Der Präsident der Grünliberalen Partei (GLP), Jürg Grossen, will den Bundesrat mit einer Motion zwingen, Verhandlungen über einen Beitritt der Schweiz zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) aufzunehmen. Der Bundesrat legt derweilen den Entwurf eines Berichts „Lagebeurteilung Beziehungen Schweiz-EU“ vor. Wohin geht die Schweiz?

 Kommentar von Ralph Studer

Die Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU kommen wieder aufs Tapet. Weitere Verhandlungen stehen an. Aus den aktuellen Äusserungen des Bundesrats wird deutlich, dass er den bilateralen Weg weiterhin für die vorteilhafteste Lösung für die Schweiz hält.

Historischer Fehlentscheid?

Auch wenn Grossen das Nein zum EWR 1992 als historischen Fehlentscheid einstuft, wird diese Aussage durch Wiederholung nicht wahrer. Die Kritikpunkte am EWR sind stichhaltig und gravierend: Die dynamische Rechtsübernahme im EWR würde die Souveränität der Schweiz massiv einschränken und vor allem auch die Mitspracherechte der Bevölkerung und die freiheitlich-demokratische Staatsordnung der Schweiz massiv tangieren. Eine Übernahme der Unionsbürgerrichtlinie ermöglicht den EU-Bürgern einen erleichterten Zugang zum Schweizer Sozialsystem und führt zu einer weiteren massiven Überschuldung. Auch die Hürden für die Ausschaffungen von delinquenten Unionsbürgern würde erschwert. All diese Punkte wären für die Schweiz mit beträchtlichen Nachteilen verbunden. Von einem historischen Fehlentscheid kann deshalb nicht gesprochen werden, vielmehr von einer auch im Nachhinein richtigen Entscheidung. Auch eine weitere Integration in die EU ist nicht angezeigt.

Die Kritik an der EU wächst

Entgegen den allgemeinen Erwartungen lehnt auch die junge Generation einen EU-Betritt ab. 2019 wollten weniger als sieben Prozent der jungen Erwachsenen der EU beitreten, knapp 80 Prozent sprachen sich für den Alleingang aus. Heute sind die 18- bis 34-Jährigen die EU-skeptischste Altersgruppe. Doch die Jungen stehen mit dieser kritischen Sicht auf die EU nicht allein da. Durch vergangene und aktuelle Handlungsweisen der EU-Akteure ist die Sicht auf die EU generell kritischer geworden. Und dies zu Recht. Statt für Preisstabilität zu sorgen, betrieb die Europäische Zentralbank über Jahre hinweg zum Schutz der hochverschuldeten südeuropäischen EU-Länder eine fragwürdige Tief- bzw. Negativzinspolitik, kurbelte durch ihre Geldschwemme die Inflation an und enteignete auf diese Weise die Sparer. Der aktuelle Skandal rund um die sozialdemokratische Vizepräsidentin des EU-Parlaments, Eva Kaili, wirft zudem ein schlechtes Licht auf die EU-Institutionen im Allgemeinen. Die Staatsanwaltschaft in Brüssel wirft den Beteiligten Korruption, Geldwäsche, die Bildung einer kriminellen Vereinigung sowie versuchte Einflussnahme aus dem Ausland vor. Zudem ermittelt die belgische Justiz zurzeit, ob Katar in Brüssel auf Stimmenkauf ging.

Mögliche Optionen

Nach dem gescheiterten Rahmenabkommen macht die EU immer wieder deutlich, dass sie den bilateralen Weg mit der Schweiz nur fortsetzt, wenn die institutionelle Frage – also die dynamische Rechtsübernahme und die rechtliche Streitbeilegung – geklärt ist. Dabei ist es für die Schweiz entscheidend, sich einen grösstmöglichen politischen Handlungsspielraums zu erhalten. Welche Option wäre im Interesse der Schweiz? Die Lösungen mit der EU müssen den institutionellen Strukturen der Schweiz wie der direkten Demokratie und dem Föderalismus unbedingt Rechnung tragen, weshalb z.B. eine automatische Übernahme von EU-Rechtsentwicklungen inakzeptabel ist.

Aus Schweizer Sicht bietet sich neben dem bilateralen Weg auch die Verhandlung eines Freihandelsabkommen an: Die Schweiz würde so ihr Verhältnis zur EU auf ein tieferes Niveau der wirtschaftlichen Integration zurückbauen, das im Wesentlichen auf einem Abbau der tarifären Handelshemmnisse (Zölle, Quoten) beruht. Im Rahmen eines umfassenden Freihandelsabkommen – das über das Freihandelsabkommen von 1972 hinausgeht – könnte die Schweiz sämtliche Erleichterungen im Wirtschaftsverkehr anstreben, die auch ohne Rechtsharmonisierung erreichbar sind. Damit gewänne die Schweiz an Eigenständigkeit.

Diesen Vorteilen eines Freihandelsabkommens stehen auch Nachteile gegenüber, die gut abgewogen sein müssen und Verhandlungssache sind. Auch die aussenpolitische Machbarkeit ist fraglich. Manchmal ist jedoch ein Schritt zurück hilfreicher als weitere Schritte in Richtung Integration, die nachteilig wären. In jedem Fall braucht es dringend neue Impulse im festgefahrenen Verhandlungsprozess mit der EU und den Willen, die Interessen der Schweiz wieder verstärkt ins Blickfeld zu rücken und den eingeschlagenen Weg angesichts der EU-Forderungen kritisch zu hinterfragen.