Die Messer-Attentäterin von Lugano hatte Verbindungen zum Dschihadismus. Nach der tödlichen Messerattacke von Morges VD im September könnte dies bereits der zweite islamisch motivierte Terroranschlag in der Schweiz innert weniger Wochen sein. Psychische Probleme könnten bei der Täterin eine Rolle gespielt haben, allerdings wirken dieser sowie andere Erklärungsansätze nicht restlos überzeugend.

Am 24. November 2020 hatte die 28-jährige Jessica M. im Luganeser Manor zwei Frauen tätlich angegriffen, eine davon mit einem Messer. Die Verletzte schwebt Gott sei Dank nicht in Lebensgefahr. Während der Tat soll Jessica M. „sono dell’Isis“ („Ich bin vom Isis“) ausgerufen haben. Daneben gibt es noch weitere Indizien dafür, dass es sich um eine islamisch motivierte Gewalttat handelt.

2017 soll Jessica M. versucht haben, nach Syrien zu reisen, nachdem sie sich über soziale Medien in einen dschihadistischen Kämpfer verliebt hatte. An der türkisch-syrischen Grenze wurde sie jedoch zurückgeschickt. Dies brachte sie auf den Radar von Fedpol. Laut der Bundeskriminalpolizei habe sie nach ihrer Rückreise in die Schweiz an psychischen Problemen gelitten und sei in eine Psychiatrie eingewiesen worden. Strafbare Handlungen habe es aber keine gegeben, weswegen die Bundesanwaltschaft kein Strafverfahren eröffnet hatte. Seitdem ist die Frau nicht mehr polizeilich aufgefallen. Bis zum vergangenen Dienstag.

Laut Recherchen des „Tagesanzeiger“ handelt es sich bei Jessica M. um eine radikalisierte Konvertitin mit einem im Maghreb gebräuchlichen Nachnamen. Dass diesmal eine Frau ein Attentat begangen hat, schwächt laut der Islamismus-Expertin Saïda Keller-Messahli die These vom islamistischen Hintergrund nicht: „Als Terroristinnen sind die Frauen dem IS wieder gut genug“, sagte sie in einem Interview mit „20 Minuten“. Keller-Messahli scheint jedoch die Verantwortung klar beim männlichen Geschlecht zu sehen. „Hat sie einen erzkonservativen muslimischen Mann geheiratet, kann davon ausgegangen werden, dass sie zum Islam konvertieren musste und dass er sie radikalisiert hat. Solche Profile gibt es zuhauf.“ Die Ermittlungen werden denn vermutlich zeigen, ob Jessica M. wirklich von ihrem oder einem anderen Mann „gezwungen“ wurde, die Gewalttat zu begehen oder ob sie dies aus freien Stücken tat.

Islamistisches Motiv?

Auch Fedpol vermutet einen islamistisch-terroristischen Hintergrund, wiewohl dessen Chefin, Nicoletta della Valle vor voreiligen Schlussfolgerungen warnt. Der Angriff in Lugano habe sie aber nicht überrascht, so della Valle.

Vieles spricht also für einen islamistisch motivierten Anschlag. Nicht nur deswegen mutet der Relativierungsversuch des Islamischen Zentralrats der Schweiz (IZRS) etwas seltsam an: Er lässt auch logische Stringenz vermissen. Der IZRS warnt vor „voreiligen Schlüssen und Reaktionismus“ und erklärt, dass „auch unter muslimischen Tatverdächtigen (…) psychische Erkrankungen nicht weniger häufig auftreten, als dies bei allen anderen Menschen der Fall ist“. Die Idee dabei: Nicht die mutmassliche IS-Affinität, sondern eine psychische Erkrankung oder ein „anderes Motiv wie Habgier, Hass oder Eifersucht“ habe Jessica M. zu der Tat bewegt.

Wenn die These des IZRS stimmt, hat die unleugbare islamistische Vorbelastung der Täterin keine kausale Rolle bei der Tat gespielt. Nun ist es plausibel, eine Tat multifaktoriell zu erklären – aber ohne gute Argumente gibt es keinen Grund, einen Faktor unter Ausschluss aller anderen zur alleinigen Ursache zu erklären. Aus diesem Grund ist obige statistische Behauptung, selbst wenn sie stimmt, per se noch kein gutes Argument für eine rein psychologische Erklärung der Gewalttat. Und falls psychische Erkrankung und islamistische Radikalisierung auffallend oft korrelieren (auch beim Täter von Morges war dies der Fall), dann könnten ja die psychischen Erkrankungen eventuell mit der islamistischen Radikalisierung zu erklären sein? Zu guter Letzt bringt der IZRS mit genannten niederen Beweggründen Erklärungen ins Spiel, die ziemlich ad hoc und aus der Luft gegriffen wirken – als ob man um jeden Preis vermeiden will, die radikalen Spielarten des Islam offenzulegen.

Gefahrenlage in der Schweiz laut NDB gleichbleibend

Der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) meint derweil, dass sich die Gefahrenlage in der Schweiz durch das Attentat nicht ändere. Seit 2015 ist die (abstrakte) Terrorbedrohung in der Schweiz erhöht, Anlass zu einer Steigerung der Warnstufe gebe es aber nicht.

Die zwei Messerattacken innert kurzer Zeit legen einen anderen Schluss nahe. Saïda Keller-Messahli hat sicher recht, wenn sie mehr Einsatz von der Politik im Kampf gegen den islamischen Terror fordert.