Die globale Coronavirus-Pandemie hat die systemische Diskriminierung, Ungleichbehandlung und Verfolgung, der allein in den 50 führenden Ländern des Weltverfolgungsindex (WVI) 309 Millionen Christen ausgesetzt sind, verdeutlicht und verschärft. Dies ist einer der Haupttrends im aktuellen Bericht, der die Verfolgung und Diskriminierung von Christen weltweit dokumentiert.

Der Index, der jährlich im Januar vom Hilfswerk Open Doors herausgegeben wird, zeigt eine erschreckende Entwicklung: Dieses Jahr weisen erstmals alle Länder der Top 50 ein mindestens „sehr hohes“ Mass der Verfolgung auf; in den Top 12 ist das Ausmass gar „extrem“. Nordkorea ist zum 20. Mal in Folge das Land, in dem es sich als Christ am schlechtesten lebt. Insgesamt weisen 74 Länder ein extremes, sehr hohes oder hohes Mass an Verfolgung auf. Mindestens 340 Millionen Christen oder 1 von 8 Christen weltweit sind davon betroffen. Wie bereits in den Vorjahren sind auf den vorderen Plätzen vor allem islamisch geprägte Länder zu finden:

01 Nordkorea
02 Afghanistan
03 Somalia
04 Libyen
05 Pakistan
06 Eritrea
07 Jemen
08 Iran
09 Nigeria
10 Indien
11 Irak
12 Syrien
13 Sudan
14 Saudi-Arabien
15 Malediven

Die Anzahl der in einem Jahr getöteten Christen stieg von 2983 auf 4761. Dies entspricht einer Steigerung von fast 60 Prozent. Neun von zehn Christen starben dabei in Afrika südlich der Sahara. Ebenfalls gestiegen sind die Entführungen und die Anzahl vermisster Christen: um 60 Prozent von 1052 im Vorjahr auf aktuell 1710. Die Anzahl der Haftstrafen stieg um 5 Prozent von 1391 im Vorjahr neu auf 1464.

Weltweit: COVID-19 verschärft bestehende strukturelle Verwundbarkeit

Die Pandemie hat die Situation von Christen weltweit nochmal deutlich verschärft. Sie scheint ein Katalysator dafür zu sein, dass bisher oft verdeckte Haltungen der Unterdrückung zum Vorschein kommen. In Indien berichteten 80 Prozent der mehr als 100’000 Christen, die von den Partnern von Open Doors Hilfe erhielten, dass sie von staatlichen Lebensmittelverteilstellen weggeschickt wurden. Einige liefen kilometerweit und verheimlichten ihre christliche Identität, um anderswo Essen zu bekommen. Eine 2017/18 durchgeführte Regierungsumfrage ergab, dass die Arbeitslosigkeit unter Christen grösser ist als unter anderen religiösen Gruppen. So führte der Ausschluss von grösstenteils staatlichen Lebensmittelhilfen dazu, dass ganze Gemeinschaften Not leiden. Auch in anderen, meist asiatischen Ländern wurde Christen in ländlichen Gebieten Hilfe verweigert.

Viele Christen befinden sich in der Situation, dass die Ausgangssperren sie mit denen zu Hause einschliessen, die ihrem Glauben am feindlichsten gegenüberstehen. Das ist vor allem für Frauen und Kinder fatal, die besonders davon betroffen sind. In den Ländern der Top 10 stieg die Zahl der Frauen, die über psychische Gewalt sowie über den Kontaktverlust zu ihren Glaubensgenossinnen klagten.

Auch Berichte von Entführungen, gewaltsamen Bekehrungen und Zwangsheiraten von Frauen und Mädchen haben zugenommen. Ein typischer Fall ist der der gläubigen Christin Rania Abdel-Masih in Ägypten, eine 39-jährige Mutter von drei Töchtern, die sich für ein bekanntes christlich-muslimisches Projekt als Freiwillige engagierte. Nachdem sie im April auf dem Weg zu ihrer Schwester verschwunden war, tauchte sie in mit der Muslimbruderschaft in Verbindung stehenden Internetvideos auf, auf denen sie einen Niqab trug und sagte, sie sei seit neun Jahren Muslima. Sie sah ängstlich aus und sprach eindeutig unter Zwang. Drei Monate später, nach Medienberichten und der Diplomatie der koptischen Kirche, konnte sie zu ihrer Familie zurückkehren und betonte, dass sie nie zum Islam konvertiert sei.

Afrika: Islam-Miliz nutzt Corona-Beschränkungen aus

In ganz Subsahara-Afrika war die Kirche mit bis zu 30 Prozent mehr Gewalt konfrontiert als im vergangenen Jahr. Dschihadisten und Milizen nutzen das Versagen schwacher Regierungen aus. In Nigeria, das zum ersten Mal unter den Top 10 ist, wurden mehrere hundert meist christliche Dörfer besetzt oder von bewaffneten Fulani-Hirten überfallen. Boko Haram und seine Splittergruppe, der Islamische Staat in Westafrika, waren für etwa 400 Gewaltangriffe im Norden Kameruns verantwortlich, von denen 234 gegen Zivilisten gerichtet waren.

Ein Beamter des UNHCR sagte, die zentrale Sahelzone – Mali, Burkina Faso und Niger – sei das Epizentrum der weltweit am schnellsten wachsenden Vertreibungskrise. In Burkina Faso, das bis vor kurzem für seine interreligiöse Harmonie bekannt war, sind infolge von Dürre und Gewalt 1 Million Menschen vertrieben worden. Islamisten greifen Kirchen an (14 Menschen bei einem Angriff getötet, 24 bei einem anderen). Human Rights Watch berichtet von über 85 Angriffen auf Bildungseinrichtungen in Burkina Faso, Mali und Niger zwischen Januar und Juli 2020. In Mali werden nach wie vor westliche Christen als Geiseln gehalten und getötet.

In Ostafrika ist Mosambik (neu auf dem WVI) mit der Gewalt eines Ablegers des Islamischen Staats in Zentralafrika konfrontiert, der im Volksmund Al-Shabaab genannt wird, sich aber von der somalischen Gruppe unterscheidet. Sie wollen die Scharia in der mineralreichen, aber wenig entwickelten Provinz Cabo Delgado einführen, die seit 2017 bei 600 Angriffen mehr als 1150 Tote und über 300’000 Vertriebene zu beklagen hat.

Die Demokratische Republik Kongo (DRK – neu auf dem WVI) wird von ihrer eigenen, mit dem Islamischen Staat verbundenen Gruppe, den Alliierten Demokratischen Streitkräften (ADF), bedrängt, die sich in der Provinz Nord-Kivu niedergelassen haben. Sie haben fast die vollständige Kontrolle über riesige ländliche Gebiete. Seit Jahren greifen sie christlich geführte Schulen und Kliniken an, brennen Kirchen nieder, töten Gemeindevorsteher und begehen laut einem UN-Bericht Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

China: Zunehmende Überwachung und Einschränkungen

China hat COVID-19 schnell und effektiv eingedämmt, doch für seine 97 Millionen Christen sind die Kosten hoch, denn die Überwachung reicht bis in ihre Häuser hinein und verfolgt Online- als auch Offline-Interaktionen. Von Chinas geschätzten 570 Millionen Überwachungskameras verfügen Millionen über eine fortgeschrittene Gesichtserkennungssoftware, die mit Chinas „Sozialkreditsystem“ verbunden ist, das die wahrgenommene „Loyalität“ gegenüber der kommunistischen Überzeugung überwacht. Berichte aus den Provinzen Henan und Jiangxi zufolge befinden sich solche Kameras in allen staatlich zugelassenen religiösen Stätten. Viele dieser Kameras sind mit dem Büro für öffentliche Sicherheit verbunden. Vertreter der kommunistischen Partei in Shanxi, Henan, Jiangxi, Shandong und anderen Provinzen haben damit gedroht, Sozialhilfeleistungen wie Renten zu streichen, wenn Christen sich weigern, christliche Bilder wie Kreuze durch Bilder von Präsident Xi Jinping zu ersetzen. Zur „Sinisierung“ der Religion gehört auch die von sozialistischen Werten geleitete Neuinterpretation der Bibel.

Der Bischof der katholischen «Untergrundkirche» in der Diözese Mindong, der lange Zeit von den Behörden schikaniert worden war, trat zurück, um Platz für seinen von der Regierung genehmigten Nachfolger zu machen, der dann umgehend eine Delegation von 33 Priestern anführte, um sich über die Sinisierung der Religion zu informieren.

Indien, Türkei: Nationalismus getrieben von mehrheitsreligiöser Identität auf dem Vormarsch

Inmitten einer Welle des Hindu-Nationalismus stehen die indischen Christen täglich unter Druck. Der Bau eines Hindu-Tempels auf dem Gelände einer Moschee – ein zentrales Wahlversprechen von Premierminister Narendra Modi – ist ein grosser Erfolg für seine nationalistische Unterstützerbasis. Die Botschaft „Um Inder zu sein, muss man Hindu sein“ führt dazu, dass Mobs weiterhin Christen, aber auch Muslime angreifen. Indien blockiert auch weiterhin den Fluss ausländischer Gelder an viele christlich geführte Krankenhäuser, Schulen und kirchliche Organisationen.

Auch der türkische Präsident Erdogan erfüllte die Erwartungen seiner Wähler, als er ein Gericht davon überzeugte, die ehemalige orthodox-christliche Kathedrale Hagia Sophia wieder in eine Moschee umzuwandeln. Einen Monat später wurde, weit weniger publik, ein weiteres UNESCO-Weltkulturerbe, die Chora-Kirche, von einem Museum in eine Moschee umgewandelt. In der Nähe der südöstlichen Grenze der Türkei wurde im Januar 2020 ein chaldäisches christliches Ehepaar aus seinem isolierten Dorf entführt, dessen jahrhundertelange christliche Geschichte durch Angriffe der türkischen Armee und kurdische Diskriminierung zerstört worden war. Das Paar kehrte vor einem Jahrzehnt in seine Heimat zurück. Nachdem sie sich gegen die wiederholten Einschüchterungen der Behörden zur Flucht gewehrt hatten, waren sie die letzten Christen, die noch übrig waren. Die Leiche der Frau wurde im März gefunden; der Ehemann wird noch immer vermisst.

Der türkische Einfluss breitet sich über seine Grenzen hinaus aus, vor allem durch die Unterstützung Aserbaidschans in seinem Konflikt mit Armenien um die weitgehend christliche Enklave Bergkarabach. Im Nordirak greift die Türkei weiterhin die Kurdische Arbeiterpartei an, die sie als terroristische Organisation betrachtet. Mindestens 25 christliche Dörfer wurden infolge solcher Angriffe seit Anfang 2020 geräumt.

Die von der Türkei vorgenommene Umsiedlung ihrer Flüchtlinge aus anderen Teilen Syriens zurück in den Nordosten Syriens verändert erneut die Demographie der Region. Dies macht kurdische christliche Konvertiten aus dem Islam besonders verwundbar, ebenso wie die historischen Glaubensgemeinschaften.

Quelle: Open Doors Schweiz, Weltverfolgungsindex, Januar 2021