Schöne Menschen bekommen mehr Aufmerksamkeit. Und das ist für Jugendliche sehr wichtig. Zudem haben sie auch das Bedürfnis, ihre Persönlichkeit zu entwickeln, sich von anderen abzuheben und als Individuum wahrgenommen zu werden. Bodystyling, Kosmetik und Klamotten sind für sie eine Möglichkeit, dieses Ziel zu erreichen. Allerdings stehen Jugendliche dabei unter einem hohen Konkurrenzdruck.

Von Christiane Jurczik

In unserer Gesellschaft sind viele Sicherheiten verloren gegangen. Je unsicherer Jobs und soziale Stellung, desto stärker wächst das Konkurrenzverhalten – und damit das Bedürfnis einander auszustechen: mit dem perfekten Körper, den coolsten Klamotten, dem heissesten Posing – auch dank der vielen Castingshows die mindestens wöchentlich im TV gezeigt werden.

Das Aussehen wird wichtiger als Fühlen – damit schwindet auch die Wahrnehmung grundlegender körperlicher Bedürfnisse wie zum Beispiel Hunger. Der Blick von aussen entscheidet darüber, wie wertvoll man sich wahrnimmt, nicht mehr das Gefühl von innen. Weil Plakatwände, Castingshows, Youtube und Instagram den perfekten Körper zum Standard erheben.

Lange bevor Medien und Mode den Körperkult und den Schlankheitswahn in den Köpfen von Kindern und Jugendlichen verankern, machen sich Kinder selbst ein Bild aus dem, was sie bei ihren älteren Geschwistern und den Erwachsenen sehen.

Eine Mutter, die morgens auf die Waage steigt und gleich flucht, erweckt unweigerlich den Eindruck, dass da etwas nicht so ist, wie es sein müsste. Wenn Mütter jammern, weil die Jeans nicht mehr zugeht und böse auf ihren weichen Bauch sehen, wenn Kinder miterleben, dass ihre Mutter eisern auf Kartoffeln und Nudeln verzichtet und nach 18 Uhr keinen Bissen mehr anrührt, Kalorien zählt und eine Diät nach der anderen macht, kann das erste Weichen zu einer verschobenen Eigenwahrnehmung der Kleinen werden.

Nicht selten schlagen Mütter der pubertierenden Tochter eine Diät vor. Oder noch schlimmer – sie machen eine gemeinsame Diät – zum Zeichen des Erwachsenwerdens. Nicht nur Mütter achten penibel auf ihr Gewicht: auch ältere Geschwister, die Erzieherin im Kindergarten, die nette Lehrerin in der Schule. Und alle wollen nur eins: Bloss nicht dick werden!

Die Unzufriedenheit mit dem eigenen Äusseren ist bei uns allen enorm gewachsen und wird von der mächtigen Werbeindustrie vorangetrieben. Das ist die Schattenseite eines Schönheitsideals, dem die allermeisten Menschen zwar niemals genügen können, aber zunehmend verbissen hinterherhecheln.

Längst ist der Körper zum Statussymbol geworden. Schlankheit, körperliche Fitness und jugendliches Aussehen werden für alle zum Nonplusultra. Die genormte Schönheit verstärkt die Verunsicherung, sekundiert von Werbung und Machbarkeitswahn werden uns allen Selbstwert und Anerkennung versprochen. Diese Einstellung und das Verhalten färben automatisch schon auf die Kleinsten ab. Lernen von den Älteren spielt eine grosse Rolle bei kleinen Kindern.

Dass sich jedes zweite Mädchen zwischen vierzehn und siebzehn Jahren zu dick fühlt, dass jede dritte ein gestörtes Essverhalten zeigt, dass zwei Drittel der Mädchen meint, es sei schwierig, sich schön zu fühlen, wenn man mit den heutigen Schönheitsidealen konfrontiert sei, sind alarmierende Ergebnisse aus verschiedenen Studien. Rund ein Viertel der Mädchen haben bereits vor dem zehnten Geburtstag eine oder sogar mehrere Diäten gemacht und können ganz genau herunterbeten, was dick macht und was nicht. Wenn schon Drittklässler Gewicht und Jeansgrössen ihrer Mitschülerinnen wissen und um die kleinsten Grössen wetteifern, wenn Figur, Aussehen und Klamotten Kriterien sind um über die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe entscheiden, oder Zehnjährige einen Klassenkameraden mobben, weil er zu dick ist, läuft etwas schief.

Wenn das Interesse an Kosmetikprodukten heute schon im Kindesalter geweckt und von willigen Eltern auch noch bedient wird, hat das einen Grund. Die Hersteller rosaglitzernder Duschserien für Prinzessinnen, die Anbieter von Schokomasken, Duftbädern und speziellen Parfums für die Kleinen sollen Kinder früh zu Kunden der Schönheitsindustrie machen. Die will aber, genauso wie die Modeindustrie nicht das Beste für die Kinder, sondern den besten Gewinn einstreichen, nämlich das Geld der Eltern. Damit steigern blanke Geschäftsinteressen Kinder früh in einen Narzissmus hinein, der zu einem gestörten Selbst- und Weltbild führen kann und im Falle einer Essstörung gravierende gesundheitliche Belastungen nach sich ziehen kann.

Quelle: Kultur und Medien Online