Von klein auf faszinierten mich andersartige, vor allem aber leidende Menschen, wie z.B. die schwarzen Sklaven oder die Indianer. Wenn ich Muslime sehe, ob privat oder bei meiner Arbeit als Berater für arabisch sprechende Ausländer, so erkenne ich in ihnen in erster Linie auch Leidende. Viele Muslime, die ich persönlich kenne, leiden unter einer enormen inneren Spannung. Da ist einerseits die Angst, die der militante Islam verbreitet, andererseits aber auch die tiefe Sehnsucht nach Frieden. So wie bei dem jungen Mann in der folgenden Geschichte. Eine Begegnung von vielen …
Wieder einmal befinde ich mich im Gefängnis für diejenigen Asylanten, die die Schweiz verlassen müssen. Eine ganze Anzahl von Besuchern hat sich eingefunden, die sich an den verschiedenen Tischen installieren. Ich muss mich umschauen, um den mir unbekannten jungen Mann zu erkennen, der meinen Besuch gewünscht hat.

Bald befinden wir uns im Gespräch. Er erzählt mir seine Leidensgeschichte, welche vielen anderen ähnelt, die ich tagtäglich bei den Asylanten zu hören bekomme. Obwohl er selber Moslem ist, wurde er von Extremisten verfolgt, sagt er. Diese Geschichte wurde ihm aber von den Schweizer Behörden nicht geglaubt. Und doch können sie ihn aus irgendwelchen Gründen nicht zurückschicken. Seit acht Monaten sitzt er nun hier im Gefängnis. Er ist nach wie vor fest überzeugt, dass er bei einer Rückkehr umgebracht würde, wie er mir mehrmals erklärt. Zuerst erzähle ich einiges von meiner Familie und frage auch höflich nach seinen Verwandten. Das schafft Vertrauen. Gemäss der östlichen Kultur ist nämlich ein Mensch ohne Familie etwas Beängstigendes. Jeder hat ja zumindest eine Mutter, einen Onkel oder einen Cousin, über den er etwas Positives berichten kann.

Ich bin nicht die Schweizer Regierung. Auch bin ich kein Anwalt. Das muss ich ihm mehrmals klar machen. Zwar bin ich mit vollem Herzen, jedoch mit leeren Händen gekommen. Aus seinem arabischen Hintergrund heraus meint er nämlich, dass ich als Pastor – vergleichsweise mit einem islamischen Scheich – politischen Einfluss hätte. Ich muss ihm mehrere Erlebnisse erzählen, bis er einigermassen zu verstehen beginnt, dass in Europa Politik und Religion getrennt sind.

Christentum und Islam seien dasselbe, erklärt er. Dies sagt er aus Höflichkeit, nicht aus Überzeugung. Es handelt sich nicht um eine Lüge, sondern um ein Stück seiner Kultur, so verstehe ich das. Ich benutze diese Gelegenheit, um klarzumachen, dass die ganze Unmoral des Westens nichts mit dem wahren christlichen Glauben zu tun habe, worauf er zum x-ten Mal wiederholt, dass auch die Gewalt der Extremisten nichts mit dem Islam zu tun habe.

Ich atme auf und lache ihn an. „Dann hat sich ja dein Problem gelöst!“, rufe ich ihm fröhlich zu. „Dann kannst du getrost in deine Heimat zurückkehren.“ „Was sagst du da?“, fragt er verblüfft. „Wenn das Problem nur einige Extremisten sind, dann findest du viele Orte im Irak, wo du in Sicherheit leben kannst“, erkläre ich ihm gespielt naiv. „Nein, in den Irak kehre ich nie und nimmer zurück. Du hast ja keine Ahnung. Das Problem sind nicht nur die Extremisten. Entführungen, Raubüberfälle, Kriege, Morde, Bestechungen und Lügen. Das ist unser Leben. Es nimmt kein Ende. Die einzigen, denen man vertrauen kann, sind die Christen“, erklärt er.

„Hattest du dort christliche Freunde?“, frage ich überrascht. Ja, er erzählt gerne von diesen. Und auch von seinem kurdischen Freund, der mich zu ihm ins Gefängnis geschickt hat. Dieser sei nämlich ein Goldschatz. „Nie hätte ich glauben können, dass jemand den Islam verlässt, ausser er sei ein Verbrecher“, erklärt nun mein Gegenüber. „Aber dieser Junge ist das genaue Gegenteil. Das kann ich einfach nicht verstehen. Ehrlich gesagt: ich verachtete ihn für seinen Glaubenswechsel. Aber der Einzige, der sich nun im Gefängnis um mich gekümmert hat, ist er.“ Am meisten hat ihn berührt, dass jener, der selber kein Geld hat, ihm günstige Telefonkarten per SMS geschickt hat. So kann er nun für zehn Franken anstatt neun ganze 110 Minuten in den Irak telefonieren.

Dies wäre nun eine Chance, ihm einige negative Punkte über den Islam zu erzählen, um den Unterschied umso klarer erscheinen zu lassen. Aber zum Glück kann ich mich beherrschen. Genau das ist nicht meine Aufgabe. Stattdessen erinnere ich ihn daran, dass ja der Koran selber von den vielen grossartigen Wundern Jesu zeugt. Doch fehlen dort die meisten Details. Diese finden sich im Ingil (Evangelium bzw. Neuen Testament), das der Koran mehrfach ebenfalls als ein göttliches Buch rühmt (z.B. Sure 3:3).

Die fünfte Sure heisst „der Tisch“. Und dies hat seine tiefe Bedeutung. Gegen Ende der langen Sure findet sich nämlich eine Geschichte über Jesus, „Isa“ genannt. Demzufolge soll er auf Wunsch seiner Jünger einen Tisch aus dem Himmel auf die Erde herab gebetet haben. Darauf fanden sich Paradiesspeisen, von denen die Jünger assen. So steht es dort geschrieben, wie mein Gesprächspartner nun mit grosser Verblüffung zu hören bekommt. Es beeindruckt ihn sehr, dass ich nicht nur von der Bibel, sondern auch vom Koran erzähle. Er selber kennt weder das Eine noch das Andere. Zum ersten Mal hört er an diesem Tag, dass Jesus den Himmel auf die Erde gebracht hat – auf Umwegen zwar – aber auf eine Art, die ihn dort abholt, wo er steht. Und davon möchte er mehr hören. Ich verspreche, ihm beim nächsten Besuch ein Ingil mitzubringen.

Der Wächter ruft die Besucher zum Ausgang. Ich umarme meinen neuen Freund, der mir mehrmals versichert, dass dieser Besuch ihm sehr viel bedeute. Dann verschwindet er hinter einer eisernen Tür und ich hinter einer anderen.

Diese Geschichte ist eine von vielen, die ich im täglichen Umgang mit Muslimen, mit dem Islam, erlebe. Was die Sache mit dem Islam so schwer macht, ist, dass er mehr als eine Religion ist. Für uns Schweizer ist es schwer vorstellbar, dass eine Religion zugleich auch ein politisches Konzept sein kann. Was es noch verwirrender macht, ist, dass viele Muslime diese politische Seite des Islams aus Unwissenheit oder anderen Gründen leugnen. Deshalb ist es wichtig, christliche, jesidische, mandäische und ex-muslimische Flüchtlinge, die aus ihren Herkunftsländern zu uns geflohen sind, zu kennen und zu fragen.

Seit der Minarettinititative wird das Schweizervolk gerne als islamophob bezeichnet. Eine Phobie ist eine übertriebene Angstreaktion auf eine normale Situation. Wenn man aber über Jahre tagtäglich am Fernseher eine unaufhörliche Mordserie an unschuldigen Menschen mitverfolgen muss, verbunden mit Hasspredigten, Drohungen und katastrophalen Menschenrechtsverletzungen, die mit Koranversen begründet werden, dann meine ich, ist es eine angemessene Reaktion, Angstgefühle zu entwickeln. Das müssten auch Politiker und friedliebende Muslime verstehen können. Viele meiner persönlichen Freunde – Muslime und Nichtmuslime – sind aus Angst vor Muslimen in die Schweiz geflohen. Diese sind sehr glücklich über das Abstimmungsresultat der Minarettinitiative.

Das Schweizer Volk hat damit als erstes der Welt mal einen klaren Protestschrei eingelegt. Die Gewalt, die im Namen des Islam weltweit verübt und verherrlicht wird, hat mir oft den Schlaf geraubt. Ich bin ja von Berufs wegen gezwungen, mich tagtäglich mit diesen Dingen zu beschäftigen. Doch politische und soziale Probleme lassen sich nur schwer alleine durch Abstimmungen oder kluge Ratschläge lösen. Wenn wir positive bleibende Veränderungen erreichen wollen, werden wir dies nur durch Liebe tun können. Es ist wichtig, dass wir nicht bei einer Islamisierung der Schweiz mithelfen und uns bei Abstimmungen richtig entscheiden. Aber es ist auch wichtig, den Menschen nicht aus dem Blick zu verlieren und denen zum Ausstieg zu verhelfen, die unter dem System Islam leiden.
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Kurt Beutler lebte mehrere Jahre in Ägypten, ist Berater für arabisch sprechende Ausländer bei MEOS Svizzera und Autor der Bücher „Zwischen Bomben und Paradies“ und „Warum gewisse Dinge schief laufen“, (Urs-Heinz-Nägeli Verlag, beziehbar direkt beim Autor unter: kurtbeutler@gmx.ch.

Von Kurt Beutler