Rudolf Schmidheiny ist ein Mann, der zu kritischem Denken anregt. Mit seinem Buch „Kinder gehören den Eltern, nicht dem Staat“, hat der vierfache Vater und Gründer der Initiative „Bildung zu Hause“ eine Streitschrift verfasst, die Etabliertes in Frage stellt. Weil Schmidheiny in seinen Ausführungen immer wieder Anliegen aufnimmt, für die sich auch Zukunft CH seit vielen Jahren einsetzt, publizieren wir hier seinen Artikel über das Geheimnis schweizerischer Eigenständigkeit in zwei Teilen. Im ersten, unten folgenden Teil geht es zum einen um Freiheit und Grundrechte und zum anderen um Pflichten und Selbstanhandnahme.

Die Schweizerische Bundesverfassung (BV) enthält die Grund legenden Elemente, welche die sprichwörtliche schweizerische Eigenständigkeit untermauern. In der schweizerischen Politik, ob im Parlament und bei den Parteien, ob in der Rechtssprechung oder in der Verwaltung (Bundesrat, Kantonsregierungen usw.), herrscht allgemein grosse Einigkeit so zu tun, als ob weder die Einleitung zur Bundesverfassung noch die ersten Grund-legenden Artikel 5, Artikel 5a und Artikel 6 existierten. Die Staats- und die subventionierten Hauptmedien bilden das ab und so sollte es niemanden verwundern, wenn in der Gesellschaft allgemein die so erwirkte Staatsgläubigkeit übernommen wird. Erst recht ist zu erwarten, dass der Einzelne, die Familie die Abhängigkeit von seinen bzw. ihren „Bevormundern“ als normalen Daseinszustand wahrnimmt. Von der Wiege bis zum Grab wacht die staatliche Politik und Bürokratie über das Wohlergehen seiner Bürger.

Die Grundperspektive muss stimmen

Wenige Menschen kommen im Laufe ihres Lebens dazu, darüber nachzudenken, dass staatliche Organe oder Institutionen keine Nachkommen zeugen können. Staatsverwaltungen sind deshalb darauf angewiesen, dass Familien Nachkommen hervorbringen. Tun Familien das nicht, fehlt den staatlichen Verwaltern das zu verwaltende Menschen-„Material“. Dies bedeutet schlechthin, dass die Familie eine vorstaatliche Rolle einnimmt, einnehmen muss, denn der Staat bzw. die staatliche Verwaltung, die auf sich allein gestellt wäre, stirbt, sobald kein „Nachschub“ mehr folgt. Kurz: Die Bedeutung der Familie ist um einiges grösser, als die der staatlichen Bevormunder, wer immer sie seien, eine Schulbehörde, ein Bundesrat, ein Polizist oder ein Richter.

Nicht wir, die Bürger finden dank des Staates ein Auskommen, sondern der Staat finanziert sich und ein Heer von Politikern und Bürokraten aus der Steuerleistung der arbeitenden und produzierenden Bevölkerung. Die Bundesverfassung müsste den Bürgern dienen, nicht der Verwaltung. Eine Verfassung, die für die Verwaltung geschrieben wäre, ist nutzlos. Die Verfassung muss dazu dienen, dem Bürger Gewähr zu bieten, dass er seinen menschlichen Pflichten ungehindert nachkommen kann. Doch halt! Das tut die BV nicht. Gemäss Artikel 2 schützt die schweizerische Eidgenossenschaft die Freiheit und die Rechte des Volkes.

Das doppelte Verhängnis

In diesem Zweckartikel liegt m.E. ein doppeltes Verhängnis: Zum einen ist unklar, was genau mit Freiheit des Volkes gemeint ist: frei von z.B. Sklaverei, von Fronarbeit, von Steuerlast, von Zwangsmassnahmen, d.h. frei von Lasten, die uns andere auferlegen, frei von Unterworfensein. Frei, um meine Pflichten auszuüben, gegenüber meinen Eltern, meinem Kinde, frei, um anderen zu helfen und beizustehen, d.h. frei, ohne durch jemanden gehindert oder behindert zu werden, frei, um Pflichten wahrzunehmen …? „Frei ist nur, wer seine Freiheit gebraucht“, lautet ein Satz in der Präambel. Dies kann mitunter als Einladung verstanden werden, Freiheit gemäss BV dazu zu nutzen, Unrecht auszuüben, solange das niemand merkt oder niemand Einspruch dagegen erhebt.

Zum andern ist vom Schutz der Rechte des Volkes die Rede. Dies tönt nicht schlecht. Nur: Wer eines Tages den Eindruck gewinnt, dass ihm z.B. der Entzug seiner Rechte durch irgendeine Behörde angedroht oder mittels Beschluss entzogen wird, wird eingedenk, dass seine Rechte nicht geschützt, sondern staatlich verwaltet werden. Was ist gemeint? Wer einen Rechtsanspruch hat/zu haben meint, wird diesen Anspruch von einer staatlichen Behörde allenfalls sogar von überstaatlichen Organisationen und deren Richtern einfordern. Eine Behörde oder Organisation ist befugt, Rechte zu erteilen oder aber diese auch zurückzubehalten.

Damit Bürger überhaupt Rechte ausüben können, muss jemand vorhanden sein, der diese Rechte verwaltet und im guten Falle auch gewähren wird. Dann, wenn ein oder mehrere Rechte entzogen werden, wird manchem Bürger erst klar, dass er sich von einer staatlichen Behörde hat bevormunden lassen, ohne es zu merken. Oder er hat sich nicht daran gestört, dass Bürokraten seine Rechte gar nicht schützen, sondern verwalten. Corona-Massnahmen haben genau das gezeigt bzw. bewusst gemacht, dass unsere Rechte nicht geschützt, sondern von selbsternannten Experten verwaltet, erteilt oder entzogen werden. In solchem Falle nützen die schönsten Floskeln zum Thema Freiheit nichts, dann nämlich, wenn die „Freiheit zu handeln“ eingeschränkt und/oder verboten wird.

Verwaltung: Herrscher oder Diener?

Könnte es sein, dass die Verfasser der BV es bewusst angestrebt hätten, das Volk mit „Rechten“ zu beschenken, was die staatlichen Behörden, als „Recht“ zuteilende Stelle in eine höhere, in eine über dem Volk liegende, obrigkeitliche Position rückten? Geschah es unbewusst einfach im Geiste des Humanismus? Mit dieser unscheinbaren Formulierung, den Schutz von Rechten in der BV betreffend, wird demnach angezeigt, dass die Behörden die Oberhand über den Bürger gewonnen haben, indem sie die Rechte des Bürgers verwalten, nicht schützen. Die Verwaltung hat sich zur Herrscherin erhöht, obwohl sie des Volkes Dienerin sein müsste.

Durch die BV zu schützen wären nicht die Rechte des Bürgers, sondern einzig seine Freiheit, die dem Einzelnen erlauben würde, zu Gunsten seines Nächsten zu handeln. Mit anderen Worten: der Schutz der Freiheit liesse keinesfalls zu, dass Eltern verboten würde, ihre Pflichten gegenüber den Kindern wahrnehmen zu können. Das, was das deutsche Grundgesetz (GG) in Artikel 6.2 festhält, „Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht“, kann in Deutschland so wenig wie in der Schweiz praktiziert werden. Bürger werden mittels Gesetz daran gehindert, die ihnen obliegenden Elternpflichten wahrzunehmen. Das Recht auf Bildung (AEMR Artikel 26) und dessen universelle Anerkennung hat in Deutschland und in der Schweiz und in weiteren Ländern zur Folge, dass Kinder – staatlich zwangsbeglückt – gezwungen werden, staatliche Bildungsprodukte zu konsumieren. Das Recht auf Bildung erzeugt, von staatlichen Organen als Schulzwang umgesetzt, grobes menschliches Unrecht.

Rechte vs. Pflichten

Es ist auffallend, wie sich seit der Zeit der Aufklärung die Wahrnehmung von Bürgerpflichten auf die Einforderung von Bürger-, bzw. Menschenrechten verschoben hat.

„Bill of Rights“ (Grundrechtseinforderung)

Die US-amerikanische Unabhängigkeitserklärung (aU) vom 4. Juli 1776 darf wohl als Prototyp von Unabhängigkeitserklärungen herangezogen werden, um die erwähnte Verlagerung zu illustrieren. Der aU wird welthistorische Bedeutung zugemessen. Sie wurde der Ausgangspunkt für die Amerikanische Verfassung von 1787. Die aU, die Verfassung zusammen mit der US-amerikanischen „Bill of Rights“ von 1789, waren von entscheidendem Einfluss auf die Erklärung der Menschenrechte von 1789 in Frankreich und ab da auf die Verfassungen aller im 19. und 20. Jahrhindert neu entstehenden Staaten auf dem europäischen Festland, aber auch in Übersee (Mittel- und Südamerika).

Nicht unterschlagen werden darf die britische „Bill of Rights“ (1689), die als Mutter aller mittels Deklaration geforderten Rechte gesehen werden kann. Wie in allen anderen Erklärungen, die Rechte einfordern, hofften die Verfasser, das damals herrschende Königshaus und den Adel zurückzubinden, und verlangten, dass minimale Rechte und Freiheiten des Bürgers nicht durch drakonische Massnahmen und Gesetze wieder vernichtet werden durften. Dieser Erklärung war u.a. ein blutiger Bürgerkrieg unter Cromwell vorausgegangen. Alle diese ersten Erklärungen sollten verhindern, dass königliche oder republikanisch-demokratische Obrigkeiten Bürgerrechte usurpieren und sich, getrieben von Lust auf Macht, unrechtmässig an den Bürgerrechten vergreifen können.

Allgemeine Menschenrechtserklärung (AEMR)

Die Mitte des 20. Jahrhunderts entstandene Allgemeine Menschenrechtserklärung (AEMR 1948) kann als welthistorische Quintessenz und vielleicht als Kulminationspunkt neuen Rechtsverständnisses bezeichnet werden. Anders als im dunklen Mittelalter, als das „primitive Naturrecht“ die Menschen knechtete – eigentlich waren es die Monarchen und der Adel, die Päpste und die Prälaten, nicht das Naturrecht, die das Volk bedrückten –, handelt es sich beim Menschenrecht um ein rein positivistisches Rechtskonstrukt. Dies bedeutet: ein überstaatliches Menschenrecht oder ein staatliches Gesetz gilt, weil es durch einen irgendwie anerkannten menschlichen Prozess entwickelt und ausgedacht worden ist. Die Natur einer Sache wird dabei nicht berücksichtigt. [1]

Im Falle der AEMR die von den meisten Staaten der Welt anerkannt wird – noch ohne dass nur einer dieser Staaten es unterzeichnet hätte – gilt als von oben aufgedrücktes UN-Recht praktisch universell. Es handelt sich um ein UN[O]-Dokument, das demnach hoch erhaben über irgendwelchen staatlichen Gesetzen, geschützt vor irgendwelchen kritischen Anfragen oder Änderungswünschen, thront. In der AEMR werden 30 Artikel universell gültiger Anspruchsrechte aneinandergereiht. Pflichten des Bürgers haben ein ziemlich bedeutungsloses Schattendasein. Während rund 50-mal zu lesen ist, jeder Mensch habe Anspruch auf … , jeder habe das Recht teilzunehmen an … , ein Recht auf dies und das, steht im vorletzten Artikel (29) „Jeder hat Pflichten gegenüber der Gemeinschaft, in der allein die freie und volle Entfaltung seiner Persönlichkeit möglich ist.“

So sehr die vorgängigen rund 50 Anspruchsrechte alle recht konkret sind (Bleiberecht, Recht auf Einkommen, Gesundheit, Lebensstandard, Nahrung, Kleidung, Wohnung, Recht auf Bildung, auf Hilfe, auf Schutz vor Diskriminierung usw.), bleiben die Pflichten vage und undefiniert, allerdings wird gleich im selben Satz auch der Anspruch auf „volle Entfaltung seiner Persönlichkeit“ als Wirkung erfüllter Pflichten gegenüber der Gemeinschaft verankert. Wäre in der AEMR die einzige Pflicht der Gemeinschaft gegenüber unerwähnt geblieben, hätte aufgrund ihrer Bedeutungslosigkeit niemand danach gefragt.

Schweizerisch UR-eidgenössische Gesinnung – Bundesbrief 1291

Als Schweizer, nicht ganz uneingedenk der ersten „Verfassung“ 1291, sei hier nur kurz aufgeführt, wie anders das Weltverständnis unserer Vorgänger war: Schutz vor Unrecht und böswilligem Angriff, gegenseitige Erhaltung und Beistand, gegenseitigen Rat und entsprechende Förderung mit Leib und Gut, eine Verpflichtung, nicht zu schaden und Bedrohten beizustehen, waren die Inhalte, welche die Gründerväter in der ersten „Verfassung“ verankert haben wollten. Verletzte Rechtszustände wurden nicht geduldet. Wiedergutmachung, Strafe usw. sind verbindliche Forderungen. Es sind nicht Anspruchsforderungen, sondern Forderungen zur Wiederherstellung des Rechts nach einer Übertretung desselben. Es sind nicht Forderungen an höhergestellte Dritte. Der Bundesbrief 1291 ist eine SelbstverPFLICHTung, andern beizustehen. Der erwarteten Selbstanhandnahme geht die innere Selbstverpflichtung voraus.

Es liegt mir fern, das Gründungsdokument der Schweiz in falscher Weise glorifizieren zu wollen. Es dient aber als gutes Beispiel und Beweisstück, wie sehr wir uns als Gesellschaft von einer dem Naturrecht entsprechenden, sich selbst in die Pflicht nehmenden Haltung des Einzelnen in eine Meute weitgehend gedankenlos Rechte einfordernder Individuen entwickelt haben. Der natürliche Bezug zum Leben besteht weitgehend in Erwartungen und Ansprüchen, die übergeordnete Organe in Staatsverwaltung, Wirtschaft und Politik für uns erfüllen sollen.

In unserer neuen Broschüre „Die Schweiz im Umbruch: Wie Freiheit und Verfassung umgewertet und verletzt werden“ führt der Jurist und Mitarbeiter von Zukunft CH Ralph Studer die zunehmende Umdeutung und Verletzung von Verfassungsrechten aus. Die Broschüre kann über Tel. 052 268 65 02 oder via Bestellformular angefordert werden.

Hier geht es weiter zu Teil 2 des Artikels: Teil 2

 

[1] An der uns besonders interessierenden Frage betreffend Bildung und Erziehung wird anhand AEMR Art. 26 konkret nachgewiesen, wie zuerst vom Recht auf Erziehung (die vom Staat aufgezwungene Schulpflicht), dann die Ausrichtung der Erziehung auf die Entfaltung der Persönlichkeit und auf die Achtung der AEMR und ihre Verbreitung  (Missionsauftrag) aufgeführt sind. Die Eltern werden erst im dritten und letzten Absatz erwähnt. Ihnen soll das Recht zustehen, die Art und Weise der Bildung ihrer Kinder zu bestimmen. Der AEMR Art. 26 illustriert, was gemeint ist, wenn positivistisches Recht auf die Natur einer Sache keine Rücksicht nimmt. Natürlicherweise sind die Eltern die ersten und die einzigen, die für Bildung und Erziehung zuständig sind. Die AEMR stellt die Natur der Sache auf den Kopf: Staat, Überstaat, Eltern.