Empörung, Begeisterung und Verwirrung zum Phänomen Conchita Wurst halten auch nach dem Triumph beim Song Contest der Eurovision an. Das bärtige Wesen in Frauenkleidern singt sich von einem Auftritt zum anderen, wird aus einer Provokation des guten Geschmacks und öffentlichem Ärgernis zum Symbol der sexuellen Gender-Revolution hochgefeiert und sogar theologisch gedeutet. Bliebe der ganze Rummel im künstlerischen Bereich, könnte darüber noch grosszügig hinweggeschaut werden. Sogar päpstliche Kirchenchöre haben sich lang kastrierter Sänger bedient, weil in ihnen Frauen verpönt waren, römische Heiligkeiten und Kardinäle diese besondere Stimmlage schätzten.
Spätestens beim Empfang für Wurst durch den österreichischen Bundeskanzler am Wiener Ballhausplatz gab es aber die ersten gefährlichen Misstöne: Das Kopenhagen-Heimkehrerl – so auf Wienerisch – wurde zum Flaggschiff einer neuen Ära von Liberalität und Toleranz erklärt, als solches vom Kanzlerbalkon dem am Heldenplatz zusammengescharten Volk von Wien präsentiert. Damit nahm eine ganze Tragikomödie der Irrungen ihren Anfang. Ausnahmen von den gängigen Werten und Regeln hat es immer gegeben, man soll mit ihnen auch menschlich verständnisvoll umgehen. Wenn aber etwas Verpatztes zur Regel erhoben und sogar zum Vorbild erklärt wird, dann hört sich jede Billigung auf. Da gibt es nichts säkularisten-sektiererisch herumzutüfteln, da sind schlichter Menschenverstand und spontanes Empfinden am Zug. Seid ehrlich, Eltern: Wer von euch hätte an so einem Wurst-Kind wirklich seine Freude und möchte, dass die eigenen Kinder dem nacheifern …?

Nicht so manche Theologinnen: „Tu felix Austria – Du glückliches Österreich“, schreibt die „Schriftstellerin und evangelische Theologin in der Schweiz“ Ina Praetorius für Wiens katholische Wochenzeitung „Die Furche“. Der Geschlechterverwischerin aus Wattwil stellt nämlich Wurst nicht nur „die schönste aller Durcheinanderwerferinnen“ dar. Sie fühlt sich auch ihrer religiösen Bedeutung auf der Spur: „Genau hier, meine ich, liegt, bis jetzt jedenfalls, Conchitas Geheimnis: Als durcheinanderwerfende Zwischenperson verkörpert sie, was die Welt dringender braucht als Geld und Gut: ein waches Gewissen.“ Es fällt auf, wie Frau Prätorius mit dem Wort „Durcheinanderwerfer(in)“ spielt, das im Evangelium auf Griechisch mit „diabolos“ bezeichnet ist …

Das österreichische Massenblatt „Kronen Zeitung“ will das Wursterl sogar in die Schar der Heiligen reihen. Es erinnere an Sankt Kümmernis, die sich vom Himmel einen Bart erbeten habe, um ihre Jungfräulichkeit vor dem ungeliebten heidnischen Freier zu retten. Darauf habe sie der wütende Vater – samt Bart – gekreuzigt. Mag die Legende stimmen oder nicht – dabei waren doch ganz andere Motive im Spiel als die jetzige Auffälligkeitssucht um jeden Preis.

Sicher haben auch in der Geschichte christlicher Frömmigkeit das Streben nach mystischer Asexualität und sogar religiös veranlasste Transsexualität eine gewisse Rolle gespielt. Weder von Sankt Isis in der Wüste am Jordan noch Innokentij von Kiew wissen wir genau, ob das nun eine Frau oder ein Mann war. Auch ist es ein aktueller theologischer Auftrag unserer Zeit, über kirchliche Geschlechterrollen neu nachzudenken. Hanswurstiaden und Wursteleien haben aber damit gewiss nichts zu tun!

Von Heinz Gstrein