Im Juni 2012 ist die Luzerner Nationalrätin Ida Glanzmann im Ständerat mit ihrem Vorschlag gescheitert, christliche Symbole mit einem verfassungsmässigen Schutz zu versehen. «Symbole der christlich-abendländischen Kultur sind im öffentlichen Raum zugelassen» lautet der Passus, den sie gerne der Bundesverfassung hinzugefügt hätte. Dabei sieht Frau Glanzmann im Kreuz nicht primär ein religiöses Symbol, sondern ein Ausdruck unserer christlichen Kultur und Tradition, die immer mehr in Frage gestellt wird.

Von Dominik Lusser

Auch wenn ich den Vorstoss von Ida Glanzmann begrüsst habe und eine hoffentlich bald folgende Volksinitiative der CVP mit allen Kräften unterstützen werde, scheint es mir doch eine Pflicht, auf die Schwächen und Gefahren einer zu oberflächlich vorgetragenen Argumentation hinzuweisen. Wer das Kreuz nicht primär als religiöses Symbol anschaut, der sieht sich der meiner Meinung nach unlösbaren Aufgabe gegenüber, eine christliche Kultur ohne Rückgriff auf den Kult und eine christliche Tradition ohne Verwurzelung im Glauben rechtfertigen zu müssen.

Denn die Frage, was ein Kreuz, wenn es nicht primär religiöses Symbol ist, dann eigentlich sein soll, ist berechtigt. Geht es Frau Glanzmann wirklich nur um den Schutz einer traditionellen Kulturlandschaft mit Gipfelkreuzen auf den Bergen und riesigen Weihnachtsbäumen in den Städten? Oder ist vielleicht politsicher Pragmatismus im Spiel, weil sie ihr Anliegen auch den zahlreichen Bürgern schmackhaft machen will, die (in der Mehrheit wenigstens) bestimmt nicht darum so gern im roten T-Shirt mit dem weissen Kreuz herumlaufen, weil sie entschiedene Anhänger des gekreuzigten Messias Jesus von Nazareth wären?

Symbole sind Zeichen, die auf eine Wirklichkeit verweisen. Das ist ihr einziger Sinn. Nun verweist aber das christliche Kreuz gerade auf eine Wirklichkeit, die nur dem Glaubenden voll zugänglich ist. Die Kernfrage lautet also: Glaube ich wirklich, dass der gekreuzigte und auferstandene Jesus Christus der Retter der ganzen Welt ist, durch den allen Menschen die Hoffnung auf das ewige Heil angeboten ist? Glaube ich ferner, dass das Kreuz als Zeichen der übergrossen Liebe Gottes zu den Menschen den verbindlichen Auftrag an die Menschen beinhaltet, diese Liebe auch untereinander zu leben? Glaube ich das nicht, so bin ich nicht in der Lage, die Symbolhaftigkeit des christlichen Kreuzes in seiner ganzen Tiefe zu verstehen und zu bejahen. Das aber bedeutet, dass das christliche Kreuz entweder ein religiöses Symbol oder gar kein christliches Symbol ist.

Nun gibt es diejenigen Mitbürger, die mit dem christlichen Glauben konsequent auch dessen Symbole ablehnen. Andere möchten, obwohl sie nicht glauben, auf diese traditionellen Elemente doch nicht verzichten. Dies führt über kurz oder lang zu einer Umdeutung der genannten Symbole. Für das weisse Kreuz auf rotem Grund ist sie bereits im vollen Gang. Die Marke „Schweizer Flagge“, die in den Souvenir- und Fanshops in allen möglichen und unmöglichen Varianten auf Tassen, Hüten, Slips usw. angeboten wird, steht im besten Fall noch für Qualität, sportlichen Erfolg, soziale Sicherheit, Freiheit und Wohlstand. Das hat nur noch indirekt mit dem Christentum zu tun, sofern man anerkennt, dass die echt christliche Lebensweise unserer Vorfahren massgeblich für unsere Freiheit und unseren Wohlstand verantwortlich sind.

Bleibt noch die Frage nach der Tradition! Lebendige Tradition ist nicht primär das Festhalten an äusseren Formen und Gewohnheiten, sondern die Bewahrung eines lebendigen Kerns durch alle äusseren Veränderungen hindurch. Wo die Tradition auf Äusserlichkeiten beschränkt ist, dort wird sie stumpf und unfruchtbar. An etwas festzuhalten, weil es immer schon so gewesen ist, macht nur Sinn, wenn ich weiss, warum es immer schon so gewesen ist und ich dieses Warum innerlich nachvollziehe und bejahe. Ansonsten ist Tradition eine blosse Fassade, die bei der nächsten Erschütterung einstürzen wird. Frau Glanzmann hat schon Recht, wenn sie die christliche Tradition als Grundlage des religiösen Friedens betrachtet. Garant für die Erhaltung dieses Friedens ist aber nicht schon die Tatsache, dass Kreuze in Schulzimmern aufgehängt werden, sondern dass das Gebot Gottes in den Herzen der Schweizer seinen Widerhall findet: „Liebe deinen nächsten wie dich selbst!“ Kreuze in Schulzimmern sind nur Ausdruck dieser inneren Überzeugung oder aber sie sind gar nichts wert!

Wie weit die Sinnentleerung oder gar Verachtung des Kreuzes in unserer Gesellschaft bereits fortgeschritten ist, zeigt auch die steigende Nachfrage – auch von Christen – nach assistiertem Suizid. Hier steht das christliche Kreuz als Symbol der Unzulänglichkeit und Gebrechlichkeit meines eigenen Lebens zur Debatte! Gleichzeitig aber auch als Zeichen des Trostes und der Hoffnung! Das Kreuz, an dem Jesus die letzten Worte gesprochen hat: „Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist!“, ist das krasse Gegenteil jener Haltung, die die Selbsttötung als den letzten Akt freier Selbstbestimmung preist.

Die Sonderstellung des Kreuzes könnte den religiösen Frieden im Land gefährden, meinten viele Mitglieder der vorbereitenden Kommission des Ständerats zur Initiative Glanzmanns und erklärten somit die radikale Säkularisierung des öffentlichen Raumes zum Garanten für eine konfliktfreie Zukunft. Diese Haltung verkennt einerseits den wesentlichen Beitrag, den die christliche Tradition unseres Landes zur Förderung der Toleranz und der Integration von Nichtchristen beigetragen hat und nach wie vor leistet. Anderseits unterliegt sie dem Irrtum, dass die Verdrängung religiöser Zeichen aus der Öffentlichkeit automatisch das gesellschaftliche und politische Konfliktpotential entschärft, das manche religiöse Gruppen durchaus darstellen. Denn Minarett, Kopftuch und Halbmond-Fahne sind im Islam nicht blosses Dekor, das irgendwie nicht zum traditionellen Bild der Schweiz passt, sondern Symbole innerer Überzeugungen und eines religiös-politischen Machtanspruchs. Eine Schweiz, die ihre christliche Seele verloren hat, wird dem zunehmenden Aufkommen einer so entschlossenen geistigen Kraft nicht angemessen zu begegnen wissen. „Glaubt ihr nicht, so bleibt ihr nicht!“, warnte Gott das Volk Israel bereits im Alten Testament durch den Propheten Jesaia. Diese Warnung gilt heute auch uns, die wir eine echt christliche Schweiz für ein schützenswertes Gut halten.