Die Vertreibung von Christen aus ihren Häusern und Gemeinden ist eine bewusste Strategie der religiösen Verfolgung, die darauf abzielt, die Präsenz des Christentums in Regionen, in denen die Verfolgung am stärksten ist, auszulöschen. Dies geht aus einem aktuellen Bericht des Hilfswerks „Open Doors“ hervor.

Open Doors veröffentlichte den Bericht „The Church on the Run: IDP & Refugee Report 2022“ im Vorfeld des Weltflüchtlingstages vom 20. Juni 2022. Die neusten Zahlen zeigen, dass es inzwischen 100 Millionen vertriebene Christen auf der Welt gibt. Der Bericht befasst sich mit dem Ausmass und der Art der religiösen Verfolgung von Binnenvertriebenen (IDPs) und Menschen, die ins Ausland flüchten.

Dramatische Veränderungen

Christliche Binnenvertriebene und Flüchtlinge werden die Verfolgung oft nicht los, wenn sie aus ihren Häusern und Dorfgemeinschaften fliehen, sondern sie sind auch weiterhin mit Anfeindungen und Herausforderungen konfrontiert, wie z.B. mit physischer Unsicherheit und psychischer Gewalt. Beispielsweise in Sub-Sahara-Afrika können christliche Binnenflüchtlinge mit Ächtung konfrontiert werden. Für sie stellen Schutz und Aufnahme durch die Gesellschaft ein grosses Problem dar. Sie werden oft abgelehnt, weil sie sich nicht der islamischen Mehrheitsreligion anschliessen. Faktoren wie Alter, Geschlecht, Konfession und ethnische Zugehörigkeit können die Erfahrungen vertriebener Christen zusätzlich prägen und die Intensität der Verfolgung beeinflussen.

Die langfristigen Auswirkungen von Vertreibung können ein Land über Generationen hinweg dramatisch verändern. Im Irak zum Beispiel lebte über eine Million Christen, bevor Saddam Hussein an die Macht kam. Jetzt sind es nur noch 166’000. Während seiner Herrschaft ging die Zahl der Christen kontinuierlich zurück, doch nach dem Jahr 2003 stieg die Verfolgung in der Region sprunghaft an, und der Druck spitzte sich 2014 mit dem Aufstieg des IS zu.

Ziel: Spaltung

„Teil dieser bewussten Strategie ist es, die Religionsgemeinschaften zu spalten. Die Vertreibung ist nicht nur ein Nebenprodukt der Verfolgung, sondern in vielen Fällen ein bewusster Teil einer umfassenderen Strategie, um das Christentum aus der Gemeinschaft oder dem Land zu vertreiben“, erklärt Helene Fisher, Open Doors-Spezialistin für geschlechtsspezifische Verfolgung.

Die häufigste Ursache für die Vertreibung von Christen sind Familienangehörige, welche Konvertiten als Abtrünnige und Verräter betrachten, gefolgt von Regierungsvertretern, Dorfgemeinschaften und gewalttätigen religiösen Gruppen. Familienangehörige sind in der Lage, grundlegende Überlebensbedürfnisse wie Nahrung oder Unterkunft zu verweigern, die körperliche Unversehrtheit zu bedrohen oder zu verletzen, als Teil des täglichen Drucks auf Konvertiten zum christlichen Glauben; in einigen Fällen macht die Todesdrohung eine rasche Flucht erforderlich.

Druck auch nach Verfolgung da

Philippe Fonjallaz, Direktor von Open Doors Schweiz, betont: „Gerade die Schweiz mit ihrer wertvollen, langjährigen, humanitären Tradition ist prädestiniert, sich für Glaubensfreiheit und religiöser Minderheiten stark zu machen. Wir fordern die Landesregierung auf, dieses Thema bei internationalen Kontakten klar anzusprechen.“ Eva Brown, leitende Analystin für religiöse Verfolgung bei Open Doors, fügt hinzu: „Schwere Verfolgung hört nicht immer auf, wenn der Einzelne flieht. Christen, die zur Flucht gezwungen sind, können jederzeit verfolgt werden, auch wenn sie sich in einem Land niederlassen, in dem sie sich sicher fühlen.“ Christliche Migranten und Flüchtlinge, die in Libyen stranden, sind einem besonders hohen Risiko ausgesetzt, von bewaffneten Gruppen misshandelt zu werden, die darauf abzielen, ihre Auslegung des islamischen Rechts durchzusetzen. Dort wurden Menschen aus Nigeria, Eritrea, Äthiopien und Ägypten wegen ihrer Religion entführt, gefoltert und getötet.

Eva Brown weiter: „Das Bewusstsein für diese vielschichtige Gefährdung ist von entscheidender Bedeutung, damit auf die Bedürfnisse von marginalisierten Binnenvertriebenen und Flüchtlingen bestmöglich eingegangen werden kann.“

Quelle: Medienmitteilung Open Doors, 16. Juni 2022