Die gesellschaftliche Stimmung in der Türkei richtet sich immer stärker gegen evangelische Christen. Das ist das Ergebnis einer Untersuchung der türkischen Vereinigung der protestantischen Kirchen. Bei dieser Entwicklung spielen Medien und Regierung eine wichtige Rolle. Zuletzt forderten Demonstranten die Umwandlung der Hagia Sofia in eine Moschee, was Präsident Erdogan nicht ausschliesst, berichtet die Menschenrechtsorganisation Open Doors Schweiz in ihrer Medienmitteilung vom 15. April 2019.

Ein Grund für die wachsende, feindliche Gesinnung ist der vielbeachtete Prozess gegen den amerikanischen Pastor Andrew Brunson im vergangenen Jahr. Medien und Regierungsstellen spielen laut der Untersuchung eine wichtige Rolle bei dieser Entwicklung.

Der Bericht spricht von zahlreichen Fällen von „Hassrede“ und konstatiert, dass die Mitglieder der christlichen Gemeinschaft gegenwärtig in einem Klima der Unsicherheit leben. 2018 hätten Anfeindungen durch Veröffentlichungen in der türkischen Lokalpresse sowie in nationalen und sozialen Medien zugenommen, die sich dabei „ausschliesslich auf den Glauben“ der Betroffenen bezogen. Dabei seien Kirchen und einzelne Christen immer wieder mit Terrororganisationen in Verbindung gebracht worden, ohne fundierte Beweise zu liefern. Stattdessen hätte man die Anschuldigungen von geheimen falschen Zeugen gegen Brunson „so gemeldet, als ob sie wahr wären“.

Persönliche Daten veröffentlicht

Gleichzeitig sei den so verleumdeten Kirchen und Einzelpersonen ihr verfassungsmässiges Recht verweigert worden, auf die Vorwürfe zu antworten oder eine Korrektur zu veröffentlichen.

Trotz eines Gesetzes zum Schutz personenbezogener Daten hätten türkische Medien während des Brunson-Falls Namen, persönliche Daten, Fotos und spezifische kirchliche Aktivitäten in einem negativen Kontext veröffentlicht. Christen in den Städten Diyarbakir, Mardin, Izmir und Manisa hätten daraufhin versucht, rechtliche Schritte gegen die „heimtückische Propaganda“ einzuleiten. Die lokalen Behörden hätten jedoch entweder abgelehnt, Ermittlungen anzustellen, oder die Täter nicht bestraft.

Abgeschoben oder Wiedereinreise verweigert

Der Bericht stellte fest, dass eine unbestimmte Anzahl von protestantischen ausländischen Kirchenmitgliedern im Jahr 2018 abgeschoben wurde oder ihnen die Wiedereinreise in die Türkei verweigert wurde, andere seien nach der Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis dazu aufgefordert worden, die Türkei innerhalb von wenigen Tagen zu verlassen. Einer von ihnen ist der Amerikaner David Byle, der 19 Jahre lang in der Türkei gelebt hatte.

Der Bericht bestätigte eine Reihe seit Jahren ungelöster Probleme, mit denen besonders protestantische Christen in der Türkei in den letzten zehn Jahren zu kämpfen hatten. Dazu gehören die seit langem bestehende Schwierigkeit, anerkannte Versammlungsräume zu finden, oder auch gesetzliche Bestimmungen, die formale religiöse Ausbildungen für nicht-muslimische Glaubensrichtungen verbieten.

Religiöser Nationalismus engt Christen ein

Der sehr ausgeprägte religiöse Nationalismus in der türkischen Gesellschaft sorgt für starken Druck auf die Christen. Die Regierung wendet sich nicht speziell gegen Christen, aber der Nationalismus in der Gesellschaft lässt den Christen fast keinen Raum. Besonders gefährdet sind ehemalige Muslime, die sich dem christlichen Glauben zugewendet haben. Auf dem aktuellen Weltverfolgungsindex von Open Doors steht die Türkei auf Platz 26 unter den Ländern, in denen Christen am stärksten verfolgt werden.

Unter Präsident Erdogan wird die muslimische Ausrichtung des Landes zunehmend betont. Dies symbolisiert das Weltmonument Hagia Sophia in Istanbul – die ehemals grösste Kirche der Welt wurde im 15. Jahrhundert in eine Moschee umgewandelt und in den 1930er-Jahren in ein Museum; nun fordern Demonstranten die erneute Umwandlung in eine Moschee, was Präsident Erdogan nicht ausschleisst: „Das ist nicht unwahrscheinlich. Vielleicht ändern wir sogar den Namen in Ayasofya-Moschee.“