In Kairo wurden am 2. April 2018 die offiziellen Endergebnisse der ägyptischen Präsidentenwahlen verlautbart. Drei Tage hatten sie mit Gratisessen, Feuerschluckern und anderen Volksfestlichkeiten gedauert, um möglichst viele Wähler an die Urnen zu bringen. Denn ansonsten gab es auch keinen spannenden Anreiz, die politische Zukunft am Nil mit zu entscheiden. Kam doch praktisch nur ein Kandidat in Frage: Das Staatsoberhaupt der letzten vier Jahre, der ehemalige Feldmarschall Abdel Fattah al-Sisi.

Von Heinz Gstrein

Wahlberechtigt waren rund zwei Drittel der 95 Millionen Einwohner, unter ihnen die Mehrzahl Muslime, aber auch rund zwölf Millionen Christen. Nur knapp 22 Millionen gaben diesmal ihre Stimme ab, viel spärlicher als bei al-Sisis erster Wahl vor vier Jahren. Auch weniger Ja-Stimmen fanden sich diesmal in den Urnen, „nur“ 92 Prozent statt den 97 Prozent von 2014. Das wurde aber dann in der amtlichen „Endfassung“ auf 97,08 Prozent „hinaufgeschönt“.

Die unter den christlichen Ägyptern mit über zehn Millionen dominierende Koptische Orthodoxe Kirche hatte ihre Gläubigen zur Wahlbeteiligung aufgerufen, ihnen jedoch die Entscheidung zwischen einem „Ja“ zu Sisi, für dessen aussichtslosen Gegenkandidaten Musa Mustafa Musa oder einem weissen Stimmzettel freigestellt. Die paar Zehntausend griechisch-orthodoxen Palästinenser, Syrer und Libanesen hatten offen al-Sisi unterstützt, während sich die zusammen etwa eine Million evangelischen und katholischen Christen aus dem Wahlspektakel völlig heraushielten. Während die Katholiken über ihr ausgedehntes Schulwesen einen nicht unbeträchtlichen Einfluss ausüben, wurden Ägyptens Protestanten bis zuletzt weitgehend ignoriert. Erst im November 2017 empfing Präsident Sisi eine evangelische Abordnung, Allerdings nicht aus seinem eigenen Land, sondern den USA. Jedenfalls hat der Präsident von Ägyptens „Protestant Community“, Pfarrer Andrea Zaki Stephanous, die Wiederwahl al-Sisis im Nachhinein begrüsst. Der Präsident möge die notorische Diskriminierung der ägyptischen Christen beim Bau von Kirchen und bei der Besetzung öffentlicher Ämter endlich abbauen.

Es konnte für sicher gelten, dass christliche Wähler al-Sisi als die einzige Möglichkeit zur Verhinderung einer Rückkehr der islamistischen Muslim-Brüder an die Macht betrachtet haben: Nach dem Sturz von Ägyptens Langzeit-Diktator Hosni Mubarak 2011 war die Lage für die christlichen Kopten unter der Herrschaft der Muslimbruderschaft zunehmend prekär geworden. Es gab vermehrt Übergriffe von Muslimen auf koptische Einrichtungen. Al-Sisi übernahm in Folge eines Militärputschs 2013 die Macht, im Jahr darauf wurde er zum Staatspräsidenten gewählt.

Nach anfangs allgemeiner Erleichterung verdichtete sich aber der soziale Nährboden für radikalen Politislam während al-Sisis erster Präsidentschaft wieder: Enorme Teuerung bei Grundnahrungsmitteln mit Brot an der Spitze und ausufernde Arbeitslosigkeit, besonders zu Lasten der Jugend. Aus ihr haben sich in erster Linie die politislamischen, häufig christenfeindlichen Attentäter der jüngsten Jahre unter al-Sisi rekrutiert. Für diese gelten die Christen nicht nur als Ungläubige, sie seien auch wohlhabender als die Muslime. Wie wenig das stimmt, beweisen etwa die Kairoer „Müllmenschen“. Sie setzen sich ausschliesslich aus Kopten zusammen, bringen die Abfälle der Millionenstadt mit Eselskarren zu Müllbergen nach ausserhalb. In den penetrant stinkenden Haufen müssen sie auch ihr Leben fristen.

Die letzten grösseren Bluttaten am Nil gab es zwischen den vergangenen Ostern und Pfingsten. 2018 steht diese Zeit nach dem koptischen Kirchenkalender gerade wieder bevor … Angesichts der zu befürchteten neuen Terrorwelle ruft Kopten-Patriarch Tawadros II. aber schon jetzt zu einer Haltung der Vergebung auf: „Wenn wir einen Menschen lieben, wie es Gott tut, dann müssen wir auch für alle beten. Im Vaterunser sagen wir, vergib uns unsere Schuld wie auch wir vergeben unsern Schuldigern. Wenn wir im Herzen eine solche Liebe haben, wenn unser Gebet ehrlich ist, wenn wir an die Vergebung des Herrn glauben, dann erhalten wir die Kraft, auch jenen zu vergeben, die uns Böses angetan haben, auch jenen, die Attentate verübt haben und noch verüben werden.“