Die jüngsten Attacken am Ostersonntag auf christliche Gottesdienste in Sri Lanka haben es erneut an den Tag gebracht: Christenverfolgung ist in vielen Regionen der Welt grausame Realität. Das weltweite päpstliche Hilfswerk „Kirche in Not“ steht seit über 70 Jahren an der Seite verfolgter und notleidender Christen. Gleichzeitig macht das Hilfswerk auf Verstösse gegen die Religionsfreiheit weltweit aufmerksam. Über die Lage in Sri Lanka und anderen Krisenregionen sowie die Gefahr des politischen wie religiösen Extremismus gibt Tobias Lehner, Pressereferent des deutschen Zweigs von „Kirche in Not“, im Interview Auskunft. Ulrich Fricker vom Südkurier hat mit ihm gesprochen.
Ulrich Fricker, Südkurier: Herr Lehner, am Ostersonntag hat Sri Lanka eine Reihe von blutigen Anschlägen erlebt, die sich überwiegend gegen Christen richteten. Hat Sie das überrascht?
Tobias Lehner: Wir haben noch am Ostersonntag mit einem Bischof aus Sri Lanka gesprochen, mit Valence Mendis aus Chilaw, das 80 Kilometer nördlich der Hauptstadt Colombo liegt. Er hat uns gesagt, dass der Terror für die christliche Gemeinschaft völlig überraschend kam. Seit dem Ende des Bürgerkriegs vor zehn Jahren ist die Lage auf der Insel relativ ruhig geblieben – abgesehen von kleineren Übergriffen. Es hat die Katholiken dort unvorbereitet und brutal getroffen. Mittlerweile gibt es Nachrichten, dass die Geheimdienste etwas wussten über entsprechende Vorbereitungen. Darauf hat auch der Kardinal von Colombo hingewiesen und gefragt: Warum habt ihr uns nichts gesagt?
Bisher lebten die anderen Religionen friedlich mit den Christen zusammen. Wenn Hindus und Buddhisten im Streit lagen, versuchten die Christen zu vermitteln. Was lesen Sie aus dieser Terrorserie heraus?
Man muss eines sehen: Der Bürgerkrieg ist seit einem Jahrzehnt beendet. Doch ist die Lage seitdem weiterhin angespannt. Der Frieden ist brüchig. Der Grund liegt in der Spannung zwischen den Volksgruppen der Tamilen und der Singhalesen. Sie bekämpfen sich nach wie vor. Die Christen stehen dazwischen, weil ihre Mitglieder aus beiden Volksgruppen kommen.
Was können Sie als Hilfswerk tun?
Wir können vor allem drei Dinge tun: Wir beten, wir informieren und wir handeln. Kirche in Not ist eine Päpstliche Stiftung, die auch geistlich bei den notleidenden Gemeinden weltweit steht. Wir rufen auch unsere Förderer immer wieder zum Gebet für verfolgte Christen auf. Dazu kommt die Information: Wir sehen es als unsere Aufgabe, dass wir pausenlos an jene Gläubige erinnern, die verfolgt werden und nicht so frei leben können wie in Mitteleuropa. Wenn wir das nicht tun, geraten diese Christen in Vergessenheit – und das wäre das Schlimmste. Alle zwei Jahre bringen wir deshalb unseren Report „Religionsfreiheit weltweit“ heraus.
Und rein praktisch?
Wir unterstützen vorrangig die pastorale Arbeit der Kirche, das heisst: dass sie seelsorgerisch bei den Menschen sein kann. Wir fördern unter anderem den Bau- und den Wiederaufbau von Kirchen, unterstützen Klöster und Seminare und fördern auch die karitative Arbeit der Gemeinden.
Ihre Organisation hat einen einzigartigen Überblick über Menschen, die aus religiösen Gründen verfolgt werden. In welchen Ländern trifft es Gläubige am härtesten?
Zunächst nenne ich Nigeria, das schwer unter islamischem Terror leidet. Ich erwähne nur Boko Haram, das als gefährlichste Terrorsekte der Welt gilt. Millionen Menschen wurden durch Boko Haram heimatlos. Kinder haben ihr Eltern verloren. Kürzlich kamen Übergriffe von Nomaden auf Dörfer vor. In allen Fällen sind Christen am stärksten betroffen.
Nigeria ist auch eines der reichsten Länder Afrikas. Geht es tatsächlich um Religion – oder um Bodenschätze und Reichtum?
Bei diesen Konflikten haben wir es mit einer Gemengelage zu tun. Es geht um Politik und um Besitzverhältnisse ebenso wie um Religion. Alles spielt zusammen. Die Extremisten arbeiten mit religiösen Kampfbegriffen, aber sie sind auch wirtschaftlich interessiert. Man muss sich eines klarmachen: Extremismus bedeutet, dass Muslime unter den Islamisten genauso leiden. Es trifft die gesamte Bevölkerung.
Wie beurteilen Sie die Lage im Nahen Osten?
Dort können wir nach wie vor von einem Pulverfass sprechen. Die Zahl der Christen hat sich massiv reduziert. Im Irak lebten früher 1,4 Millionen Christen, heute es sind es gerade noch 300‘000. Auch in anderen Ländern des Nahen Ostens ist es angespannt. Christen haben in diesen Regionen oft keinen Fürsprecher. Das versuchen wir zu ändern.
Wie sieht es mit Israel aus? Dort hört man von einem schleichenden Exodus der Christen.
In Israel sitzen die Christen oft zwischen den Stühlen. Immer wieder kommt es zu antichristlichen Straftaten, vor allem Vandalismus. Palästinensische Christen sehen sich oft massiven Behinderungen ausgesetzt, wenn sie die heiligen Stätten in der Altstadt von Jerusalem besuchen möchten. Im Gazastreifen, wo heute nur noch 1‘000 Christen leben, sind einige sehr radikale islamische Gruppen aktiv, die mit Drohungen, manchmal auch konkreten Taten gegen die christliche Minderheit vorgehen.
Wenn wir nochmals Sri Lanka anschauen: Gibt es auch gewaltbereite Buddhisten oder Hindus?
Man muss sehen, dass in jeder Religion gewaltbereite Gruppen auftauchen können. Sie sind durch Fanatismus verblendet. Wenn man nur an Myanmar denkt; dort verbinden sich buddhistische Strömungen mit einem Ultra-Nationalismus, der sich gegen eine Minderheit wie die muslimischen Rohingya wendet. Gegen sie wurden schwere Verbrechen begangen. In Indien beobachten wir nationalistische Hindus, die auf Christen losgehen. Erst vor Ostern verzeichneten wir einen Übergriff auf eine christliche Schule, auch hier treten nationalistische Hindus als Drahtzieher in Erscheinung.
Wenn Sie einmal die vergangenen Jahrzehnte betrachten: Werden heute mehr Christen verfolgt wie noch vor zehn oder fünf Jahren?
Die Christenverfolgung bleibt seit einigen Jahren auf einem konstant hohen Niveau. Und das ist absolut besorgniserregend.
Ihre Organisation ist in 149 Ländern der Welt aktiv. Werden in all diesen 149 Ländern Menschen verfolgt wegen ihres Glaubens?
Nicht überall findet eine Verfolgung statt, aber die Not ist überall gross, zum Beispiel durch Kriege, politische Unsicherheiten oder Naturkatastrophen. In unserem Bericht „Religionsfreiheit weltweit“ haben wir uns 196 Länder angeschaut. In 38 ist die Religionsfreiheit schwer eingeschränkt. Von den 38 Ländern sind es 17 Länder, wo die Menschen wegen ihres christlichen Glaubens diskriminiert werden. In 21 Ländern werden sie massiv unterdrückt und verfolgt – das bedeutet also Gefahr für Leib und Leben.