils freidenkerischen Kreisen führen können; Diskussionen über die Gewinnchancen im Glücksspiel – einem typischen Zeitvertreib des damaligen Adels – führten ihn dazu, sich der Wahrscheinlichkeitsrechnung zuzuwenden, die er immer erfolgreicher vorantrieb.

„Freude, Freude, Freude und Tränen der Freude“

In einer Novembernacht des Jahres 1654 hatte er dann ein visionäres Erlebnis, das er unmittelbar danach auf einem Blatt Papier als sogenanntes „Mémorial“ notierte. Man fand es nach seinem Tod im Rock eingenäht. Da heisst es unter der Überschrift „Feuer“: „Gott Abrahams, Gott Isaaks, Gott Jakobs, nicht der Philosophen und Gelehrten. Gewissheit, Gewissheit, Empfinden: Freude, Friede. Gott Jesu Christi … Vergessen der Welt und von allem ausser Gott. Einzig auf den Wegen, die das Evangelium lehrt, ist er zu finden.“ Der Text preist die „Grösse der menschlichen Seele“ und zeugt von „Freude, Freude, Freude und Tränen der Freude“. Schliesslich zitiert er aus dem 17. Kapitel des Johannesevangeliums: „Gerechter Vater, die Welt kennt dich nicht; ich aber kenne dich.“ Offenkundig hatte er eine besondere Gotteserfahrung.

Seit jener Nacht zog er sich aus der Pariser Gesellschaft zurück, um völlig seiner Frömmigkeit zu leben. Einzig mit ein paar Theologen verkehrte er. Gelegentlich trieb er weiter Mathematik. Nach mancherlei erfolgreichen Schriften begann er im Alter von 33 Jahren eine umfangreiche Verteidigungsschrift für die christliche Religion zu erarbeiten. Doch immer öfter belasteten Krankheitsphasen sein Leben, und die geplante Schrift konnte nicht mehr vollendet werden. Er starb, noch bevor er vierzig Jahre alt wurde. Seine Totenmaske zeigt ein Lächeln, das darauf hindeutet, dass er von einem Frieden wusste, dem Krankheit und Tod nichts anhaben können.

Mit der beschriebenen Wette charakterisiert Pascal zutreffend die Grundsituation, in der sich Menschen angesichts der Gottesfrage befinden: Man kann ihr nicht wirklich ausweichen. Von daher überlegt der Mathematiker: „Wägen wir den Verlust dafür ab, dass Sie sich dafür entschieden haben, dass es Gott gibt: Wenn Sie gewinnen, gewinnen Sie alles, wenn Sie verlieren, verlieren Sie nichts. Setzen Sie also ohne zu zögern darauf, dass es ihn gibt!“ Umgekehrt unterstreicht Pascal: Die möglichen Gewinner einer Wette auf Gottes Nichtexistenz würden nie von ihrem Gewinn erfahren, geschweige denn profitieren.

Was verliert der Gottesleugner?

Freilich war Pascal klug genug, auch das Gegenargument in Rechnung zu stellen, dass im negativen Fall der Atheist oder Agnostiker wenigstens sein Leben entsprechend genossen und entsprechenden Lustgewinn nicht aufs Spiel gesetzt habe. Hierzu gibt er zu bedenken: Der Einsatz eines bloss endlichen Lebens ist allemal lohnend angesichts des möglichen Gewinns eines unendlichen Lebens voller Glück bei Gott. Was aber verlöre der Gottesleugner? Eben etwas sehr Begrenztes! Der auf den lebendigen Gott Wettende wird in seiner Lebensführung treu, ehrlich, demütig, dankbar und wohltätig sein, ein aufrichtiger Freund. „Wirklich: Sie werden sich nicht in den verpesteten Vergnügungen, in der Ruhmsucht, in Genüssen aufhalten; aber sollten Ihnen dafür keine anderen vergönnt sein? Ich sage Ihnen, Sie werden schon in diesem Leben besser fahren und bei jedem Schritt auf diesem Weg so viel Gewissheit an Gewinn finden und solch ein Nichts in dem, was Sie daran wagen, dass Sie endlich einsehen und zugeben müssen, um etwas Siche­res, Unendliches gewettet zu haben, wofür Sie nichts hergaben.“

Das will in der Tat überlegt sein. Das Wagnis des Glaubens einzugehen, bedeutet einen anderen Weg in der Lebensgestaltung zu gehen, ja es bringt ein anderes Selbstverständnis mit sich. Wer ich bin und wie ich handle, hängt von dem jeweiligen Horizont ab, in dem ich mich bewege und von dessen Bedingungen ich mich abhängig sehe. Hängt nun aber der Lebens- und Hoffnungshorizont von meinem Wagnis ab, die Dinge einzuschätzen, weil über das Letztgültige nichts objektiv Aufweisbares herauszufinden ist, so bleibt nur dieses existenzielle Wagnis selbst.

Der Horizont der Ewigkeit

Natürlich wird der Skeptiker einwenden: Wenn ich mich beim Setzen auf Gottes Existenz irre, verliere ich an Lebensqualität auf der einzigen Strecke, die es für mich überhaupt gibt. Aber genau dies hat ja Pascal bestritten: An Gott zu glauben, mindert die Lebensqualität bei tiefergehender Betrachtung keineswegs! Im Gegenteil: Gewisse lustvolle Gewinne religiös haltloser Menschen erweisen sich bei näherem Zusehen als hohl und nichtig im Vergleich mit dem bereicherten Innenleben jener, deren Existenz weit und lichtvoll ist, weil der Horizont der Ewigkeit sie ihren Weg getrost und erhobenen Hauptes gehen lässt.

Das ist eine ganz vernünftige Überlegung. Der vielleicht tiefgreifendste Einwand gegen Pascals Wette ist aber gerade die Vernunftbetontheit solchen Abwägens. Man kann beklagen, dass hier ein rationales, emotionsloses Kalkül vorliege und damit nicht das, was Gott vom Menschen eigentlich will: Glauben im Sinne eines tiefen Vertrauens, das seine lebendige Liebe erwidert. Ob denn solch quasi mathematisches Spekulieren wirklich mit Gottes „Belohnung“, mit göttlicher Anerkennung rechnen darf?

Doch auch dies ist kein Gesichtspunkt, der dem klugen Pascal entgangen wäre. Der Text der Wette in seinen „Pensées“ endet nämlich mit folgender Versicherung an den Leser: Diese Überlegungen stammen „von einem Mann, der zuvor und nachher in die Knie gesunken ist, um diesen Unendlichen und Ungeteilten, dem er sein ganzes Sein unterwirft, zu bitten, er möge sich auch das Ihre unterwerfen, zu Ihrem eigenen Besten und zu seiner Ver­herrlichung, damit die Macht mit dieser Nichtigkeit in Einklang kommt.“ Offenkundig bedeutet für Pascal die Gotteswette keineswegs bloss blankes Spekulieren oder rationales Kalkulieren. Vielmehr entstammen ihre gedanklichen Wege und Ziele tiefer, gefühlvoller Frömmigkeit. Sie sind emotionsgeladener Spiritualität entsprungen: Ihr vernünftiges Werben kommt von Herzen und will das Herz dessen erreichen, den es in diese Überlegungen hineinziehen, den es durch sie um Gottes willen von der Sinnhaftigkeit der Ausrichtung auf Gott – und zwar auf den Gott der Liebe – überzeugen möchte.

Nihilismus ist nicht die Antwort

Welches Mass an Herzlichkeit und Tiefe ist dagegen im Innern derer zu vermuten, die ihre Existenz im Horizont des Nichts, im kosmischen Raum massloser Kälte angesiedelt sehen? Die vor keinem Gott in die Knie gehen und dafür ihr eigenes Ich absolut zu setzen geneigt sind? Hat nicht die wachsende Kälte in unserer Gesellschaft einschliesslich der gestiegenen Akzeptanz eines zunehmenden strukturellen Sozialabbaus mit der in unseren Breitengraden immer weitergehenden Säkularisierung zu tun? Wenn immer weniger Menschen auf Gottes Existenz, auf den Sieg seiner Liebe setzen, wie sollten da Empathie und Liebe in solcher Gesellschaft die gestaltende Kraft und ethische Wirksamkeit behalten? Ist nicht vielmehr zu erwarten, dass Lüge, Korruption und Kälte sich unter solch nihilistisch geprägten Bedingungen mehren?

Bereits der nihilistisch denkende Philosoph Friedrich Nietzsche hat das geahnt und durch seinen „tollen Menschen“ 1882 prognostiziert. Pascals viel ältere Gotteswette verdeutlicht auf ihre Weise, dass die Struktur der Wirklichkeit bei genauerem Nachdenken auf ein umfassendes Ja hindeutet, auf einen letzten, tiefen Sinn – und eben nicht auf einen „teuflischen Gott“ im Sinne Nietzsches. Nicht nihilistischer Mut, sondern Glaubensmut ist angesagt. Im Sinne Pascals darf alle triste Skepsis getrost verabschiedet werden. Wenn heute auf einigen Bussen propagandistisch die grossen Buchstaben prangen: „Es gibt keinen Gott“, dann mag das auf den ersten Blick vielleicht fast wie eine erlösende Frohbotschaft klingen. Und eine solche könnte es in der Tat sein für Menschen, die von einer unguten Gottesvorstellung geplagt oder spirituell irregeführt worden sind. Derlei „Gottesvergiftungen“ mögen keineswegs selten sein. Dennoch stellen sie kein grundsätzliches Gegenargument gegen das Rechnen mit Gott, mit dem absolut Guten dar.

Vernunft allein kann niemandem jenen inneren Frieden verleihen, der dem Apostel Paulus zufolge höher ist als alle Vernunft. Pascal betont als christlicher Philosoph: „Der letzte Schritt der Vernunft ist die Erkenntnis, dass es eine Unendlichkeit von Dingen gibt, die sie übersteigen. Sie ist nur schwach, wenn sie nicht bis zu dieser Erkenntnis vordringt.“ Über ein Jahrhundert vor Immanuel Kants Vernunftkritik weist hier Pascal auf die Grenzen der Vernunft hin. Gottesglaube hat um diese Grenzen immer schon gewusst – und doch die Vernunft keineswegs verleugnet. Wird nicht jeder Wettende seinen Verstand wenigstens teilweise zum Einsatz bringen? So hat auch die Gotteswette ihre Vernunftseite, ohne sich auf sie zu beschränken – in der vernünftigen Erkenntnis, dass alles Überschätzen ihrer Leistungskraft ihrem eigenen Wesen widerspricht. Gottesleugnung mit rein rationaler Begründung – das wäre schon unter diesem Aspekt eine höchst riskante Wette!

Vom Autor (www.werner-thiede.de) gibt es zahlreiche Bücher, zuletzt:

  • Lust auf Gott. Einführung in die christliche Mystik, 2019
  • Unsterblichkeit der Seele? Interdisziplinäre Annäherungen an eine Menschheitsfrage, 20222
  • Himmlisch wohnen. Auferweckt zu neuem Leben, 2023