Die Verbreitung ihrer Botschaft unter einer möglichst grossen Gruppe von Personen bekommt für Jihadisten eine stetig wachsende Bedeutung. Dabei hat das Internet den herkömmlichen Medien wie Fernsehen, Rundfunk, Audio- und Videobändern im Laufe der Zeit eindeutig den Rang abgelaufen. Weltweit mehr als 6000 jihadistische Websites belegen, wie intensiv dieses Medium mittlerweile von Anhängern genutzt wird.
Das Internet erfüllt hierbei zahlreiche wichtige Funktionen, dient vor allem aber als Propaganda,- Rekrutierungs- und Ausbildungsinstrument. Propaganda-Aktivitäten im Internet werden dabei in diesen Kreisen mittlerweile als eine Form von Jihad angesehen, der auch von Muslimen oder Konvertiten geführt werden kann, die aus unterschiedlichen Gründen nicht am bewaffneten Kampf teilnehmen oder selbst Bomben bauen, aber eine wichtige Mittlerrolle übernehmen, um die Idee des globalen Jihad zu verbreiten. Aus diesem Grund sprechen Jihadisten daher auch von einem „Medienjihad“ (al-jihad al-i’lami) oder „Propagandajihad“ (al-jihad al-da’wi) und ermutigen insbesondere Sympathisanten in westlichen Ländern ausdrücklich, sich daran zu beteiligen.

Im globalen Netz hat sich damit seit den Anschlägen des 11.09.2001, von der Mehrheitsgesellschaft, unbemerkt eine digitalisierte transnationale jihadistische „Internet Umma“ als virtueller Gemeinschaftsraum verfestigt, die die zweite und dritte in Europa geborene Jihadgeneration des „homegrown terrorism“ („hausgemachten Terrorismus“) hervorgebracht hat. Gebildet wird diese primär von in Europa geborenen und nach aussen scheinbar integrierten jungen Muslimen, die vielfach nach einem Erweckungserlebnis als „Neu- oder wiedergeborener Muslim“ den Weg zu jihadistischen Zellen finden. Eine wichtige Rolle spielen hierbei verstärkt Konvertiten wie die Mitglieder der „Sauerlandgruppe“, die 2007 Anschläge mit hoher Opferzahl in Deutschland planten und sich nach Eigenangaben durch den Medienjihad radikalisierten. Dies verdeutlicht das Ziel des insbesondere gegen den Westen und Israel gerichteten Medienjihad, die Trennung zwischen virtuellem und realem Raum aufzuheben, um Mudschaheddin („die, den Jihad Ausübenden“) zu rekrutieren und Anschläge zu realisieren.

Der Medienjihad

Der Begriff Medienjihad bezeichnet hierbei eine Vielzahl von Strategien, die es ermöglichen, Sympathisanten am Computer für den Jihad von al Qaida und anderer lokal und international ausgerichteter jihadistischer Gruppen zu gewinnen und an sich zu binden. Diese Gruppen bilden ein dezentrales und de-hierachisch aufgebautes Pyramidensystem, an dessen Spitze eine Handvoll von arabisch-jihadistischen Forenbetreibern steht, die als Seitenbetreiber die Infrastruktur bereitstellen. Bekannte Foren sind „Falludscha“ (eine Stadt im Irak), „Ansar“ (die Helfer) oder „al-Buraq“ (das Fabelpferd des Propheten). In diesen Foren werden primär theoretische und tagesaktuelle politische Fragen auf einem hohem Niveau diskutiert.

Nach dem Vorbild dieser Foren haben sich auf der nächsten Stufe in fast jedem Land der Erde tausende Webseiten von Einzelpersonen oder kleinen Gruppen etabliert, die in der jeweiligen Landessprache jihadistische Propaganda betreiben. Hierbei hat sich seit 2007 die Zahl von englisch-, deutsch- und türkischsprachigen Webseiten explizit erhöht, weil viele der möglichen Aspiranten nicht des Arabischen mächtig sind. Diese Foren dienen primär der Selbstdarstellung jihadistischer Gruppen. Ebenso werden Ausbildungsanleitungen für Bombenbau oder die Schriften jihadistischer Theoretiker wie Sayyid Qutb (dem 1966 hingerichteten und bis heute wirkenden Theoretiker der ägyptischen Muslimbruderschaft) oder Abdallah Yusuf Azzam (dem Theoretiker des Jihad von 1979–1989 in Afghanistan) bereitgestellt.

MTV-Jihad für junge Muslime und Konvertiten

Beide Ebenen dieses die Welt umspannenden Netzwerkes sind verbunden durch die Bereitstellung von Video- und Audiomaterial, das von Medienproduktionsfirmen (MPF) wie „as-Sahaab“ (die Wolken) oder „al-Furqan“ (die Offenbarung) produziert werden. Diese Audio- und Videobotschaften werden entweder direkt von Angehörigen jihadistischer Gruppen bei Anschlägen vor Ort angefertigt oder später von den MPFs erstellt und an vertrauenswürdige Mittelsmänner weitergegeben, die dieses Material an die obere Ebene der Forenbetreiber weiterleiten, die es ins Netz stellen oder per verschlüsseltem Mailverkehr an die nationale Ebene versenden. So können Medienkampagnen mit einfachen Mitteln entfacht werden, wie die bisher quantitativ unbekannte Anzahl von jihadistischen Drohvideos gegen Deutschland vor dem Hintergrund der Bundestagwahlen im Zeitraum Anfang September bis Anfang Oktober 2009. Zur Zielerreichung dient insbesondere ein zielgruppengerecht aufgearbeiteter „MTV-Jihad“ (nach dem Vorbild eines Fernsehsenders, der rund um die Uhr Musikvideos ausstrahlt), der seine Botschaft durch eine Ästhetik der Gewalt transportiert und das abbildet, was immer mehr junge Muslime und Konvertiten in den europäischen Diasporagemeinden als Realität ansehen.

Glorifizierung von Selbstmordattentätern

Neben der oft fragmentarisch bleibenden nationalstaatlichen Loyalität zur Einwanderungsregion der Elterngeneration hat sich eine neue Identität als „Muslim sein“ gebildet, die jeden Angriff auf das „Dar al-Islam“ (Haus des Islam, wo die Sharia gilt) als Angriff auf das muslimische Kollektiv der al-Umma al-Islamiyya (Gemeinschaft der Muslime) deutet, welche durch den Jihad verteidigt werden muss. Aus dieser Entwicklung heraus entsteht eine Anfälligkeit für macht- und gewaltverherrlichende Vorstellungen einer religiösen Kampfgemeinschaft, die den Zweck ihres Daseins nicht mehr im Diesseits, sondern im metaphysischen Jenseits verortet. Gerade die Verfestigung simplifizierter Feindbilder (anti-amerikanisch, anti-westlich, anti-israelisch, anti-christlich, anti-jüdisch etc.) durch aggressive und menschenverachtende Propaganda verstärken Ressentiments und schüren Hass, der den Nährboden für den gewaltsamen Jihad bildet. Ein Beispiel dafür bietet die Seite „Al-Fateh.net“ (die Öffnung), die gezielt Kinder mit Propaganda der jihadistischen Hamas indoktriniert, indem etwa das „Märtyrertum“ von Selbstmordattentätern glorifiziert wird.

Durch die jederzeit abrufbare Konsummöglichkeit aus dem weltweiten Netz, die nicht mehr an zeitliche, örtliche, und räumliche Dimensionen gebunden ist, wird eine Implantation der zur Gewaltideologie umgedeuteten Bedeutung des historischen Jihad als reglementierter Angriffs- und Verteidigungskrieg vorangetrieben, an dessen Endpunkt die Bereitschaft steht, als shahîd (Märtyrer, der im Jihad getötet wird) sein Leben zu opfern. Der virulente Jihadismus kann sich hierbei durch die elaborierte islamische Lehre vom Jihad al fard al-’ayn, vom Jihad als nicht delegierbare persönliche Pflicht jedes Muslim legitimieren, wenn das Dar al-Islam angegriffen wird, was auch Frauen und Kinder umfasst. Das verdeutlicht die Konstante der gewalttätigen islamischen Historie seit dem ersten Sieg der sich nach der Hidschra in Medina formierenden neuartigen Glaubens- und Kampfgemeinschaft im März 624 bei Badr, bis zu den aktuellen lokal- und global ausgerichteten Jihads in allen Teilen der Welt.

Beobachtung durch Sicherheitsbehörden wichtig

Inzwischen ist die Ideologie des weltweiten Jihad gegen den Westen und Israel global verankert und wird durch die Instrumentalisierung der Medien täglich verbreitet. Gegenmassnahmen gestalten sich als schwierig, da die Server zumeist im Ausland beheimatet sind und somit keine Zugriffsmöglichkeit auf sie besteht. Hinzu kommt, dass auch eine Abschaltung dieser Webseiten durch den jeweiligen Provider oftmals keine Wirkung erzielt, da die Seiten sehr häufig schon nach kurzer Zeit mit neuer Adresse wieder online sind. Hier hilft nur ständige Aufklärung der Bevölkerung und die Beobachtung der Webseiten durch Sicherheitsbehörden.

Dr. rer. soc. Thomas Tartsch ist freiberuflicher Publizist und Verleger in Deutschland und wissenschaftlicher Berater des Islam-Beirats beim CDU-Kreisverband Dortmund. Seine Arbeitsgebiete sind: Islamischer Fundamentalismus und Jihadismus unter Einbeziehung einer verschiedene Fachdisziplinen verklammernden Sichtweise, Gefährdungsanalysen und Lageeinschätzungen, Counterterrorism und Counterinsurgency, Politikberatung. Letzte Veröffentlichung: „Jihad as-sagir. Legitimation und Kampfdoktrinen: Ein Beitrag zum Zusammenhang zwischen Religion und religiös-rechtlich legitimierter Gewalt“, 2009, 180 S., Fr. 20.90/€ 12.00 ISBN: 978-3941147034

Von Dr. rer. soc. Thomas Tartsch