Nicht weniger als 2,5 Millionen Menschen flüchteten laut UN-Angaben mittlerweile vor Boko Haram. Laut dem „Global Terrorism Index“ ist diese nordnigerianische Terror-Miliz tödlicher als der IS. Die Menschenrechtsorganisation „Open Doors“ traf Flüchtlinge in Kamerun und sprach mit einem Kirchenpräsidenten, der vor einem Genozid gegen die Christenheit in den nördlichen Scharia-Staaten warnt. Derzeit weilt Papst Franziskus auf einer Afrika-Reise. In Nairobi verurteilte der den Extremismus: „Allzu oft werden Jugendliche im Namen der Religion zu Extremisten.“ Doch der Name Gottes dürfe nicht missbraucht werden um Hass und Gewalt zu begründen.
Laut einem in diesen Tagen veröffentlichten Bericht des „Institute of Economics & Peace“ war Boko Haram im Jahr 2014 die tödlichste Terrorgruppe der Welt und verantwortlich für 6‘664 Tote. Auf dem „Global Terrorism Index“ dieses Instituts soll der IS im gleichen Zeitraum 6‘073 Menschen umgebracht haben. Und in der Zeit, in der in Paris 132 Menschen starben, kamen bei zwei Boko-Haram-Attacken 48 Personen ums Leben.

In den letzten Monaten sind zwar Dutzende von Städten und Dörfern im Nordosten Nigerias, die im letzten Jahr von Militanten übernommen worden waren, vom nigerianischen Militär befreit worden. Dennoch ist die Lage noch explosiv, da die radikale Gruppe ihre Selbstmordanschläge in Nigeria sowie den Nachbarländern Tschad, Kamerun und Niger intensiviert hat.

Gewalt nach Scharia-Einführung gestiegen

Mit dem Boko-Haram-Terror wächst die Intoleranz, die eine zunehmende Diskriminierung von Christen in Nordnigeria zur Folge hat. Laut einem einheimischen Mitarbeiter von Open Doors geht die wachsende Gewalt in die 1990er-Jahre zurück und sie wurde intensiver, nachdem zwölf nordnigerianische Staaten das islamische Recht – die Scharia – eingeführt hatten: „Christen wurden als Bürger zweiter Klasse behandelt, und man verweigerte ihnen ihre Grundrechte wie Zugang zu bestimmten Arbeitsstellen ungeachtet ihres Qualifikationsgrades.“ Auch moderate Muslime, die sich weigerten, Boko Haram zu unterstützen, seien getötet worden, während andere hätten fliehen müssen, um ihre Leben zu retten.

2,5 Millionen Vertriebene seit 2013

Ein Sonderbericht des UN-Informationsdienstes „Integrated Regional Information Networks“ (IRIN) deckt in der Region Tschadsee-Becken eine beispiellose humanitäre Katastrophe auf. In Europa helfen Heere von Freiwilligen den syrischen Flüchtlingen, welche über die Mittel verfügen, sich zum Land ihrer Wahl aufzumachen. In Westafrika haben von Boko Haram vertriebene Nigerianer vergleichsweise wenig Hilfe. Manche wandern hunderte von Meilen, heisst es im IRIN-Bericht namens „Fleeing Boko Haram: Nowhere to Run, Nowhere to Hide“, oder sie kommen beispielsweise in überfüllten Schulen unter, die in unhygienische Lager umgewandelt werden.

Laut diesen ebenfalls in diesen Tagen publizierten UN-Angaben haben aufgrund der Boko-Haram-Angriffe in den letzten sechs Jahren rund 25’000 Personen ihr Leben verloren und 2,5 Millionen wurden allein seit 2013 in der Region des Tschadsee vertrieben – dies seien rund viermal so viele Migranten und Flüchtlinge, wie in diesem Jahr bereits nach Europa gekommen sind.

Christliche Gemeinden ausgelöscht

Der Grossteil der Vertriebenen sind Christen. In vielen Gegenden der Nord-Staaten Borno, Yobe und Adamawa ist die christliche Gemeinde nahezu ausgelöscht. Pastor Samuel Dali, Präsident der vor allem im Norden vertretenen Kirche „Church of Brethren in Nigeria“ berichtet gegenüber Open Doors, dass bereits mehrere tausend der über eine Million Kirchenmitglieder ermordet worden seien. Weitere 700’000 seien vertrieben worden und lebten jetzt versprengt an Orten wie Jos, Abuja, Kaduna und Yola. Etwa 15’000 andere hätten Zuflucht im benachbarten Kamerun gesucht.

Open Doors traf Flüchtlinge in Kamerun und stiess auf herzzerreissende Geschichten. So etwa diese: Als eine Gruppe nachts vor Boko-Haram-Kämpfern, die ihnen nachjagten, floh, wurde ein Kind, das mit seiner Mutter zusammen durch den Busch rannte, von einer Schlange gebissen. Kurz danach begann das Kind, heftig zu bluten und schwächer zu werden. Die Mutter hatte keine andere Wahl, als das Kind zurückzulassen um mit den anderen um deren Leben zu laufen. Oder ein Mann, der zwei Kinder trug, stürzte beim Laufen und starb; vermutlich an einem Herzschlag. Die kleinen Kinder versuchten, ihn aufzuwecken und riefen: «Papa! Papa! Steh auf, wir müssen wollen weiter!» Leider konnte keiner der ebenfalls Flüchtenden stehenbleiben, um zu helfen: Die Kinder wurden bei ihrem toten Vater zurückgelassen.

Terror folgt Flüchtenden

Vielen, die vor Boko Haram geflohen sind, folgte laut IRIN die Gewalt. In den vergangenen Wochen sind bei einer Serie von Selbstmordattentaten in wichtigen nordostnigerianischen Grossstädten erneut viele Flüchtlinge unter den Todesopfern. Grenzgebiete, in welche Flüchtlinge fliehen, würden zunehmend angegriffen. „Die Vernichtung von Leben und Eigentum, die Entführung von Frauen und Kindern, Gemeindeleitern und Schulmädchen haben das Potential für einen Genozid an Christen in Nordnigeria“, sagt Pastor Dali.

Nigeria rangiert auf dem Weltverfolgungsindex aktuell an zehnter Stelle unter den Ländern, in denen Christen weltweit wegen ihres Glaubens verfolgt werden. Auf dem Index des vergangenen Jahres war das Land auf Position 14.

Quelle: Open Doors