Wer sich für die binäre Geschlechterordnung von Mann und Frau einsetzt, riskiert einen „Shitstorm“, wer Vorträge mit genderkritischem Inhalt halten will, muss mit einer Absage rechnen. Dies sind traurige Beispiele, die tatsächlich passieren und verdeutlichen, dass unsere Grundrechte – vor allem die Meinungsfreiheit – einen schweren Stand haben. Wo stehen wir aktuell bezüglich unserer Grundrechte und welche Entwicklung ist zu erwarten? Über diese Thematik unterhielt sich Ralph Studer von Zukunft CH mit Dr. Felix Böllmann, deutscher Rechtsanwalt und Leiter der Rechtsabteilung bei ADF International in Wien.

 

Zukunft CH: Viele Menschen in der Schweiz wissen nicht, wer ADF International ist und welchen Zweck sie verfolgt. Könnten Sie ADF International näher vorstellen?  

Böllmann: ADF International ist eine christliche Menschenrechtsorganisation, die weltweit auf juristischem Wege Menschenwürde und Grundfreiheiten verteidigt. Wir arbeiten von sieben Standorten aus, durch eigene Juristen sowie mit Partneranwälten. Unter anderem werden Meinungs- und Religionsfreiheit auf verschiedene Weise eingeschränkt. Deswegen gehen wir vor Gericht und verteidigen diese Rechte auch bei internationalen Institutionen wie der EU oder den Vereinten Nationen.

Zukunft CH: ADF International unterstützt in Finnland Päivi Räsänen vor Gericht. Dieser Fall hat hohe Wellen geschlagen. Worum geht es in diesem Fall?

Böllmann: Päivi Räsänen ist seit über 25 Jahren Parlamentsabgeordnete in Finnland. Sie war Innenministerin und Vorsitzende der finnischen Christdemokraten. 2019 hinterfragte sie in einem Tweet das offizielle Sponsoring der finnisch-lutherischen Kirche für die LGBT-Veranstaltung “Pride 2019”. Ihrem Tweet hängte sie auch ein Bild mit Bibelversen (Römer 1) an. Dafür wurde sie wegen „Hassrede“ angezeigt, insgesamt mehr als 13 Stunden verhört und schliesslich von der Generalstaatsanwältin angeklagt.

Zukunft CH: Wie ist der aktuelle Stand?  

Böllmann: Nach einem grossen Prozess am Bezirksgericht Helsinki wurde Räsänen dann im März 2022 einstimmig freigesprochen. Allerdings ging die Staatsanwaltschaft kurz darauf in Berufung. Im August 2023 findet die nächste Verhandlung statt.

Zukunft CH: Welchen Verfahrensausgang erwarten Sie für Päivi Räsänen?  

Böllmann: Gemeinsam mit Päivi Räsänen sind wir zuversichtlich, dass das Gericht ihr Recht auf Meinungs- und Religionsfreiheit bestätigt. Denn auch wenn einige „woke“ Aktivisten und Politiker diese Freiheitsrechte einschränken wollen, sind sie im internationalen Recht verankert und u.a. in der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) festgeschrieben. Räsänen selbst hat gesagt, dass sie ihr Recht auf Meinungsfreiheit notfalls bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verteidigen wird.

Zukunft CH: Im aktuellen Magazin „Verbotene Gedanken“ von ADF International wird u.a. der Fall von Isabel Vaughan-Spruce beschrieben. Sie wurde verhaftet, weil sie vor einer geschlossenen Abtreibungsklinik still betete. Wie ist das möglich?  

Böllmann: Isabel Vaughan-Spruce wurde tatsächlich für etwas, was nach aussen nicht wahrnehmbar war, sondern nur in ihren Gedanken passierte, verhaftet. Deshalb mussten die Polizeibeamten auch erst nachfragen, ob sie etwa bete. Vaughan-Spruce nimmt wichtige Themen oft ins Gebet. Manchmal betet sie für schwangere Frauen in Not und deren ungeborenen Kinder und steht in der Nähe einer Abtreibungsklinik. Doch einige Behörden und inzwischen die britische Regierung verbieten Gebet und Unterstützungsangebote. Im Zuge dessen wurde Vaughan-Spruce verhaftet, obwohl sie nur in der Nähe einer geschlossenen Einrichtung stand und still in ihren Gedanken betete.

Zukunft CH: Sind Fälle wie Räsänen und Vaughan-Spruce in der Schweiz und in anderen europäischen Staaten ebenfalls denkbar?

Böllmann: Es gibt sicherlich einige politische Akteure, die bestimmte Überzeugungen wie zur Ehe zwischen Mann und Frau oder zum Beginn des menschlichen Lebens unter Strafe stellen wollen. Leider sehen wir in ganz Europa einen neuen Zensurtrend: Wichtige Themen werden nicht mehr debattiert, sondern Meinungen mit Strafen und Verboten belegt. Dabei gibt es grosse Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern, aber Freiheit stirbt immer scheibchenweise. Darum ist es hilfreich, auf andere Länder zu blicken. Finnland und Grossbritannien sind eher für freien Diskurs und Debattenfreude bekannt – und trotzdem gibt es dort solche Fälle.

Zukunft CH: In Grossbritannien debattierte das britische Unterhaus über die Einführung von Zensurzonen im ganzen Land. Gebet und Beratung wären dann vor Abtreibungskliniken in Grossbritannien verboten. Sind solche Zensurzonen verfassungsmässig?   

Böllmann: Inzwischen hat das britische Unterhaus tatsächlich so ein Gesetz verabschiedet. Sowohl Grossbritannien als auch seit 1974 die Schweiz sind aber an die EMRK gebunden. Und dort sind Religions-, Versammlungs- und Meinungsfreiheit, wie auch in praktisch allen Verfassungen demokratischer Staaten, stark geschützt.

Zukunft CH: Christen werden zunehmend in ihren verfassungsmässigen Rechten eingeschränkt. Worauf ist diese Entwicklung zurückzuführen?  

Böllmann: Christen folgen Jesus Christus, der von sich sagt, dass er der Weg, die Wahrheit und das Leben sei. Daher können sie Überzeugungen nicht einfach wechseln, nur weil sie Gegenwind spüren. Deswegen sind Glaubens- und Meinungsäusserungsfreiheit rechtlich geschützt. Doch es gibt seit einigen Jahren die starke Tendenz, Meinungsaussagen – abhängig vom Inhalt – mit einem tätlichen Angriff gleichzusetzen. In einer freien Gesellschaft wird Meinung eigentlich durch Meinung bekämpft. Das genügt einigen aber offenbar nicht. Sie wollen bestimmte Meinungen durch Geldstrafen und Zensurvorgaben „canceln“. Christen mit ihrem Einsatz für die Familie, das Recht auf Leben und die universelle Würde aller Menschen werden dabei mitunter zur „Zielscheibe“.

Zukunft CH: Werfen wir einen Blick in die Zukunft. Wo sehen Sie die grössten Gefahren für unsere Freiheitsrechte? 

Böllmann: Es liegt an uns allen, Grundrechte zu verteidigen und an die Generation unserer Kinder weiterzugeben. Dazu gehört auch, dass wir unsere Freiheit nutzen und diese fördern müssen. Freiheitsrechte sind wie Muskeln: Nur wer sie benutzt, kann sie stärken.

Hoffnungslose Untätigkeit in Kombination mit „woken“ Zensurbestrebungen sind die grösste Gefahr für unsere Freiheitsrechte. Das Gute daran ist, dass wir etwas tun können. Bei ADF International nennen wir das „hoffnungsvolles Engagement“. Gesunder Realismus gepaart mit Zuversicht ist die Grundlage für unsere langfristige Arbeit.

Zukunft CH: Vielen Dank für dieses Interview.