Mit Entscheidung vom 11. Dezember 2020 hob der Verfassungsgerichtshof das strafrechtliche Verbot der Beihilfe zum Suizid als verfassungswidrig auf und gewährte dem Gesetzgeber bis Ende 2021 Zeit, Begleitmassnahmen zu erlassen, um zu gewährleisten, dass die Suizidentscheidung informiert, dauerhaft und frei erfolgt. Dies berichtet das Institut für Ehe und Familie in Österreich. In buchstäblich allerletzter Minute legt die Bundesregierung nun ein Gesamtpaket vor, mit dem sie diesem Auftrag gerecht werden will.

Neben der Regelung einer sogenannten Sterbeverfügung, die den Bezug eines Suizidpräparats ermöglichen soll, wurde aber gleichzeitig ein substantieller Ausbau der Finanzierung der Hospiz- und Palliativversorgung beschlossen. Laut dem zeitgleich in Begutachtung geschicktem flächendeckenden Ausbau der Palliativ- und Hospizversorgung soll es in den nächsten drei Jahren zu einer Drittelfinanzierung von Bund, Land und Sozialversicherungsträgern kommen, die eine Gesamtsumme von 103 Millionen EURO verspricht. Damit erfüllt die Bundesregierung ihr Versprechen, die Hospiz- und Palliativversorgung in die Regelfinanzierung zu übernehmen.

In einer ersten Analyse auf Basis des gerade veröffentlichten Gesetzesentwurfs beurteilt Dr. Stephanie Merckens, Juristin und Leiterin der Abteilung Politik am Institut für Ehe und Familie (IEF), das nun vorliegende Konzept ambivalent:

„Es muss uns klar sein, dass der Dammbruch durch den Verfassungsgerichtshof erfolgt ist. Dieser hat mit seiner extensiven Interpretation des Selbstbestimmungsrechts das generelle Tötungsverbot durchbrochen und den staatlichen Auftrag zum Schutz des Lebens unterminiert. Damit hat er es dem Gesetzgeber nicht leicht gemacht, den Spagat zwischen Selbstbestimmungsrecht und Schutz vor Erwartungsdruck und Entsolidarisierung zu regeln. Im Grund blieb ihm nur noch die Verwaltung des Dammbruchs übrig.

Das nun vorliegende Konzept zeigt ein ernsthaftes Bemühen, der Verletzlichkeit von Menschen in Krankheit, Leid und Lebenskrisen gerecht werden zu wollen. Dennoch fällt die Reaktion ambivalent aus. Es ist wirklich sehr erfreulich, dass die Finanzierung der Hospiz- und Palliativversorgung substantiell aufgestockt wurde. Dieser Schritt war zwar überfällig, ist aber nichts desto weniger ein besonders glaubwürdiges Signal, dass Suizidprävention immer noch an erster Stelle stehen soll. Positiv ist auch, dass ein mehrstufiger Prozess der Beratung vorgesehen ist, um die umfassende Aufklärung abzusichern und vor Übereilung zu schützen. Die 12 Wochen Bedenkzeit entsprechen der Erfahrung aus der Krisenintervention und es ist erfreulich, dass diese ernst genommen wurde.

Kritisch allerdings ist, dass im Zuge der Beratung kein psychologisches Gespräch verpflichtend vorgesehen ist. Sämtliche Experten aus Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie haben im Vorfeld mehr als deutlich gemacht, dass es oft Zeit und mehrere Gespräche braucht, um überhaupt zu erkennen, dass sich hinter einem Todeswunsch eine tiefsitzende Depression versteckt, die behandelbar wäre. Gerade Altersdepression ist ein Phänomen, dass allzu oft übersehen wird.

Positiv ist, dass die grundsätzliche Strafbarkeit der Suizidbeihilfe erhalten bleibt. Nicht nur als deutliche Bestätigung des suizidpräventiven Primats unserer Rechtsordnung, sondern wesentlich vor allem auch im Hinblick auf die Überprüfbarkeit der Freiwilligkeit und Kontrolle. Denn auch mit der neuen Regelung kann man nur dann von einem Suizid im Sinne des Strafgesetzes ausgehen, wenn die Selbstverantwortlichkeit im Zeitpunkt der Tötungshandlung vorliegt.

Hier wiederum ist noch zu wenig klar, welche Rolle die Sterbeverfügung bzw. die ärztliche Aufklärung spielen soll. Beide sind sicher notwendige, aber nie hinreichende Bedingungen für die Straffreiheit einer Assistenzleistung. Wesentlich – insbesondere auch für die strafrechtliche Verfolgung – bleibt die Selbstverantwortung im Zeitpunkt der Tötungshandlung. Sollte diese nicht gegeben sein, so liegt kein Suizid vor, sondern ein Unfall oder ein Tötungsdelikt.

Als Signal des glaubwürdigen Versuchs der Kontrolle und Missbrauchsvermeidung sind auch das angekündigte Werbeverbot, das Verbot der Gewinnerzielung und die Einführung eines Registers für Sterbeverfügungen zu werten.

Wirklich enttäuschend aber ist, dass keine Absicherung des Verbots der Tötung auf Verlangen vorgesehen ist. Nach dem Urteil des VfGH im Vorjahr haben sich fast alle Parlamentsparteien klar „für ein striktes Verbot der Tötung auf Verlangen“ ausgesprochen. Dass die Koalition nunmehr nicht einmal versucht, eine 2/3 Mehrheit zu erreichen, ist eine vertane Chance und sehr bedauerlich.“

Aktuell läuft nun eine kurze Begutachtungsfrist, die am 12. November 2021 endet. Das IEF wird weiter berichten: https://www.ief.at/