Das strikte islamische Wirtschaftssystem mit seinem Verbot von Kredit- wie Guthabenzinsen wurde bei uns lang belächelt. Seit Beginn der grossen Finanzkrise mehren sich aber Stimmen, die ein „Anlegen nach der Scharia“ empfehlen oder gar anpreisen. Sogar angesehene Blätter wie die „Neue Zürcher Zeitung“ öffnen sich diesem Trend. Nach islamischen Grundsätzen werden immerhin mittlerweile weltweit Vermögenswerte von an die 800 Milliarden Franken verwaltet.
Geld- und Finanzprodukte nach islamischem Recht werden seit diesem März gezielt von Mannheim (Deutschland) aus angeboten. Dort hat die Türkisch-Kuwaitische Bank dafür eine eigene Filiale eröffnet. Diese wendet sich natürlich in erster Linie an die Millionen Moslems in Deutschland, an die Hunderttausende in der Schweiz und in Österreich. Als garantiert „ethische“ Investitionen werden islamgerechte Veranlagungen aber auch uns Christen angepriesen: „Islamische Religionsgelehrte müssen für jedes Finanzprodukt dessen Unbedenklichkeit bescheinigen. Generell verboten sind Investitionen in die Sex- und Glücksspielindustrie oder in Firmen, die erkennbar vor dem finanziellen Zusammenbruch stehen.“ So heisst es in einer ersten Aussendung. Sogar der katholische CDU-Abgeordnete Reinhard Löffler meint schon: „Die Banken in der islamischen Welt haben die weltweite Finanzkrise wesentlich besser überstanden als viele im Westen – weil es strenge Vorschriften gibt und die Banken in reale Produkte investieren. Ob solche Werte nicht auch in Deutschland gut täten?“

Was macht nun das angeblich bessere islamische Wirtschaften aus? Wie so vieles andere hat Mohammed vom Christentum auch das Zinsverbot der mittelalterlichen Kirche in seine Wert- und Weltordnung übernommen. Geldgeschäfte blieben im islamischen Machtbereich nach dem Religionsrecht, eben der Scharia, den Juden vorbehalten. Wie bei uns wurden sie auch aus diesem Grund als Kreditgeber toleriert, aber genauso verfolgt, wenn man ihre Kredite nicht zurückzahlen konnte oder wollte. Mit dem Aufkommen eines christlich-abendländischen Bankwesens durch italienische, vor allem lombardische Finanzleute, wurde das auf Zinsen beruhende Bankwesen zu einem weiteren Unterschied von Christen und Moslems.

Genossenschaftliches Bankwesen

Nicht zuletzt dank seiner so weit grösseren Finanzierungsmöglichkeiten konnte der Westen in der Neuzeit die ihm überlegenen islamischen Mächte mit der Türkei an der Spitze zunächst abwehren, dann überrunden und schliesslich sogar kolonisieren. Die islamischen Reformtheologen des 19. und 20. Jahrhunderts machten sich daher Gedanken, wie dem abzuhelfen sei. Sie erfanden die ersten der heute so zahlreichen Umgehungsgeschäfte von Mohammeds Zinsverbot. Dschemal ed-Din Afghani, der sich selbst als „Luther des Islams“ bezeichnete, propagierte ein genossenschaftliches Bankwesen. Darauf wurden im ganzen Reich des Sultans Banken nach dem Raiffeisensystem wie auch Postsparkassen zugelassen. Mit diesem Prinzip experimentierte noch in den 1970er-Jahren in Kairo die „Islamische Sozialbank“: Taxifahrer, denen eigene Autos finanziert wurden, erhielten neben dem Zähler mit dem Preis für den Kunden eine zweite Uhr, die den Anteil der Bank zur zinslosen Rückzahlung ihres Darlehens verzeichnete. Die Chaffeure mussten allerdings einen wesentlich höheren als den entlehnten Betrag rückerstatten. Dieser Überschuss war als ihre Beteiligung an der Islambank deklariert und stellte deren Scharia-gemäss verschleierten Verzinsungsgewinn dar.

Dieses System bewährte sich zunächst ein bisschen, versagte aber schon bei „islamischen Krediten“ an Geschäftsleute, denen eine genaue Buchführung zum Nachweis der Gewinnbeteiligung des Bankinstituts vorgeschrieben wurde – woran sie sich aber kaum gehalten haben, sodass die Islambank das Nachsehen hatte.

In vielen islamischen Ländern keine Altersrente

Noch schwieriger wurde es beim zweiten Prinzip des islamischen Finanzsystems, dem Verbot jeder Spekulation auf ein Risiko einschliesslich Versicherungen jeder Art. Ausgehend von der koranischen Ächtung des Würfelspiels hat dann die Scharia alle „aleatorischen“ (zufallsabhängigen) Geschäfte untersagt. Es verstosse gegen jedes Gottvertrauen, z.B. mit dem Zeitpunkt eines frühen Ablebens, das eingezahlte Kapital zu vermehren. In diesem Bereich haben es die Islamreformer vergeblich versucht, mit Ideen wie einer Altersanlage ein Scharia-gerechtes Versicherungswesen aufzubauen. Daher gibt es in vielen islamischen Ländern auch heute keine Altersrenten. Oder sie setzen – wie in Ägypten – ein so hohes Eintrittsalter voraus, dass es bei der landesüblichen Lebenserwartung kaum Menschen gibt, die wirklich in den Genuss einer Rente kommen. Somit sind die wenigen Pensionsversicherungen in der islamischen Welt ein gutes Geschäft für den Staat mit fast nur einzahlenden Mitgliedern.

Keinerlei Schwierigkeiten hat das islamische Recht hingegen mit Aktiengesellschaften, die einfach Gewinnboni, aber keine nach Prozenten berechneten Dividenden ausschütten. Genau diese sind es aber, die zurzeit von galoppierenden Wertverlusten oder zumindest Wertschwankungen heimgesucht werden. Weshalb ein „islamisches Veranlagen“ in Wahrheit keine Sicherheit gegen die Finanzkrise bietet.

Von Dr. Heinz Gstrein