Am Mittwoch, den 11. Juli, gegen Abend hoben Zürcher Passanter überrascht die Köpfe: Vom Grossmünster waren laute Gebetsrufe zu hören. Auch in St. Gallen gingen am Abend bei der Polizei Anrufe ein, bei denen sich Leute verärgert über Muezzin-Gesang beschwerten. Auf dem St.-Laurenzen-Turm in der Altstadt fanden die Beamten schliesslich die Quelle: zwei Lautsprecheranlagen auf der Aussichtsplattform des Turmes. Am Tag zuvor gab es das Spektakel bereits in der Berner Münsterkirche. Auch hier fand die Polizei ein Tonband mit Megaphon.
Verantwortlich für diese Aktionen ist der Schweizer Künstler Johannes Gees, der damit zeigen wollte, wie absurd die Angst vor Minaretten sei. In einem Gespräch mit dem St. Galler Tagblatt sagte der 47-Jährige: Viele antiislamistisch eingestellten Leute tun so, als ob wir bald mit richtigen Muezzin-Rufen von den Dächern rechnen müssten. Diese Angst ist lächerlich. Dies möchte ich den Leuten aufzeigen. Ich bin sicher, dass sie und die Kirchen den Schalk verstehen.“

Ob dies der Fall ist, bleibt fraglich. Nach eigenen Angaben wurde dem Aktionskünstler in Zürich eine Anzeige wegen Beschallung des öffentlichen Raumes angedroht. Und auch in St. Gallen behält sich die betroffene Kirchgemeinde eine Anzeige vor. Mit der illegalen Aktion sei der Kirchturm zweckentfremdet worden. Ausserdem hätte der Künstler damit ein falsches Zeichen gesetzt, da solche Aktionen nur polarisieren würden, so Karl Gabler, Präsident der Evangelisch-reformierten Kirchgemeinde St. Gallen-Centrum, in einer Stellungnahme dem St. Galler Tagblatt gegenüber.

Auch bleibt fraglich, ob der Künstler sein Ziel erreicht hat: Zu zeigen, dass die Angst vor Muezzinrufen lächerlich sei. Denn was im Moment unter „Aktionskunst“ läuft, hat einen Eindruck davon vermittelt, wie es wäre, wenn Muezzinrufe von Minaretten tatsächlich einmal Alltag in Zürich, St. Gallen und Bern wären. Und das war für viele alles andere als lächerlich.