„Toxische Männlichkeit“ ist einer der neuen Kampfbegriffe des Feminismus. Regula Lehmann von Zukunft CH hat Kommunikationsexperte Giuseppe Gracia gefragt, was er von solchen Wortschöpfungen hält und was diese aus seiner Sicht bewirken.

Zukunft CH: Herr Gracia, gibt es für Frauen aus Ihrer Sicht berechtigte Gründe für den Männerhass, von dem sich viele Männer zunehmend in die Ecke gedrängt fühlen?

Gracia: Es gibt immer Gründe, jemanden zu hassen, unabhängig vom Geschlecht. Aber hassen, das ist wie Gift trinken in der Hoffnung, dass der andere daran stirbt. Das bringt die Menschen nicht weiter. Wir brauchen stattdessen mehr Wohlwollen und Liebe, auch zwischen Mann und Frau.

„Toxische Männlichkeit“ ist ein Begriff, der in Debatten immer wieder auftaucht. Eine Erfindung von „Männerhasserinnen“?

Nein, auch Männer verwenden den Begriff. Für mich steckt dahinter ein Denkfehler. Der Gedanke ist, dass schlechte, toxische Männer dann gut werden, wenn sie aufhören, männlich zu sein, wenn sie also irgendwie weiblicher werden. Das ist falsch. Vielmehr werden Männer dann gut, wenn sie anfangen, nicht mehr toxisch zu sein. Wir brauchen also nicht weniger männliche Männer, sondern mehr gute Männer.

Was ist das, ein guter Mann?

Ich sehe das traditionell: Ein guter Mann steht zu seiner sexuellen Energie, zu seiner Lust auf Wettbewerb und Kampf, aber er setzt diese Dinge für das Gute ein. Zur Gründung einer Familie etwa, zum Schutz der Schwachen oder zur Erreichung von Zielen, die der Gesellschaft dienen. Ein guter Mann schlägt und missbraucht keine Frau, das machen nur Feiglinge und Versager. Ein guter Mann hat keine Angst, sich an eine selbstbewusste Frau zu binden, aber er lässt sich nicht kastrieren. Ein guter Mann ist treu und lässt seine animalische Seite von der ehelichen Liebe zivilisieren. Er ehrt seine Frau. Die Familie kann sich auf seine Kraft verlassen.

Was verlieren wir Frauen oder auch die Gesellschaft, wenn Männer sich „verweiblichen“ lassen?

Für die Frauen wäre es unendlich langweilig. Nur noch weibliche Standpunkte, weibliche Verhaltensweisen, Sprechweisen, sexuelle Vorgehensweisen. Ohne die Spannung des männlichen Gegenpols. Für die Männer wäre es eine lebenslange, frustrierende Erfahrung.

Frauen brauchen Männer, damit ihnen nicht langweilig wird?

Es gibt überhaupt nichts Lebendiges ohne die Spannung zwischen weiblich und männlich. Die Natur, die Kunst und die Literatur leben von der Spannung zwischen weiblich und männlich, zwischen Liebe und Tod. Wer diese Spannung abschaffen will, schafft Dramatik, Erotik, Lebensfreude ab. Eine ziemliche Idiotie.

Ist das ein Plädoyer für eine „Rückeroberung“ der Männlichkeit?

Man muss nicht erobern, was man schon hat. Männer sind Männer, Frauen sind Frauen, daran ändern ein paar neumodische Theorien nichts. Als Mann muss man heute vielleicht mehr darauf achten, zu seiner Männlichkeit zu stehen, authentisch zu bleiben. Sich nicht zu verstellen. Sich nicht von ideologisch verstopften Theoretikern der Gleichschaltung einschüchtern zu lassen. Und wenn es Spannungen und Konflikte zwischen den Geschlechtern gibt, nicht aufgeben. Konflikte gehören zu einer lebendigen Partnerschaft und können von der Liebe aufgefangen, transzendiert werden.

Sie sind Vater eines erwachsenen Sohnes. Wie wird diese nächste Männergeneration Männlichkeit und die Beziehung zu Frauen leben?

Schwer zu sagen. Ich hoffe, dass die jungen Männer es schaffen, bei sich zu bleiben und nicht einem konstruierten Geschlechterbild zu verfallen, das nichts mit ihrer Natur, ihrer Identität zu tun hat. Und dass sie den Mut haben, ihre Männlichkeit und Tatkraft für Ehe und Familie einzusetzen.

Giuseppe Gracia, verheiratet, zwei Kinder, ist Schriftsteller, Kommunikationsberater und Publizist für verschiedene Medien (NZZ, Blick, etc.).