Das 100jährige Gedenken an den Armeniergenozid 2015 ist aktueller geworden, als irgendjemand geahnt hat.
Der Botschafter für Menschenrechte der Weltweiten Evangelischen Allianz Thomas Schirrmacher hat sich im Libanon bei Katholikos Aram I. über die Vorbereitungen zum 100jährigen Gedenken des Armeniergenozids informiert. Die Audienz war der Höhepunkt eines mehrtägigen Aufenthaltes von Schirrmacher mit seiner Familie im Amtssitz des Katholikos, dem Zentrum der Armenisch-Apostolischen Kirche von Kilikien. Zusammenfassend teilte Schirrmacher den libanesischen Medien mit: „Noch bei der Vorbereitung der Reise war nicht abzusehen, wie tagesaktuell das Thema werden würde. Das, was armenischen Christen, syrischen bzw. aramäischen Christen und anderen christlichen Minderheiten des Nahen Ostens vor hundert Jahren an Mord und Vertreibung widerfuhr und was immer wieder einmal auflebte, ist plötzlich für dieselben Völker brutal wieder zurückgekehrt.“

Unter Führung des für die ökumenischen Beziehungen zuständigen Bischofs Nareg Alemezian besichtigte Schirrmacher mit seiner Familie die folgenden Stationen:

1. Die Statue in Bikfaya, 1965 zum 50jährigen Gedenken des Genozids gestiftet, symbolisiert das Wiedererwachen des armenischen Volkes. Sie wird von Grund auf saniert. Ebenso wird die daneben befindliche theologische Ausbildungsstätte generalüberholt, die Schirrmacher ebenfalls besuchte.

2. Das geplante Genozidmuseum in Byblos im ehemaligen „Vogelnest-Waisenheim“, in dem Missionare sich um armenische Waisenkinder kümmerten. Das Gebäude wird vollständig umgebaut und erweitert und derweil werden Erinnerungsstücke aus aller Welt gesammelt.

3. Renovierungen auf dem Gelände des Amtssitzes des Katholikos in Antelias/Beirut: Die Märtyrerkapelle von 1936, die Sankt-Georgs-Kathedrale von 1940 und das Cilicia Museum of Armenian Culture and Spiritual Heritage von 1998.

Zudem machte Schirrmacher zahlreichen in Beirut ansässigen Kirchenführern seine Aufwartung, darunter Clemis Daniel Kourieh, Erzbischof von Beirut der Syrisch-Orthodoxen Kirche, und Metropolit Cyril Salim Bustro, Statthalter in der Residenz des antiochenischen Patriarchen, des Oberhauptes der katholisch-orientalischen Christen, zu denen Schirrmacher seit Jahren engen Kontakt hält.

In Saida, der Nachbarstadt von Beirut, besuchte Prof. Schirrmacher den Vorsitzenden Schariarichter, Sheik Muhammad Abu Zaid. Bei einer anschließenden Stadtführung stellte der Richter betroffen fest, wie schade es sei, dass zunehmend Juden, Christen und Muslime in Saida nicht mehr friedlich nebeneinander leben könnten. Anschließend hielt Schirrmacher eine Gastvorlesung vor Studenten und Dozenten über die Lage der Muslime in Europa und die Vorteile von Religionsfreiheit an der Al-Iman High School, die Teil der islamischen Jinane Universität ist. Gegenüber Rektor Kamel Kazbar brachte er zum Ausdruck, dass er sich häufiger solcher Art Dialog wünschte.

Der Katholikos von Cilicien ist einer der drei Patriarchen der Armenisch-Apostolischen Kirche. Die Armenisch-Apostolische Kirche gehört zu den sieben monophysitischen Kirchen des Nahen Ostens. Sie anderen sechs sind die koptische, syrische, äthiopische, eritreische Kirche und zwei syrisch-orthodoxe Kirchen in Indien.

Aram I. Keshishian (Jhrg 1947) ist ein Geistlicher der Armenischen Apostolischen Kirche und seit 1995 „Katholikos des Großen Hauses von Kilikien“. Seit 1975 hat er wichtige Leitungsämter im Ökumenischen Rat der Kirchen inne, 1993-2003 das höchste Amt als Moderator des Zentralkomitees des ÖRK – dies als erster Vertreter einer Ostkirche. 1974 war Aram Keshishian Mitbegründer des Rates der Ostkirchen. Bei seinem Besuch im Vatikan 1997 unterschrieb er mit Papst Johannes Paul II. zusammen eine gemeinsame ökumenische Deklaration.

Schirrmacher hatte jüngst im Rahmen der Hanns-Seidel-Stiftung eine Studie zur Bedeutung der Armenierfrage in der türkischen Innenpolitik veröffentlicht (siehe dazu BQ 278). Derzeit forscht er für das Symposium „Zur Konflikthaftigkeit religiöser Identitätsbildung und Erinnerungskultur in Europa seit der Frühen Neuzeit“ am „Bundesinstitut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa“ an der Universität Oldenburg zur Erinnerungskultur der Armenier und Syrer in der Diaspora (siehe dazu BQ 329).

Quelle: Bonner Querschnitte (BQ) 331 – Nr. 45/2014